(ots) - Selbst für einen geübten Populisten wie den
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist das ein
Tiefpunkt. Nicht nur dass er die türkeistämmigen Abgeordneten im
Bundestag, die in der vergangenen Woche für die Resolution zum
Völkermord an den Armeniern gestimmt haben, rhetorisch in die Nähe
von Terroristen gerückt hat.​
Mit seinen Äußerungen über ihr "verdorbenes Blut", das man einem
Labortest unterziehen lassen solle, hat er auch noch tief in den
Kübel einer völkisch-rassistischen Rhetorik gegriffen. Erdoğan
schielt damit nach dem rechten Rand. Dort erhofft er sich, jene
Mehrheit zu beschaffen, die er für den Umbau zu einem Präsidialsystem
braucht.​
Leider wirkt sich diese verbale Eskalation auch hierzulande aus.
Die Morddrohungen und Schmähungen gegen Grünen-Chef Cem Özdemir und
andere Politiker, die sich für die Resolution starkgemacht haben,
sind nur das sichtbarste Zeichen dafür, wie sehr die Debatte aus dem
Ruder gelaufen ist. Özdemir hat recht, wenn er von einer "türkischen
Pegida" spricht, die sich vor allem im Netz artikuliert.​
Es ist gut, dass sich die Türkische Gemeinde in Deutschland von
ErdoÄŸans Entgleisungen scharf distanziert hat. Dagegen haben
andere Verbände - darunter Ditib, Milli Görüs und die Türkische
Gemeinde in Berlin - wenig getan, um die Wogen zu glätten.​
Der neuerliche Anschlag in Istanbul zeigt, wie angespannt die Lage
in der Türkei ist. Die Konflikte dort drohen auf Deutschland
überzuspringen. Leider reagieren auch auf kurdischer Seite in
Deutschland nicht alle ruhig und besonnen, sondern profilieren sich
als Scharfmacher.​
Wichtiger, als die Hetze des türkischen Präsidenten
zurückzuweisen, wäre es deshalb, alle Seiten an ihre gemeinsame
Verantwortung für den gesellschaftlichen Frieden hierzulande zu
erinnern. Denn von den Spannungen zwischen verschiedenen
Einwanderergruppen profitieren am Ende nur die Rechtspopulisten von
der AfD.​
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