(ots) - EU-Vergaberecht schlägt nun auf den kleinen
Handwerker durch / Kündigungswelle für Auftragnehmer und
Subunternehmer droht
Das Wichtigste im Überblick
Die seit dem 18.04.2016 maßgebliche VOB 2016 birgt hohes
Konfliktpotential. Das neue Vergaberecht hat nämlich nun auch
Auswirkungen für Subunternehmer mit Aufträgen unterhalb der
Schwellenwerte. Eine Kündigung ist jetzt allein aufgrund von
Vergabefehlern möglich und betrifft die gesamte Nachunternehmerkette.
Ein Verschulden des Auftragnehmers ist insoweit nicht erforderlich.
"Dem Missbrauch dieser Vorschrift sind Tür und Tor geöffnet", erklärt
Baurechtsspezialist Dr. Andreas Koenen.
Seit dem 18. April 2016 gilt eine neue Vergabe- und
Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB), die eine bisher unbeachtete
Brisanz mit sich bringt. Auf den ersten Blick gelten die neuen
Vorschriften zwar nur für Bauprojekte oberhalb des EU-Schwellenwerts
von 5.225.000 Euro. Auf den zweiten Blick wird jedoch klar, dass sich
das neue Vergaberecht auch auf Aufträge unterhalb des Schwellenwerts
und damit auch auf Subunternehmer auswirkt, nämlich dann, wenn das
Gesamtbauvorhaben des öffentlichen Auftraggebers den Wert von
5.225.000 Euro überschreitet. Dass nicht nur die Vergabevorschriften
der VOB/A, sondern auch die Vertragsordnung - die VOB Teil B -
geändert wurde, ist bei der Diskussion um die Vergaberechtsreform
kaum beachtet worden. Bislang galt eine klare Trennung zwischen der
Vergabe eines Auftrages und dem anschließenden Bauvertrag. Das
Vergaberecht endete also mit dem Zuschlag. Das wird jetzt anders: Die
Restriktionen des Vergaberechts greifen nun auch nach Vertragsschluss
in das Verhältnis der Bauvertragsparteien ein.
Die Möglichkeit des Auftraggebers, aufgrund von Vergabefehlern zu
kündigen, birgt großes Konfliktpotential auf deutschen Baustellen.
Die neue VOB gestattet nämlich, dass der Auftraggeber während der
Bauausführung auf Fehler im Vergabeverfahren zurückgreift und dem
Auftragnehmer wie auch dessen Subunternehmer kündigt - und zwar
unabhängig davon, ob der Bauunternehmer etwas mit dem Fehler im
Vergabeverfahren zu tun hat. "Für öffentliche Auftraggeber stellt
dies eine neue und günstige Gelegenheit dar, sich missliebigen
Auftragnehmern zu entledigen. Dem Missbrauch dieser Vorschrift sind
Tür und Tor geöffnet", erklärt Baurechtsspezialist Dr. Andreas
Koenen, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Inhaber der auf
Baurecht spezialisierten Kanzlei KOENEN BAUANWÄLTE.
Fehler im Vergabeverfahren
Neben den bisher geltenden wichtigen Gründen für eine Kündigung,
die jeweils ein Verschulden des Auftragnehmers am Bau voraussetzen,
kommen neue hinzu. § 8 Abs. 4 VOB/B zählt drei wesentliche
Vergaberechtsfehler auf, die den öffentlichen Auftraggeber zur
Kündigung des Vertrages berechtigen. Dies ist der Fall, wenn der
Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe eine Abrede getroffen hat, die
eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt. Einen weiteren
Grund zur Kündigung hat der Auftraggeber, wenn der Auftragnehmer
wegen eines zwingenden Ausschlussgrundes zum Zeitpunkt des Zuschlags
nicht hätte beauftragt werden dürfen, etwa wenn ein Unternehmen
seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder
Beiträgen zur Sozialversicherung nicht nachgekommen ist und dies
durch eine rechtskräftige Gerichts- oder bestandkräftige
Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde.
Von besonderer Bedeutung ist der Kündigungsgrund einer
wesentlichen Änderung des Vertrages. Denn dieser Grund greift gemäß §
8 Abs. 5 VOB/B nicht nur beim Vertragsverhältnis zwischen
öffentlichem Auftraggeber und Hauptauftragnehmer, sondern bei
sämtlichen Nachunternehmern. Dabei muss es sich bei diesem
Vergaberechtsverstoß noch nicht einmal um einen Fehler des
Hauptunternehmers handeln. Was aber bedeutet "wesentliche Änderung
des Vertrages"?
§ 22 Abs. 1 EU VOB/A definiert, was unter wesentlichen Änderungen
im vergaberechtlichen Sinne zu verstehen ist. Danach sind alle
Änderungen wesentlich, die dazu führen, dass sich der Auftrag
erheblich von dem ursprünglich vergebenen Auftrag unterscheidet. In
all diesen Fällen kann der Auftraggeber den Bauvertrag aus wichtigem
Grund kündigen. Leitgedanke dieser Neuregelung ist, dass der
öffentliche Auftraggeber in diesen Fällen neu ausschreiben muss. Die
Besonderheit ist, dass der Auftragnehmer keinen Einfluss mehr nehmen
kann, denn alle drei Vergabefehler beruhen auf Fehlern im
Vergabeverfahren. Hinzu kommt, dass der Auftraggeber bei diesen neuen
Kündigungsgründen die Auftragsentziehung nicht einmal vorher
ankündigen muss. "Eine Fristsetzung macht in diesen Fällen allerdings
auch keinen Sinn, denn einen Vergabeverstoß kann niemand mehr
reparieren. Weder diejenigen, die ihn begangen haben, aber erst recht
nicht diejenigen, die mit ihm gar nichts zu tun haben. Die Folgen
treten allerdings unabhängig davon ein", verdeutlicht Dr. Koenen.
Ein Beispiel
Eine Stadt schreibt den Neubau eines Rathauses mit einem
Gesamtvolumen von sechs Millionen Euro aus. Ein Generalunternehmer
erhält den Auftrag und beauftragt mehrere Gewerke mit der Ausführung.
Darunter ein Fensterbauer mit einem Auftragsvolumen von deutlich
unter 5.225.000 Euro. Nach Beginn der Bauphase wird festgestellt,
dass sich baulich bedingt der Auftragsumfang maßgeblich erhöht. Die
Stadt kündigt aufgrund dieser wesentlichen Änderung des Vertrages den
Auftrag mit dem Generalunternehmer. Dieser wiederum kündigt daraufhin
alle Nachunternehmer, darunter den Fensterbauer, der aber genauso wie
der Generalunternehmer nicht für diese "wesentliche Veränderung"
verantwortlich ist. Gleiches ist auch ohne Generalunternehmer für
Teilaufträge möglich.
Kündigen in der gesamten Nachunternehmerkette
"Besonders prekär an der Neuregelung ist, dass dieser
Kündigungsgrund auf sämtliche Bauverträge in der Nachunternehmerkette
durchschlägt und zu Kündigungslawinen führen kann", warnt Dr. Koenen.
Die Vergaberechtsreform hat damit gravierende Auswirkungen auf eine
Vielzahl von Bauvorhaben. Die Neuregelung kann den Umgang der
Bauvertragsparteien - insbesondere bei Nachträgen oder zusätzlichen
Leistungen - grundlegend verändern. Bei jeder Modifikation oder
Erweiterung des Vertrages wird sich nun die Frage der Wesentlichkeit
im vergaberechtlichen Sinne stellen. "Es besteht nicht nur ein
gewisser Auslegungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers, sondern
auch ein enormes Druckpotential. Dieses wird die Ausgangsposition bei
Nachtragsverhandlungen deutlich zu Gunsten des Auftraggebers
verschieben", erklärt Dr. Koenen.
Hohes Konfliktpotential
Die Brisanz dieser Neuregelung wurde übersehen. Die im
Gesetzgebungsverfahren am Bau Beteiligten, insbesondere
Bauunternehmer und Handwerker, müssen sich jedoch jetzt auf diese
neue Situation einstellen. Auch für Architekten und deren
Berufshaftpflichtversicherer ist diese Regelung eine Herausforderung.
Denn so manche wesentliche Änderung beruht auf einer Planung, die
nicht umgesetzt werden kann oder nach den Vorstellungen des
Auftraggebers nicht umgesetzt werden sollte. Wer haftet in einem
solchen Fall, insbesondere für die Verlängerung der Bauzeit, die bei
einer Neuausschreibung und -vergabe unumgänglich ist? Und: Ist eine
derartige Bauzeitverlängerung überhaupt versichert?
Baurechtsspezialist Dr. Koenen: "Die neue VOB birgt
Konfliktpotential, das man auf einer Baustelle nicht gebrauchen kann.
Jetzt heißt es, im Vorfeld Lösungen für den 'Fall der Fälle' zu
erarbeiten. Denn: Risiken beim Bauen sollten rechtzeitig erkannt und
vermieden werden".
Ein erläuterndes Video und weitere Informationen rund um
baurechtliche Fragen finden Interessierte unter
http://www.bauanwalt.de/vob-2016/.
Über KOENEN BAUANWÄLTE:
KOENEN BAUANWÄLTE ist eine 2004 gegründete, auf alle für das Bauen
relevanten Rechtsgebiete, insbesondere das Bau- und Architektenrecht
spezialisierte Anwaltskanzlei. Mit 11 Rechtsanwälten an vier
Standorten (Essen, Hannover, Münster und Bielefeld) ist sie die
größte reine Baurechtskanzlei der Region. Zu den Leistungen gehört
neben außergerichtlicher und gerichtlicher Vertretung auch eine
baubegleitende Rechtsberatung, welche die Grundlagenermittlung bis
zur Bauausführung und Abrechnung beinhaltet. Die Mandantenstruktur
umfasst gewerbliche und private Bauherren ebenso wie Bauunternehmer,
Architekten und Ingenieure.
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