(ots) -
Sonntag, 31. Januar 2016, 24.00 Uhr
Precht
Komplexe Welt - Ratlose Menschen
Richard David Precht im Gespräch mit Alexander Kluge, Filmemacher und
Schriftsteller
Ist unser Leben heute so komplex geworden, dass wir es nicht mehr
beherrschen können? Darüber spricht Richard David Precht mit dem
Filmemacher und Schriftsteller Alexander Kluge.
Wir leben heute in der komplexesten Welt, die es je gab. Das
globalisierte und digitalisierte Zeitalter liefert uns eine
unüberschaubare Menge an Daten und Informationen. Doch je mehr wir
wissen, umso weniger scheinen wir zu wissen, was wir tun sollen.
Angesichts der global über uns hereinbrechenden Konflikte - wie etwa
der Bewältigung der Flüchtlingskrise, der allgegenwärtigen Bedrohung
durch Terror oder der Ohnmacht vor den immer unvorhersehbareren
Verstrickungen im Finanzmarkt - fühlen sich viele Menschen vermehrt
überfordert, ratlos und vor allem verängstigt. Auch unsere Politiker
und andere Entscheidungsträger sind davon offenbar nicht ausgenommen.
Alles hängt mit allem zusammen, sagt Büchner-Preisträger Alexander
Kluge. Er sieht jedoch in krisenhaften Zeiten Chancen für positive
Fortentwicklungen. Nur Gesellschaften, die sich selbstgenügsam
abschotten, verfallen in Stagnation und Stillstand, so Kluge.
Viele flüchten sich in blinden Aktionismus, andere zeigen sich
vermehrt für Verschwörungstheorien empfänglich. Der
Verschwörungstheoretiker braucht das Gefühl, mehr zu wissen als alle
anderen. So überwindet er seine Ohnmacht vor einer Welt, die er nicht
mehr durchschaut, und die ihm zunehmend ungerecht erscheint. Das
Bedürfnis nach Vereinfachung ist verlockend und tröstend.
So mancher zieht sich bereits vom offenen, ungeschützten Feld des
Globalen in seine nationalistischen und privaten Festungen zurück.
Doch auch in unserer ganz persönlichen Lebenswelt haben sich die
Zusammenhänge potenziert. Mehr als in jeder Zeit zuvor verwischt sich
heute das, was wir Realität nennen, untrennbar mit allgegenwärtigen
Fiktionen. Die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Fiktion
scheint immer unbedeutender zu werden, so Richard David Precht. Die
Illusion hat für uns heute annähernd den gleichen Reiz wie die
Wahrheit, wenn sie nur unterhaltsam genug ist. Wir definieren uns
immer weniger über unsere Persönlichkeit, sondern kreieren
stattdessen fiktive Profile, legen User-Accounts an und vernetzen uns
ins Unendliche.
Stiftet das Netz Zusammenhänge oder verwirrt es nicht eher die
Menschen? Aus dem Strom der unendlichen Daten und Meinungen droht ein
Meer der Beliebigkeit zu werden, ein Ozean der Bedeutungslosigkeit.
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