(ots) - Reporter ohne Grenzen ist in höchstem Maße besorgt
über die Pläne der neuen Regierung in Polen, die Medien unter ihren
Einfluss zu bringen und die öffentliche Meinung in undemokratischer
Weise zu kontrollieren. Noch vor Weihnachten will die mit absoluter
Mehrheit regierende nationalkonservative PiS einen Gesetzentwurf
vorgelegen, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verstaatlichen.
Kritischen Journalisten drohen Minister offen damit, sie von ihren
Posten zu entfernen. Eine TV-Moderatorin wurde wegen kritischer
Äußerungen bereits zeitweise vom Dienst suspendiert, eine unbequeme
Talkshow abgesetzt. Zudem soll der Anteil ausländischer
Zeitungsverlage beschränkt werden. Dies richtet sich in erster Linie
gegen deutsche Verlage, die in Polen sehr aktiv sind.
"Es ist alarmierend, wenn nach Ungarn nun auch in Polen eine
rechtsnationale Regierung das Mediensystem von Grund auf umkrempelt
und so ganz unverhohlen versucht, kritischen Journalismus zu
verhindern und Reporter, die hartnäckig nachfragen, mundtot zu
machen", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
FERNSEHEN SOLL VERSTAATLICHT WERDEN
Die öffentlich-rechtliche Struktur von Fernsehen, Radio und der
Nachrichtenagentur PAP habe in der Vergangenheit zu Pathologien
geführt, befand der neue Kulturminister Piotr Gliński kurz nach
seinem Amtsantritt Mitte November. Anstelle der bisherigen
Aktiengesellschaften will er deshalb Kulturinstitute nach dem Vorbild
der Nationaloper oder des Nationalmuseums schaffen, an deren Spitze
jeweils ein von ihm ernannter Chef steht. Die Rundfunkgebühr soll
nach dem Willen Glińskis abgeschafft und durch eine Steuer
ersetzt werden. (http://t1p.de/zowv)
Die nationalkonservative Partei PiS war von 2005 an schon einmal
in einer Koalitionsregierung an der Macht und brachte damals ein
Mediengesetz auf den Weg, mit dessen Hilfe sie zentrale Stellen des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit parteinahen Journalisten
besetzte. Verantwortlich dafür war unter anderem Krzysztof
Czabański, der von 2006 bis 2009 das öffentlich-rechtliche Radio
leitete und dieses mit der Entlassung von mehr als 200 Journalisten
auf Linie brachte.
Als neuer Regierungsbevollmächtigter für die Umgestaltung der
Staatsmedien soll Czabański auch die jetzigen Reformen umsetzen.
Noch vor Weihnachten, kündigte er an, werde ein Gesetzentwurf ins
Parlament eingebracht, der vorsieht, die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten in staatseigene Firmen umzuwandeln.
(http://t1p.de/5bav)
MODERATORIN SUSPENDIERT
Aufsehen erregte wenige Tage nach dem Amtsantritt der neuen
Regierung die vorübergehende Suspendierung der Moderatorin Karolina
Lewicka vom öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender TVP Info. In
ihrer Sendung wollte sie von Kulturminister Gliński wissen, auf
welcher rechtlichen Grundlage dieser die Aufführung eines
Theaterstücks von Elfriede Jelinek verbieten wolle, und fragte
mehrmals hartnäckig nach.
Der Minister wurde ausfallend, nannte die Sendung ein
Propaganda-Programm und drohte mit Konsequenzen. Unmittelbar danach
wurde die Moderatorin wegen angeblicher "Abkehr von im öffentlichen
Fernsehen gültigen Standards" vom Dienst suspendiert, durfte nach
Protesten ihrer Kollegen jedoch vorerst wieder auf den Bildschirm
zurückkehren.
REGIERUNG WILL VERLAGE VON AUSLÄNDERN ZURÜCK KAUFEN
Auch den Zeitungsmarkt will die neue Regierung umstrukturieren und
nach den Worten von Kulturminister Gliński "die Medien von den
ausländischen Eigentümern zurückkaufen". Dies richtet sich vor allem
gegen deutsche Verlage, die in Polen über starke Marktanteile
verfügen.
Regierungssprecherin Elżbieta Kruk kritisierte die "Dominanz
deutschen Kapitals in den Medien" und kündigte eine "Repolonisierung"
der Medien an (http://t1p.de/5bav): Die Bauer Media Group zum
Beispiel gibt in Polen mehr als 30 Print-Titel mit einer
Verkaufsauflage von 300 Millionen Exemplaren pro Jahr heraus und
erreicht über die Radiosender ihrer RMF Group täglich zehn Millionen
Hörer. Sehr aktiv ist in Polen auch die Verlagsgruppe Passau, die 20
regionale Tageszeitungen mit einer Gesamtauflage von mehr als 810.000
herausgibt.
Noch stärker im Blick haben die neuen Machthaber aber vermutlich
die deutsch-schweizerische Ringier Axel Springer Media AG (RAS). Sie
gibt nicht nur die auflagenstärkste polnische Tageszeitung heraus,
das 2009 nach dem Vorbild der deutschen Bild-Zeitung gegründete
Boulevardblatt Fakt, sondern mit Newsweek Polska auch eines der
wichtigsten Nachrichtenmagazine im Land.
Newsweek-Chefredakteur Tomasz Lis zählt zu den bekanntesten
Journalisten Polens und ist ein scharfer Kritiker von PiS-Chef
Jarosław Kaczyński. Er leitete lange eine politische
Live-Diskussionssendung im öffentlich-rechtlichen TVP2, doch schon
einen Tag nach der Amtsübernahme der PiS-Regierung verkündete der
Sender das Aus für die Talkshow. Staatssekretär Czabański
erklärte: "So wie Lis momentan auftritt, gibt es keinen Platz für ihn
in den öffentlichen Medien. Er führt ein Progaganda-Programm."
(http://t1p.de/ct29)
ZIELSCHEIBE MULTIMEDIALE UNTERNEHMEN
Die Beteiligung ausländischer Verlage gesetzlich zu beschränken
wie in Russland, wo ausländische Unternehmen prinzipiell nicht mehr
als 20 Prozent an einem Medium besitzen dürfen, wird in Polen
schwierig, da sich das Land an EU-Recht halten muss. Die Regierung
werde stattdessen Bedenken gegen Monopole vorbringen, erklärte
Regierungssprecherin Kruk, die als Vorsitzende des Kulturausschusses
im Parlament entsprechende Gesetze mit erarbeitet. Die meisten
Verlage in Polen können sich aufgrund massiv gesunkener
Auflagenzahlen keine bloße Präsenz im Printsektor mehr leisten,
sondern betreiben zusätzlich Internetportale, Radio- und
Fernsehsender, Fotoagenturen oder Buchverlage.
Dies trifft auch für die polnische Mediengruppe Agora zu, die
unter anderem die linksliberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza
herausgibt. Geleitet vom ehemaligen
Solidarność-Bürgerrechtler Adam Michnik, kritisiert sie die
neue Regierung heftig. Als PiS-Regierungschefin Beate Szydło
versuchte, nicht genehme Erkenntnisse einer staatlichen
Untersuchungskommission zum Flugzeugunglück in Smolensk aus dem
Internet zu tilgen, stellte die Gazeta Wyborcza diese kurzerhand auf
ihre Seite. Im Zuge des großangelegten Medienumbaus, den die
Regierung nun plant, nannte Staatssekretär Czabański die
Agora-Gruppe bereits als Beispiel für eines jener Medienmonopole, die
schädlich für den öffentlichen Diskurs seien.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Polen momentan auf
Platz 18 von 180 Staaten. Weitere Informationen über die Lage der
Journalisten und Medien in Polen finden Sie unter
http://en.rsf.org/poland.html.
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Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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