(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) ist besorgt über die
Repressionen gegen Journalisten und Medien auf den Malediven, dem
diesjährigen Partnerland der Tourismus-Messe ITB-Berlin.
Journalisten, die heikle Themen aufgreifen, müssen in dem
südasiatischen Inselstaat mit Festnahmen, Drohungen und Gewalt
rechnen. Besonders gefährlich für ihre Verfasser sind kritische
Berichte über die Regierung, über den grassierenden religiösen
Extremismus oder über Umweltprobleme. Auch ausländische Journalisten
werden schikaniert, darunter kürzlich ein Team des ARD-Fernsehens.
"Die häufigen Drohungen und Gewalttaten gegen Journalisten auf den
Malediven zielen klar darauf ab, unerwünschte Berichterstattung zu
verhindern", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Besonders
erschreckend ist, dass so oft politische Parteien und
Regierungsvertreter in Verbindung mit Angriffen auf Journalisten
gebracht werden."
Kriminelle Banden verbreiten auf den Malediven ein Klima der Angst
und pflegen enge Verbindungen zu politischen Parteien. Immer wieder
bedienen sich die Parteien solcher Banden, um unbequeme Journalisten
und andere Kritiker zu drangsalieren. In einer 2014 veröffentlichten
Untersuchung der Rundfunkaufsichtsbehörde Maldives Broadcasting
Commission gaben 84 Prozent der befragten Journalisten an, sie seien
mindestens einmal bedroht worden; fünf Prozent berichteten von
täglichen Drohungen. Als wichtigste Urheber der Drohungen nannten sie
politische Parteien, gefolgt von kriminellen Banden, religiösen
Extremisten sowie Parlament und Regierung (http://t1p.de/126i).
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne
Grenzen haben sich die Malediven binnen fünf Jahren um 60 Plätze
verschlechtert und stehen derzeit auf Platz 112 von 180 Ländern.
JOURNALIST SEIT AUGUST 2014 VERSCHWUNDEN, HINTERGRÃœNDE UNKLAR
Besonders gravierend ist der Fall von Ahmed Rilwan, einem
Journalisten der unabhängigen Online-Zeitung Minivan News (inzwischen
Maldives Independent), der vor allem über Religionsthemen, Politik
und Umweltfragen schrieb. Seit dem 8. August 2014 ist Rilwan
verschwunden (http://t1p.de/kfet). Vier Tage zuvor hatte er auf
Minivan News darüber geschrieben, dass 15 Journalisten
unterschiedlicher Medien per SMS mit dem Tode bedroht und
aufgefordert wurden, nicht über eine Welle der Gewalt krimineller
Banden zu berichten (http://t1p.de/6m3p).
Im September 2014 nahm die Polizei drei Verdächtige fest, ließ sie
aber bald ohne Anklage wieder frei. Seitdem haben die Ermittlungen
keine wesentlichen Fortschritte gemacht. Stattdessen versuchte die
Polizei, Rilwans Familie und Unterstützer einzuschüchtern, und
verhinderte vergangenen Juli eine Pressekonferenz zum Stand der
Ermittlungen. Eine Untersuchung im Auftrag des Maldives Democracy
Network kam zu dem Schluss, Rilwan sei wahrscheinlich von einer
kriminellen, womöglich religiös motivierten Bande entführt worden
(http://t1p.de/33qi). Drei Tage nach der Veröffentlichung des
Untersuchungsberichts platzierte ein mutmaßlicher Bandenchef eine
Machete vor der Tür der Minivan-News-Redaktion (http://t1p.de/bzfr).
Im August 2015 rief Reporter ohne Grenzen wegen der mangelnden
Fortschritte im Fall Rilwan die beiden UN-Arbeitsgruppen zu
willkürlicher Haft sowie zu gewaltsamem oder unfreiwilligem
Verschwindenlassen an (http://t1p.de/y4zh). Nach öffentlichem Druck
der Familie Rilwans forderte Präsident Abdulla Yameen das
Innenministerium Ende 2015 auf, alles in der Macht der Regierung
Stehende zu tun, um den Fall aufzuklären (http://t1p.de/ghgc).
BERICHTE ÜBER RELIGIÖSEN EXTREMISMUS UNERWÜNSCHT
Dass die Regierung journalistische Recherchen über religiösen
Extremismus nicht gerne sieht, erlebten im vergangenen Dezember
ARD-Fernsehkorrespondent Thomas Spieker und sein Kamerateam. Trotz
Akkreditierung stoppte die Polizei sie mitten in einem Interview,
verhörte sie stundenlang und schob sie schließlich ab. Zudem wurden
Spieker und sein Team mit einem zehnjährigen Einreiseverbot belegt
(http://t1p.de/q2o6).
Im Oktober 2013 drangen sechs Maskierte gewaltsam in den Sitz des
beliebten Oppositionssenders Raajje TV ein und legten gezielt ein
Feuer, das schweren Sachschaden anrichtete. Wenige Tage zuvor hatte
der Sender einen Beitrag ausgestrahlt, in dem er über Drohungen gegen
sich berichtete (http://t1p.de/g7oc).
Im Juni 2012 überlebte Ismail Hilath Rasheed nur knapp einen
Mordversuch. Der als Verfechter religiöser Toleranz bekannte freie
Journalist und Blogger war zuvor wiederholt zensiert, festgenommen
und bedroht worden (http://t1p.de/3gya). Monatelange Drohungen und
Angriffe - in einem Fall von Männern, die mit einem Stahlträger
bewaffnet waren - musste 2013 die Minivan-News-Journalistin Mariyath
Mohamed erleiden, die über den wachsenden Einfluss extremistischer
Islamistengruppen auf den Malediven berichtete (http://t1p.de/advq).
AUSNAHMEZUSTAND VON RAZZIEN UND HACKERANGRIFFEN BEGLEITET
Vergangenen Oktober wurde das Nachrichtenportal Addu Live durch
einen Hackerangriff eine Woche lang lahmgelegt, nachdem es über ein
Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten berichtet hatte. Der
Chefredakteur des Portals berichtete außerdem von wiederholten
Drohanrufen, in denen die Redaktion aufgefordert worden sei,
regierungskritische Artikel und Berichte über Korruptionsvorwürfe
gegen Richter zu löschen (http://t1p.de/w1e7).
Anfang November 2015 verhängte Präsident Yameen kurz vor einer
geplanten Massendemonstration und nach einem mutmaßlichen
Putschversuch vorübergehend den Ausnahmezustand. Den privaten
Fernsehsender Sangu TV forderte die Polizei zur Aussetzung seines
Programms auf, nachdem sie bei einer Razzia sämtliche
Computerfestplatten des Senders beschlagnahmt hatte. Hintergrund
waren Anschuldigungen, der Sender habe per Internet ein Video
veröffentlicht, in dem drei Maskierte Todesdrohungen gegen den
Präsidenten ausstießen. Mehrere Nachrichtenwebseiten berichteten von
Verbindungsproblemen, zwei wurden durch Hackerangriffe lahmgelegt
(http://t1p.de/86u4).
Schon in den Tagen vor der Ausrufung des Ausnahmezustands wurden
drei Raajje-TV-Journalisten festgenommen, nachdem sie über einen
Armeeeinsatz zur Entschärfung einer Autobombe in der Nähe des
Präsidentenpalastes in Male berichtet hatten. Der Sender berichtete
anschließend, sie seien in Polizeigewahrsam geschlagen worden. Auch
die Nachrichtenwebseite Maldives Independent berichtete, einer ihrer
Reporter und ein Fotograf seien verprügelt worden, als sie
versuchten, über die Bombenentschärfung zu berichten.
Weitere Informationen zur Lage der Journalisten auf den Malediven
finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/malediven/.
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