(ots) - Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen
Bundestages hat erhebliche Zweifel an der europarechtlichen
Zulässigkeit von Schiedsverfahren für Investoren, wie sie mit den
geplanten Freihandelsabkommen eingeführt werden sollen. In dem
Gutachten der Parlamentswissenschaftler, das der
Verbraucherorganisation foodwatch vorliegt, ist von "vielen und teils
offenen Rechtsfragen" die Rede. Demnach könnten Schiedsverfahren
insbesondere die "Autonomie der Unionsrechtsordnung" und die
Befugnisse des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) untergraben, in
dessen alleiniger Zuständigkeit die "letztverbindliche Auslegung des
Unionsrechts" liegt. Sowohl das europäisch-kanadische Handelsabkommen
CETA, das kurz vor der Verabschiedung steht, als auch der geplante
TTIP-Vertrag zwischen EU und USA sehen die Einführung einer
Sonderjustiz vor, mit deren Hilfe Investoren Schadenersatzansprüche
gegen Staaten geltend machen können.
"Die geplanten Abkommen würden eine inakzeptable Paralleljustiz
für Unternehmen einführen. Das ist einer von zahlreichen Gründen,
zunächst CETA und schließlich TTIP zu stoppen", erklärte Lena
Blanken, Volkswirtin bei foodwatch. "Schiedsgerichte ebenso wie der
neuerdings diskutierte Investitionsgerichtshof würden Investoren
gefährliche Sonderrechte einräumen: Sie könnten Staaten auch dann auf
Milliardensummen verklagen, wenn sie vor den ordentlichen Gerichten
keine Chance auf Schadenersatz hätten. Durch solche Klagerechte
werden Staaten erpressbar gemacht."
Das 36 Seiten umfassende Gutachten (Ausarbeitung PE 6-3000-25/15),
das allen Bundestagsabgeordneten zur Verfügung steht, stammt vom 24.
März 2015. Der Wissenschaftliche Dienst vergleicht darin die
europarechtlich vorgegebene Rolle des EuGH mit den Plänen zur
Einführung von Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS -
Investor-State-Dispute-Settlement) im fertig ausgehandelten
CETA-Vertragsentwurf. Auch das geplante TTIP-Abkommen sieht die
Einführung einer Sonderjustiz für Investoren vor. Anstelle von
privaten Schiedsgerichten wollen die Europäische Kommission und
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hier einen internationalen
Investitionsgerichtshof installieren. Die von den
Parlamentswissenschaftlern vorgetragenen Bedenken beziehen sich
explizit auf CETA, die Argumentation ist jedoch gültig für beide
Modelle.
Der Studie zufolge "könne die Einräumung eines alternativen
Rechtswegs in Form des ISDS dazu führen, dass bestimmte Fragen des
EU-Rechts eben dort und nicht mehr durch mitgliedstaatliche Gerichte
behandelt würden, so dass auch diesbezüglich Vorlagen an den EuGH
ausgeschlossen wären." Die Gutachter zeichnen beispielsweise die
Gefahr, dass Investoren mit ihren Klagen vor Schiedsgerichten die
Autonomie der EU-Gerichtsbarkeit bei der Prüfung von EU-Beihilfen für
Unternehmen unterlaufen könnten: Es sei "unklar [...], wie der EuGH
die möglichen tatsächlichen Auswirkungen von
Schiedsgerichtsentscheidungen auf das Unionsrecht und auf die
Zuständigkeiten des EU-Gerichtshofs beurteilen würde. Problematisch
könnten derartige Auswirkungen insbesondere dann sein, wenn
Entschädigungen, die Investoren in Verfahren gegen die EU
zugesprochen werden, in Widerspruch zu unionsrechtlichen
(Rück-)Zahlungspflichten treten würden, etwa im EU-Beihilferecht bei
Rückforderung von unionsrechtswidrig gewährten staatlichen
Beihilfen."
Der Wissenschaftliche Dienst empfiehlt deutlich, die offenen
Rechtsfragen dem EuGH zur Begutachtung vorzulegen. Ob dies erfolgt
ist, ist foodwatch nicht bekannt.
Redaktioneller Hinweis
- Gutachten PE 6-3000-25/15 des Wissenschaftlichen Dienstes, von
foodwatch veröffentlicht: www.tinyurl.com/hysek4y
Pressekontakt:
foodwatch e.v.
Martin Rücker
E-Mail: presse(at)foodwatch.de
Tel.: +49 (0)30 / 24 04 76 - 2 90