(ots) -
Sturmgewehre und Pistolen aus Bundeswehrbeständen, von der
Bundesregierung an die kurdische Autonomieregierung im Nordirak
geliefert, werden inzwischen auf Waffenmärkten im Nordirak angeboten.
Das ergaben Recherchen von NDR und WDR in der kurdischen
Autonomieregion. In den Städten Erbil und Suleymanniya fanden die
Reporter mehrere Sturmgewehre des Typs G3 und eine Pistole des Typs
P1 mit der eingravierten Abkürzung "Bw" für Bundeswehr. Offenbar, so
die Recherchen, verkaufen Peschmerga-Kämpfer ihre Dienstwaffen, weil
sie wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage im Land seit Monaten
keinen Sold erhalten haben.
Sturmgewehre vom Typ G3, Baujahr 1986, werden auf den Märkten zu
einem Preis von 1450 bis 1800 US-Dollar angeboten. Die Pistole P1 des
deutschen Herstellers Walther lag im Schaufenster eines
Waffengeschäftes in Suleymanniya aus - sie wurde für 1200 US-Dollar
angeboten und war noch in einem Karton mit deutscher Beschriftung
originalverpackt.
In Berlin trafen die Reporter von NDR und WDR einen ehemaligen
Peschmerga, der noch bis vor kurzem im Fronteinsatz gegen den IS
gekämpft hat und nun mit seiner Familie als Asylbewerber in
Deutschland lebt. Er berichtet, dass er seine Dienstwaffe, eine
Kalaschnikow, verkauft habe, um die Flucht nach Deutschland zu
finanzieren. Angesichts fehlender Soldzahlungen, die fünf Monate
ausgeblieben waren, sah der Mann für sich und seine Familie keine
Perspektive mehr im Nordirak. Er berichtet zudem, dass es viele
Peschmerga gäbe, die Ähnliches planten oder bereits nach Deutschland
geflohen seien. Offiziellen Stellen in der kurdischen
Autonomieregierung ist das Problem desertierter Peschmerga bekannt.
Der Gouverneur der Provinz von Kirkuk, Nadjmeddin Karim, erklärte im
Interview mit NDR und WDR, er verurteile desertierte Soldaten nicht.
Die kurdische Regierung sei mangels finanzieller Mittel nicht in der
Lage, Staatsbedienstete, darunter auch die Peschmerga, regelmäßig zu
bezahlen.
Der Bundestagsabgeordnete und Waffenexperte Jan van Aken (Die
Linke) fordert die Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen
(CDU) angesichts der Recherchen auf, weitere Waffenlieferungen sofort
zu stoppen und den Sachverhalt aufzuklären: "Ich will wissen, wie
viele deutsche Waffen schon auf dem Schwarzmarkt gelandet sind." 2014
hatte die Bundesregierung begonnen, kurdische Peschmerga im Nordirak
u. a. mit Sturmgewehren, Maschinengewehren und Panzerabwehrraketen
auszurüsten, um sie im Kampf gegen den selbsternannten Islamischen
Staat zu unterstützen. Zudem wurden Bundeswehrsoldaten in den
Nordirak entsandt, um die Peschmerga zu trainieren. Aktuell plant die
Bundesregierung weitere Lieferungen von Waffen an die kurdischen
Streitkräfte. Dabei räumte die Bundeswehr im vergangenen Jahr bereits
ein, dass ihr nicht bekannt ist, an welche Einheiten die deutschen
Waffen ausgehändigt werden - eine Endverbleibskontrolle scheint damit
für die Bundesregierung nicht möglich zu sein.
Das Bundesverteidigungsministerium erklärte auf Anfrage von NDR
und WDR, die Regierung der Region Kurdistan-Irak stehe in der
Verantwortung. Sie habe sich zu einer "korrekten Nachweisführung der
übergebenen Waffen verpflichtet" sowie dazu, das gelieferte Material
im Einklang mit dem Völkerrecht einzusetzen. Eine Nachverfolgung
einzelner Waffen durch deutsche Kräfte sei weder beabsichtigt noch
möglich, so das Ministerium. "Ein Verkauf einzelner Waffen kann
allerdings auch weiterhin nicht mit abschließender Sicherheit
ausgeschlossen werden." Dennoch nehme die Bundesregierung sämtliche
Meldungen und Hinweise in diesem Zusammenhang auf, um sie umfassend
zu prüfen.
Die Tagesthemen im Ersten zeigen zu dem Thema am Donnerstag, 21.
Januar, um 22.15 einen Beitrag. Autoren sind Volkmar Kabisch, Georg
Heil und Amir Musawy
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Tel.: 040/4156-2304