(ots) - Der frühere Bürgermeister des Berliner Bezirks
Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), wirft Bundeskanzlerin Merkel die
Spaltung des Landes vor. "Die Kanzlerin hat uns ein Problem beschert,
das uns die nächsten 10 bis 20 Jahre beschäftigen wird. Sie hat damit
eins erreicht: Sie hat das Land gespalten", sagt Buschkowski der in
Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen (Montagausgabe). Niemand
nehme es ernst, wenn die Kanzlerin erkläre, Flüchtlinge müssten
wieder zurück. "Menschen aus den ärmsten Winkeln der Welt sind
gefühlt im Paradies angekommen. Ich habe mit einer 18-köpfigen
Flüchtlingsfamilie im Zug gesessen. Das bedeutet rund 6.000 Euro
Sozialleistungen. Glauben Sie, dass diese Familie je wieder in den
Hunger zurückgeht?", so Buschkowsky. Da halte sich "doch jeder den
Bauch vor Lachen". Man müsse es nun hinbekommen, dass die Integration
gelinge. "Da gibt es reichlich Hürden, die man nicht mehr benennen
darf, ohne Rassist oder islamophob geschimpft zu werden". Europa
müsse aufwachen aus der Isolation nationaler Interessen. Buschkowski
plädiert zugleich für ein Einwanderungsgesetz: "Hätten wir ein
Einwanderungsgesetz, wäre alles leichter zu handhaben gewesen."
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Herr Buschkowsky, die Integration von Migranten in den
Arbeitsmarkt ist eine zentrale Zukunftsfrage für Deutschland. Ist
diese Aufgabe lösbar? HEINZ BUSCHKOWSKY: Das wird die Zukunft zeigen.
Wehe uns, wenn wir wieder versagen. Im Moment kommt Gott sei Dank
mehr Realismus in die Debatte. Integration in den Arbeitsmarkt geht
nicht hopplahopp. Das ist ein mühevoller und langwieriger Prozess,
zum Teil über Generationen. In Schweden lehrt die Erfahrung, dass es
durchschnittlich sieben Jahre dauert, bis ein Migrant im Arbeitsmarkt
Fuß gefasst hat. Die Prognosen für den Arbeitsmarkt sind eher düster.
BUSCHKOWSKY: Ja, Arbeitsministerin Andrea Nahles rechnet mit bis zu
500.000 Flüchtlingen im Hartz-IV-Bezug. Es fehlen Basiskompetenzen
und die Sprache. Diese Mängel kann man nicht in ein paar Monaten mit
ehrenamtlichen Helfern wettmachen. Vor uns liegt ein langer Weg und
kein gesellschaftlicher Schnupfen, den wir mit ein paar Tabletten
verjagen. Kann der Mittelstand Fachkräfte aus der Gruppe der
Migranten gewinnen? BUSCHKOWSKY: Als Endabnehmer sicher. Aber der
Meister mit fünf Gesellen ist völlig überfordert, wenn er Sprache,
Beruf und Kultur im Arbeitsprozess nebenbei vermitteln soll. Training
on the Job, also Schrauben und Lernen, geht nur in der Industrie. Die
Menschen müssen sich daran gewöhnen, dass auch eine Chefin sagt, wo's
langgeht, und der Kollege ein Brot mit Leberwurst isst. Welche
Erfahrungen haben Sie in Sachen Integration in Neukölln gemacht?
BUSCHKOWSKY: Dass nichts von allein geschieht, schon gar nicht bei
der Integration. Es ist Sozialromantik, zu glauben, dass alle
Einwanderer von dem Gedanken beseelt sind, sich zu integrieren. Das
ist harte Arbeit, und da leben manche nach dem Prinzip des Wassers:
immer den leichtesten Weg nehmen. Doch das Leben nur untereinander in
Parallelgesellschaften ist das Gegenteil von Integration. Viele
Einwanderer haben sich eingerichtet, aber nicht angestrengt. Nahles
sagt: Wo Anstrengungen bei der Integration unterbleiben, dort kürzen
wir Sozialleistungen. Der Satz könnte von mir sein. Wo sind die
Grenzen der Integrationsfähigkeit? BUSCHKOWSKY: In einem geordneten
Verfahren sind sie recht weit gesteckt. Im Moment fehlt uns nicht die
Fähigkeit, sondern wir haben ein Massenproblem. Unsere Behörden waren
nicht darauf eingestellt, täglich Tausende Menschen logistisch zu
versorgen und individuell zu erfassen. Deswegen wissen wir bis heute
nicht, wer im Land ist. Hätten wir ein Einwanderungsgesetz, wäre
alles leichter zu handhaben gewesen. Wahrscheinlich wären wir sogar
dem Chaos entkommen. Wie groß ist das Problem der Kriminalität von
Migranten? BUSCHKOWSKY: Natürlich gibt es auch da Kriminalität. Wie
überall. Es kommen nicht 1,1 Millionen Menschen ins Land, und alle
sind Mutter Teresas Enkel. Die Konsumverlockung in den Regalen ist
groß. Zudem sind große Mengen von alleinstehenden jungen Männern
immer ein Gefährdungspotenzial. Kommt dann ein Frauenbild gemischt
aus Tradition, Kultur und Islam hinzu, dann laufen die Dinge schon
einmal aus dem Ruder. Silvester in Köln war nicht in der Sache,
sondern in der Dimension überraschend. Mich hat irritiert, dass
unsere Staatsmacht vor 1.000 betrunkenen jungen Männern davonläuft.
Die Schwindeleien und Reinwaschungen hinterher waren nur peinlich.
Welche Rezepte können gegen Ghettobildung helfen? BUSCHKOWSKY:
Stadtviertel wie Neukölln, Duisburg-Marxloh und wie sie alle heißen
sind Opfer der Parallelgesellschaften und Ghettobildungen. Niemand
hat früher den ethnischen Clustern entgegengewirkt. Staatliche
Regulierung war verpönt. So entstanden soziale Brennpunkte, in denen
die nachfolgende Generation so gut wie keine Chance hat. Ende der
1980er Jahre war man bei der Aussiedlerwelle schlauer und verteilte
sie aufs Land. Wer Integration will, muss die Begegnung mit den
Menschen organisieren. Keiner will aufs Land, aber wir müssen unsere
Städte vor Überforderung und Verlust der Urbanität schützen. Eine
erneute Wohnsitzauflage wie für die Spätaussiedler ist der richtige
Weg, zumal er vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet ist. Wo läuft
die Integrationsdebatte in Deutschland in eine falsche Richtung?
BUSCHKOWSKY: Ohne Zehntausende Freiwillige wäre es zu einer
menschlichen Katastrophe gekommen. Aber man darf die Realität des
Lebens nie aus den Augen verlieren. La Ola und Tausende von Selfies
haben eine ungeheure Magnetwirkung. Wir müssen neue Strukturen
schaf-fen. Allein für die Sprachausbildung fehlen 20.000 Lehrer, die
es auf dem Markt nicht gibt. 350.000 schulpflichtige
Flücht-lingskinder warten auf einen Platz in der Schule.
Hunderttausende Wohnungen müssen gebaut und
Arbeitsplatzqualifikationen vermittelt werden. Das kostet Geld. Im
Moment geistert der Betrag von 25 Milliarden Euro im Jahr durch die
Medien. Dagegen war die Griechenlandpleite ein Kindergeburtstag. Was
muss sich also ändern? BUSCHKOWSKY: Frau Merkel erklärte den
Grenzverzicht, und die Menschen kamen und kommen. Wir können aber
nicht pro Woche Tausende aufnehmen, und keiner merkt was. Dieses Jahr
wird vermutlich wieder eine Million Flüchtlinge kommen. Wir stoßen
schon an unsere Grenzen. Der Zustrom muss eingedämmt werden.
Entschleunigt, sagen die SPD-Innenminister. Doch 8 bis 10 Millionen
sind noch unterwegs, lautet die Prognose von Entwicklungsminister
Müller. Europa muss aufwachen aus der Isolation nationaler
Interessen. Was raten Sie der Kanzlerin? BUSCHKOWSKY: Ich würde ihr
sagen: Die Paste ist aus der Tube. Wir müssen aufhören, den Leuten
weiszumachen, dass alles kein Problem ist. Wenn die Kanzlerin
erklärt: Die Flüchtlinge müssen wieder zurück, wenn dort die Krisen
vorbei sind, hält sich doch jeder den Bauch vor Lachen. Wann soll das
sein? Menschen aus den ärmsten Winkeln der Welt sind gefühlt im
Paradies angekommen. Ich habe mit einer 18-köpfigen
Flüchtlingsfamilie im Zug gesessen. Das bedeutet rund 6.000 Euro
Sozialleistungen. Glauben Sie, dass diese Familie je wieder in den
Hunger zurückgeht? Egal, ob es uns passt: Wir müssen es hinbekommen,
dass das mit der Integration klappt. Da gibt es reichlich Hürden, die
man nicht mehr benennen darf, ohne Rassist oder islamophob geschimpft
zu werden. Ist der Grund dafür eine fehlende Streitkultur?
BUSCHKOWSKY: Neukölln ist heute kein sozialer Brennpunkt mehr,
sondern "ein Stadtgebiet mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf".
Schläger sind verhaltensindividuelle Menschen und Schulschwänzer
schuldistanzierte Jugendliche. Wir verniedlichen alles. Probleme will
keiner mehr hören. Das behindert Politik. Es wird nicht mehr gesagt,
was Sache ist. Wo kein Problem ist, muss man auch keines lösen. Wer
unsere Werte auf dem Altar der Beliebigkeit opfert, verschafft
Kulturrelativismus und damit dem Werteverfall freie Bahn. Wie gelingt
es, die Flüchtlingsdebatte wieder in sachliche Bahnen zu lenken?
BUSCHKOWSKY: Das wird sehr schwer. Falsch verstandenes, aber
grenzenloses Gutmenschentum gepaart mit aufopferndem Helfersyndrom
auf der einen Seite und brandschatzende Rechtsradikale auf der
anderen. Die Volksparteien beschließen Placebos, und die Grünen
wollen ein anderes Land. Das Volk will das nicht. Die Kanzlerin hat
uns ein Problem beschert, das uns die nächsten 10 bis 20 Jahre
beschäftigen wird. Sie hat damit eins erreicht: Sie hat das Land
gespalten. Ãœber den Rest urteilt das Geschichtsbuch.
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