Die europäischen und japanischen Aktienmärkte haben ausgehend von den Hochs des Jahres 2015 jeweils über 20% und die der USA rund 15% eingebüßt. Angesichts dieser Tatsache stellt sich die Frage, ob diese Bewegung eine einfache Korrektur ist oder der Anfang eines strukturellen Baissemarkts.
In den vergangenen 20 Jahren erlebten die Börsenindizes zwei echte Baissemärkte, nämlich zwischen Anfang 2000 und Anfang 2003 sowie von Ende 2007 bis Anfang 2009. In beiden Fällen war der Rückgang so stark, dass die Indizes erst nach mehreren Jahren wieder ihr Ausgangsniveau erreichten.
(firmenpresse) - Diesen beiden Baissemärkten lagen sehr unterschiedliche Konstellationen zugrunde. Im Jahr 2000 spielten exzessive Bewertungen eine wichtige Rolle. Allerdings bewegten sich damals nur bestimmte Branchen und nicht der gesamte Markt auf einem übertriebenen Bewertungsniveau. Das Phänomen betraf vor allem Internet-nahe Sektoren. In der Folge brachen diese Branchen radikal ein: Selbst die Kurse von Qualitätswerten sackten in die Tiefe, wie das Minus von über 60% bei Microsoft zeigt. In anderen Branchen fiel der Rückgang wesentlich moderater aus. Viele Unternehmen registrierten 2002 sogar höhere Kurse als 2000. Anleger fuhren Anfang 2000 deshalb am besten, wenn sie auf Aktien aus den stark überbewerteten Branchen verzichteten. Da alle Bewertungskennzahlen dieser Branchen im roten Bereich waren, stellte dies im Prinzip kein Problem dar. (Erschwert wurde dieser Ansatz allerdings durch die Tatsache, dass die Kennzahlen bereits lange vor Beginn des Baissemarktes im roten Bereich lagen. Dies hatte jedoch nicht verhindert, dass die Kurse weiter massiv anstiegen. Viele Anleger investierten in der festen Überzeugung, am Anfang einer neuen Ära zu stehen, daher weiter in diese Werte.)
Anfang 2008 sah die Situation ganz anders aus, denn es gab keine Börsenblase in einem spezifischen Sektor. Die Marktbewertung hatte insgesamt ein relativ hohes Niveau erreicht, das jedoch keineswegs den nachfolgenden Einbruch gerechtfertigt hätte. Die Ursachen dieser Talfahrt lagen auf der Wirtschafts- und Finanzebene. Der Rückgang am US-amerikanischen Immobilienmarkt erfasste wegen der Verbriefung der US-amerikanischen Hypothekenkredite die internationalen Märkte. Er brachte das Finanzsystem an den Rand des Abgrunds und löste eine weltweite Rezession sowie erhebliche Gewinneinbußen bei den Unternehmen aus. Anleger waren in diesem Fall am besten beraten, auf Aktien zu verzichten und in Staatsanleihen zu investieren.
Wie sieht die Situation heute aus? Parallelen zum Jahr 2000 sind nicht auszumachen: Einerseits gibt es in keinem Segment eine Blase, und andererseits scheint die Verfassung der Wirtschaft heute wesentlich besorgniserregender zu sein.
Die heutige Situation ähnelt eher der Lage im Jahr 2008. So lässt der Ölpreisverfall einige befürchten, dass der Energiesektor negativ auf die anderen Branchen ausstrahlen könnte – ähnlich wie damals der vom Immobilienmarkt ausgehende Ansteckungseffekt. Die Ausweitung der Renditedifferenz gegenüber Staatsanleihen von Anleihen schlechterer Qualität und der starke Preisanstieg bei Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) für den Bankensektor sind zwei Phänomene, die 2008 ebenfalls zu beobachten waren.
Doch auch wenn gewisse Parallelen zu 2008 bestehen: Die Unterschiede dominieren. In gewisser Hinsicht ist die aktuelle Situation schlimmer als damals, in anderer Hinsicht wiederum besser. Die Faktoren, die unsere heutige Lage schlimmer erscheinen lassen, sind eher struktureller Natur. Jene, die sie günstiger erscheinen lassen, haben einen zyklischen Charakter.
Zunächst zu den negativen Faktoren: Die Weltwirtschaft hat sich nie vollständig von der Krise 2008/2009 erholt. Selbst in den USA fiel der anschließende Aufschwung ungewohnt schwach aus – vor allem angesichts der ganzen Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft. Zahlreiche strukturelle Hindernisse belasten die Konjunktur unverändert, angefangen bei der historisch hohen Verschuldung (die in den vergangenen Jahren noch deutlich gestiegen ist). Bis 2008 war das Überschuldungsproblem allerdings hauptsächlich auf den privaten Sektor beschränkt. Heute betrifft es hingegen auch den öffentlichen Sektor.
Der zweite wichtige Unterschied im Vergleich zu 2008: Die Zentralbanken haben ihre konventionellen Maßnahmen ausgeschöpft, mit denen sie auf eine neue Konjunkturverlangsamung reagieren können. In fast allen Industrieländern liegen die Zinsen bereits bei oder nahe 0%. Die Zentralbanken agieren in einem Bereich, der eigentlich nicht zu ihren Aufgaben zählt – Wachstumsbelebung und Inflationssteigerung – und ergreifen dabei mittlerweile unorthodoxe Maßnahmen. Dabei wurde die Glaubwürdigkeit der geldpolitischen Behörden beschädigt, weil das angestrebte Ergebnis ausblieb.
Das Wachstumsmodell der vergangenen Jahrzehnte war von Kreditfinanzierungen und geldpolitischen Lockerungen geprägt, die quasi als Allheilmittel eingesetzt wurden. Genau dieses Modell scheint jetzt in Frage gestellt. Notwendige strukturelle Reformen und eine kohärente Wirtschaftsstrategie lassen gleichzeitig weiter auf sich warten.
Die aktuelle Wirtschaftslage erinnert in gewissen Punkten an die Jahre 1920-1950. Zwischen 1913 und 1950 verzeichnete die Weltwirtschaft mit knapp 1,9% p.a. ebenfalls ein schwaches Wachstum (Quelle: OECD Millennial Review). Ähnlich wie heute bestanden erhebliche soziale Ungleichgewichte. Der Börsencrash von 1929 und die anschließende Wirtschaftskrise erschütterten das Vertrauen in die Marktwirtschaft. Dies führte zu einer Überregulierung, die jeglichen Unternehmergeist im Keim erstickte. Gleichzeitig wurden die Zinsen nicht mehr durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bestimmt, sondern von den Behörden festgelegt. Kapitalbewegungen wurden kontrolliert und begrenzt. Die meisten Länder versuchten, ihre Wirtschaft durch wettbewerbsverzerrende Währungsabwertungen anzukurbeln. Gleichzeitig schreckten sie auch nicht vor protektionistischen Maßnahmen zurück. Viele dieser Tendenzen lassen sich auch heute beobachten.
Die Betrachtung des Zeitraums 1920-1950 zeigt noch etwas: Die beiden Baissemärkte in den 2000er-Jahren waren sicherlich dramatisch, aber sie waren nichts im Vergleich zu dem, was sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ereignet hatte. Der Dow Jones brauchte nach dem Börsencrash 25 Jahre, um wieder das Niveau von 1929 zu erreichen (nominal). Sobald die beiden für die Aktienrendite entscheidenden Faktoren – das Gewinnwachstum und das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), d.h. der Preis, den die Anleger bereit sind, für die Gewinne zu zahlen – rückläufig sind, entsteht enormer Schaden. Der Kurs eines Unternehmens mit einem Gewinn je Aktie von 10 EUR und einem KGV von 15 liegt bei 150 EUR. Gibt der Gewinn um 20% nach und sinkt das KGV auf 10, beträgt der Kurs nur noch 80 EUR, d.h. er bricht fast 50% ein.
Nun zu den positiven Faktoren: Hier fällt zuerst der Einbruch des wichtigsten Rohstoffs der Wirtschaft ins Auge, des Öls. Der Ölpreis ist seit dem zweiten Quartal 2014 um mehr als 70% in die Tiefe gerauscht. Die Weltwirtschaft erhielt hierdurch einen kräftigen Schub. Zum Vergleich: 2007 hatte sich der Ölpreis nahezu verdoppelt. In der Vergangenheit ging ein spürbarer Ölpreisanstieg meist mit einer Wachstumsverlangsamung einher, während ein Einbruch die Konjunktur beschleunigte.
Der zweite große Unterschied zu 2008 betrifft das Zinsniveau. Damals konnte ein Anleger am Geldmarkt oder bei hochwertigen Staatsanleihen noch eine Rendite von ca. 4% erzielen. Heute bewegt sich diese Rendite um die 0%, wenn sie nicht sogar negativ ist.
Das niedrige Zinsniveau steigert die Attraktivität von Aktien im Vergleich zu festverzinslichen Anlagen. Unter sonst gleichen Bedingungen rechtfertigt es ein höheres Bewertungsniveau von Unternehmen. Außerdem begrenzen die Niedrigzinsen das Überschuldungsproblem. Denn obwohl das Verschuldungsniveau (bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt) in den Industrieländern ein Allzeithoch erreicht hat, ist die Belastung durch diese Schulden weit von ihrem höchsten Stand entfernt, weil die Zinsen so außergewöhnlich niedrig sind. Man könnte sogar argumentieren, dass die Staaten ihre Schulden angesichts der negativen Renditen auf einem großen Teil der Staatsanleihen eigentlich erhöhen sollten. Bedauerlich ist es auf jeden Fall, dass diese Staaten ihre außergewöhnlich niedrigen Finanzierungskosten nicht für produktive Investitionen mit Multiplikatoreffekt nutzen.
Ausgangspunkt dieses Artikels war die Frage, ob der Kursrückgang der vergangenen Monate den Anfang eines Baissemarkts oder eine Korrektur in einem Haussemarkt markiert. Die Antwort hängt davon ab, welchen Faktoren mehr Bedeutung beigemessen wird – den strukturellen (negativen) oder den zyklischen (positiven). Mich persönlich beunruhigen die strukturellen Elemente (stark). Dennoch glaube ich, dass die zyklischen Elemente in den kommenden Monaten die Oberhand haben werden. Das Vertrauen in die Zentralbanken dürfte erschüttert, aber (noch) nicht zerstört sein. Ein weiterer massiver Einbruch an den Börsen würde die Ziele der Notenbanken gefährden. Deshalb lässt sich nicht ausschließen, dass sie immer extremere Maßnahmen ergreifen, um dieses Szenario zu verhindern (Kauf von Risikoanleihen, Aktien usw.?).
Ich tendiere daher dazu, den Börsen einen Vertrauensvorschuss zu geben und von einer Korrektur auszugehen. Vor allem auch, weil sich zuletzt verschiedene Faktoren, die das Anlegervertrauen in den zurückliegenden Monaten belasteten, verbesserten: China hat mittlerweile seine Wechselkurspolitik präzisiert, und die Zahlen zur US-Industrieproduktion im Januar deuten nicht auf eine Verschlimmerung der Rezession im verarbeitenden Gewerbe hin. Gleichzeitig stoppte die Ankündigung der Deutschen Bank, eigene Anleihen zurückzukaufen, die Talfahrt der Bankaktien, während sich der Preis von Öl und einigen anderen Rohstoffen offenbar stabilisiert.
Den wichtigsten positiven Faktor für Aktien habe ich jedoch für den Schluss aufgehoben: Seit dem zweiten Quartal 2015 sind die Aktienkurse um ca. 20% zurückgegangen, aber nicht die Unternehmensgewinne: Aktien sind also billiger geworden, und ihr langfristiges Renditepotenzial ist gestiegen.
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