(ots) -
Die von der Bundesregierung geplante Hartz-IV-Reform wird nach
Ansicht von Arbeitsmarktexperten und Anwälten zu einer erheblichen
Verschlechterung für viele Hartz-IV-Empfänger führen, deren Bescheide
falsch sind. Das geht aus Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report
Mainz" hervor (heute, 17.5., 21.45 Uhr im Ersten). Die Möglichkeit
rückwirkend Leistungen zu bekommen, werde nach dem Gesetzentwurf
eingeschränkt.
Diese Verschlechterungen seien bislang wenig beachtet, weil sie
nur schwer zu verstehen seien, sagte der Arbeitsmarktexperte
Professor Stefan Sell: "Eine ganz kompliziert daherkommende Regelung
in dem Gesetzentwurf führt zu einer rechtstaatlich unglaublichen
Schweinerei. Man nimmt den Hartz-IV-Empfängern durch eine falsche
Entscheidung etwas weg, was ihnen zusteht, wohlgemerkt an
Regelleistungen zur Deckung des Existenzminimums. Und dann, wenn es
herauskommt, dass das eine falsche Entscheidung war, dann gibt man
dieses geraubte Diebesgut nicht zurück."
Haben Hartz-IV-Empfänger einen falschen Bescheid bekommen, können
sie bislang auch dann rückwirkende Leistungen bekommen, wenn die
eigentliche Widerspruchsfrist abgelaufen ist. Dazu können sie einen
sogenannten Überprüfungsantrag stellen, mit dem dann Fehler bis zu
einem Jahr lang rückwirkend korrigiert werden können. Diese
Möglichkeit wird nach Einschätzung von erfahrenen Anwälten für
Sozialrecht für viele Betroffene wegfallen. "Das Gesetz ist ein
Skandal! Das wichtige Instrument der Überprüfungsanträge wird hier so
stark beschnitten, dass wir es in vielen Bereichen gar nicht mehr
anwenden können", sagte Rechtsanwalt Dirk Feiertag aus Leipzig. "Die
Hilfeempfänger werden auf ihr Geld, was ihnen rechtmäßig zusteht,
verzichten müssen." Ähnlich äußerte sich der Anwalt für Sozialrecht
Till Koch: "Der Gesetzentwurf bedeutet, dass die Möglichkeit
Überprüfungsanträge zu stellen effektiv in ganz vielen Fällen
überhaupt nicht mehr besteht. Das Recht wird ausgehöhlt, das wird den
Leuten weggenommen und dann bleibt gar nichts mehr."
Der von Arbeitsministerin Andrea Nahles vorgelegte Gesetzentwurf
zur Änderung der Hartz-IV-Gesetze soll vor allem dem Bürokratieabbau
dienen. Auf Nachfrage von "Report Mainz" teilte das
Bundesarbeitsministerium mit, dass es sich bei den Veränderungen des
betreffenden Paragraphen nur um eine "klarstellende Anpassung" der
Regelung handele, die die Rechtssicherheit erhöhen solle: "Eine
weitere Verschärfung bzw. Einschränkung für die Leistungsberechtigten
ist damit nicht verbunden."
Das sieht der Remagener Arbeitsmarktexperte Prof. Stefan Sell
völlig anders: "Wir haben Opfer, nämlich Hartz-IV-Empfänger, denen zu
Unrecht Leistungen vorenthalten werden, und dann geht man hin und
sagt: 'Sorry, wir müssen aber die Jobcenter entlasten'. Das ist ein
skandalöser Zynismus hoch zwei." Denn aus dem Gesetzestext geht nach
Auffassung der von "Report Mainz" befragten Experten hervor, dass
Überprüfungsanträge zukünftig nur noch unter bestimmten
Voraussetzungen erfolgreich gestellt werden können. Zum Beispiel nur
dann, wenn in einer strittigen Sache ein Urteil höchster Gerichte
vorliegt. Gibt es das nicht, werde es in der Praxis auch keine
Nachzahlungen mehr geben, so die Experten. Überprüfungsanträge würden
dann für viele Hartz-IV-Empfänger ins Leere laufen. Entdecke der
Hartz-IV-Empfänger den rechtlichen Fehler in seinem Bescheid dann
nicht innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat, gebe es keine
Chance mehr, an das ihm vorenthaltene Geld zu kommen. In anderen
Sozialrechtsbereichen - z.B. bei der Rente - könnten Betroffene
rückwirkende Leistungen bei falschen Bescheiden der Behörden bis zu
vier Jahre lang beantragen.
Weitere Informationen unter www.reportmainz.de. Zitate gegen
Quellenangabe "Report Mainz" frei. Pressekontakt: "Report Mainz",
Tel. 06131/929-33351.