(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier auf, bei seinem Besuch im
Iran in dieser Woche die gravierenden Verletzungen der Pressefreiheit
in der Islamischen Republik öffentlich zu benennen.
"Präsident Hassan Rohani ist zwar als Reformer angetreten, aber
tatsächlich ist die Lage für Journalisten in seiner Amtszeit kaum
besser als unter seinem Vorgänger Mahmud Ahmadinedschad", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Spätestens jetzt, da das Land
die wirtschaftlichen Früchte des Atomabkommens erntet, gibt es selbst
nach iranischen Maßstäben keine Entschuldigung mehr für die
unverminderten Repressionen gegen kritische Journalisten."
Allein seit Rohanis Wahl zum Präsidenten im Juni 2013 sind im Iran
mindestens 50 Journalisten verhaftet worden. Einige von ihnen wurden
zu langen Haftstrafen verurteilt, elf Zeitungen wurden geschlossen
(http://t1p.de/fabm). Zensur der traditionellen Medien und des
Internets ist tägliche Praxis. Viele Journalisten sitzen unter
katastrophalen, teils lebensbedrohlichen Bedingungen im Gefängnis.
Die jüngste Repressionswelle scheint darauf abzuzielen, vor der
Parlamentswahl am 26. Februar kritische Journalisten und Medien
vorbeugend einzuschüchtern.
VERHAFTUNGEN UND VERHÖRE IM VORFELD DER PARLAMENTSWAHL
Unter anderem kam jüngst die Journalistin Rihaneh Tabtabai ins
Gefängnis, die für Reformzeitungen wie Schargh, Etemad und Bahar
gearbeitet hat. Ein Revolutionsgericht hatte sie im November 2014
wegen Propaganda gegen die Regierung und Gefährdung der nationalen
Sicherheit zu einem Jahr Haft sowie einem anschließenden zweijährigen
Verbot journalistischer und politischer Tätigkeit verurteilt. Nachdem
ein Berufungsgericht die Strafe nun bestätigte, wurde Tabtabai am 12.
Januar verhaftet (http://t1p.de/lgr8). Es ist ihre vierte Verhaftung
seit 2009.
Wenige Tage zuvor wurde Meisam Mohammadi in Haft genommen, ein
ehemaliger politischer Redakteur der 2009 von den Behörden
geschlossenen Tageszeitung Kalameh Sabas, die dem damaligen
Präsidentschaftskandidaten Mir Hossein Mussawi gehört. Mohammadi war
im Mai 2012 zu vier Jahren Haft sowie einem fünfjährigen Verbot
journalistischer und politischer Betätigung verurteilt worden, konnte
jedoch wegen des laufenden Berufungsverfahrens zunächst auf Kaution
auf freiem Fuß bleiben. Kalameh-Sabas-Eingentümer Mussawi und der
ehemalige Parlamentspräsident Mehdi Karubi, dem die geschlossene
Zeitung Etemad Melli gehört, werden weiterhin ohne rechtliche
Grundlage in Hausarrest gehalten.
Am 4. Januar wurde nach einer Razzia in seinen Wohnräumen Farsad
Purmoradi festgenommen, der für verschiedene Medien in der Provinz
Kermanshah arbeitet (http://t1p.de/px9o). Er hatte beim sozialen
Netzwerk Telegram die Seite Kalaghnews gegründet, die über lokale
Nachrichten und die Wahlvorbereitungen in der Region berichtet.
Konservative, den Revolutionsgarden nahestehende Medien hatten ihn
dafür scharf angegriffen. Vier weitere Journalisten - Afarine Chitsas
(Iran), Ehssan Masandarani (Farhichteghan), Saman Safarsai (Andischer
Poya) und Issa Saharkhis (freier Journalist) - werden seit dem 2.
November von den Behörden festgehalten (http://t1p.de/aybn). Einige
weitere wurden in den vergangenen Wochen zu Verhören vorgeladen.
REFORMZEITUNGEN GESCHLOSSEN, INTERNET ZENSIERT
Am 3. Januar gab die Justiz die Schließung der Reformzeitung Bahar
bekannt (http://t1p.de/px9o). Als Begründung wurde Propaganda gegen
die Regierung angegeben sowie die Veröffentlichung von Artikeln, die
die Grundlagen der Islamischen Republik in Frage gestellt hätten. Die
Zeitung war schon einmal im November 2013 geschlossen worden.
Anfang Dezember leitete die Teheraner Staatsanwaltschaft ein
Verfahren gegen die älteste iranische Tageszeitung Ettelaat und deren
Chefredakteur Mahmud Doaei ein (http://t1p.de/9o98). Ettelaat habe
mit dem Nachdruck eines zuerst in einer libanesischen Zeitung
veröffentlichten Interviews des früheren Präsidenten Mohammed Chatami
gegen ein Verbot verstoßen.
Auch die Internetüberwachung und -zensur ist unter Präsident
Hassan Rohani nur kosmetisch gelockert worden. Statt dem zuvor
propagierten "nationalen Internet" ist nun von "intelligentem
Filtern" der Inhalte die Rede. Das Ergebnis ist dennoch, dass Irans
Bürger ohne technische Tricks nur selektiven, staatlich
kontrollierten Zugang zum Internet und insbesondere zu den sozialen
Netzwerken haben. Der Iran betreibt eines der weltweit
ausgefeiltesten Systeme der Internetzensur und -überwachung.
SCHWER KRANKE INHAFTIERTE ERHALTEN KEINE ANGEMESSENE BEHANDLUNG
Besonders besorgniserregend ist die Situation einiger inhaftierter
Medienschaffender, denen die Behörden trotz schwerer
Gesundheitsprobleme eine angemessene medizinische Behandlung
verweigern (http://t1p.de/m88a). Lebensbedrohlich ist etwa die Lage
des Bürgerjournalisten Hossein Ronaghi Malki, der mehrere
Nierenoperationen hinter sich hat. Er wurde ursprünglich im Dezember
2010 verhaftet und im vergangenen Juni aus Gesundheitsgründen gegen
eine Kaution von rund einer halben Million Euro freigelassen. Am 20.
Januar wurde er entgegen ärztlichem Rat wieder in Haft genommen, um
seine 17-jährige Haftstrafe weiter zu verbüßen. Nach iranischem
Strafrecht hätte er schon freigelassen werden müssen, da er seine
Hauptstrafe verbüßt hat.
Der Journalist Said Rasawi Faghih wird seit Ende Februar 2014
festgehalten und hätte vergangenen März nach dem Ende einer
einjährigen Haftstrafe freigelassen werden sollen. Stattdessen wurde
er in einem unfairen Prozess zu weiteren dreieinhalb Jahren Gefängnis
verurteilt, weil er Propaganda gegen die Regierung betrieben sowie
Revolutionsführer Ali Chamenei und die Expertenversammlung beleidigt
habe. Seit einer Herzoperation im Januar 2015 hat sich Faghihs
Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Ende November erlitt er
Schnittwunden im Gesicht, als in seiner Gefängnisabteilung zwei als
gewalttätig bekannte Häftlinge mehrere politische Gefangene
angriffen.
Das Berliner Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen hat sich
2015 in elf Fällen für verfolgte Journalisten aus dem Iran engagiert.
Derzeit sind in dem Land mindestens 38 Journalisten und Blogger wegen
ihrer Tätigkeit im Gefängnis. Auf der Rangliste der Pressefreiheit
steht die Islamische Republik auf Platz 173 von 180 Staaten. Weitere
Informationen zur Lage der Journalisten und Blogger im Iran finden
Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/iran/.
Pressekontakt:
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Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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