(firmenpresse) - Bonn - Die Zeit eher visionärer Diskussionen ist vorbei: Nun schafft die Internet-Telefonie, auch unter dem Begriff Voice-over-IP (VoIP) bekannt, ihren Durchbruch auch in den öffentlichen Telefonnetzen. Bis Anfang des Jahres hatten sich nur kleinere Anbieter in Marktnischen mit dem Thema beschäftigt. Jetzt setzen auch grosse Carrier wie AT&T in den USA und Anbieter von Internetzugängen wie 1&1 auf die Technik und bieten VoIP für den breiten Massenmarkt an. Da sich in anderen Ländern (so in den USA, Grossbritannien, den Niederlanden und Finnland) die Regulierungsbehörden mit der Frage beschäftigen, wie mit VoIP zu verfahren sei, hat auch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post http://www.regtp.de in Bonn eine Anhörung dazu gestartet. Bis Mitte Juli gaben 64 Unternehmen ihre Stellungnahmen zu dem Fragenkatalog der Regulierungsbehörde ab. Am 18. Oktober wird die zuständige Behörde auf einem Forum eine Auswertung der Stellungnahmen veröffentlichen, bereits jetzt aber sind die einzelnen Stellungnahmen öffentlich zugänglich.
Die Fragen der Regulierungsbehörde konzentrieren sich auf die Themenkomplexe Geschäftsmodelle, rechtliche Einordnung, Nummerierungsfragen, Marktdefinition und Marktzutrittschancen, Universaldienstleistung, Datenschutz, Notruf und Auskunftsverfahren. Omar Khorshed, Vorstandsvorsitzender der acoreus AG in Düsseldorf http://www.acoreus.de, einem Dienstleister für Kundenmanagement, Abrechnung und Inkasso von Telekommunikationsdiensten, sieht den Klärungsbedarf nicht nur auf Seiten der Netzbetreiber und Hersteller, sondern auch bei den Mehrwertdiensteanbietern: "Noch stellt VoIP eher ein Nischenprodukt dar, was sich aber in den nächsten 12 bis 24 Monaten ändern wird. Daher muss umfassend sichergestellt werden, dass über VoIP-Telefonanschlüsse alle Arten von Telefondiensten erreicht und abgerechnet werden können. Auch die Möglichkeit von mobilen VoIP-Zugängen, etwa über Public WLAN Hotspots, muss dabei berücksichtigt werden."
Die Deutsche Telekom fordert in ihrer Stellungnahme die Gleichsetzung von VoIP, die Verbindungen in die herkömmlichen öffentlichen Telefonnetze ermöglicht, mit dem klassischen Telefondienst und damit auch die Anwendung der selben Rahmenvorschriften.
Die Deutsche Telekom will diese Verpflichtung zur Einhaltung der Rahmenvorschriften dabei auf den VoIP-Anbieter bezogen sehen, und nicht auf so genannte "nomadisierende" Zugänge, etwa Public WLAN, auf den Betreiber des Hotspots. Die Telekom will den VoIP-Dienst bei T-Mobile angesiedelt sehen, was vor dem Hintergrund des Roll-Outs von WLAN-Hotspots, welches Telekom und T-Mobile gemeinsam betreiben, verständlich erscheint. Nach eigenen Angaben plant die Telekom derzeit keine konkreten VoIP-Dienste, aber beobachtet intensiv den Markt und diskutiert verschiedene Geschäftsmodelle. Die Telekom trennt dabei immer wieder zwischen dem Anschlussanbieter und dem Diensteanbieter. Das bedeutet, dass das heute allgemeingültige Modell - der Anschlussanbieter ist zugleich Anbieter des Telefondienstes - für VoIP aufgegeben wird. VoIP wird ein Dienst sein, der unabhängig von einem bestimmten physikalischen Anschluss ist. Die Telekom betrachtet VoIP aus heutiger Sicht aber zunächst als einen speziellen Dienst, der parallel zum anschlussabhängigen klassischen Telefondienst angeboten werden kann, also einen separaten Markt, der dann auch nicht von Regelungen für Universaldienste betroffen sein soll.
AOL, ein typischer Vertreter der Online-Dienste-Anbieter, hat eine um "Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse" bereinigte Fassung der Stellungnahme veröffentlicht. Es ist zu vermuten, dass AOL sich auf VoIP als einen "logischen Telefondienst" fokussieren wird, der unabhängig vom physikalischen Netzzugang und dem betreffenden Netzbetreiber ist. Daher fordert AOL auch ein "Stand-alone Bitstream-Produkt", also die Möglichkeit, einen T-Com DSL-Anschluss weiter zu vermarkten, ohne dass ein klassischer Telefonanschluss in dem Produkt enthalten ist. AOL drückt aber auch explizit die Befürchtung aus, dass die grossen Marktteilnehmer aus dem klassischen Telefonie-Bereich versuchen werden, ihre Marktmacht aus diesem Bereich in den VoIP-Bereich zu übertragen.
Auch Arcor, ein Vertreter der neuen Carrier mit vollem Produktportfolio und eigener Netzinfrastruktur, hat einen Teil seiner Antworten für die veröffentlichte Fassung unkenntlich gemacht. Arcor betont explizit die Notwendigkeit des Online-Billings auch für VoIP. Arcor will seine Fähigkeit, klassische Telefonie vollwertig anzubieten, gegenüber neuen Wettbewerbern aus dem IP-Marktumfeld herausstellen.
Von den heutigen Anbietern von VoIP-Diensten im Geschäftskunden-Segment dürfte Telefonica am weitesten sein, da VoIP-Anschlüsse auf synchronen DSL-Leitungen (SDSL) als Standard-Dienst angeboten werden. Auch Telefonica sieht VoIP als "logischen Anschluss", der unabhängig von einem physikalischen Netzzugang sei, hat dabei aber die Vorstellung einer vollständigen Substitution der klassischen Telefonie durch IP-Telefonie. Für Telefonica gibt es daher keinen Bedarf an besonderen Regelungen oder speziellen Rufnummerngassen. Als gravierendste Markteintrittsschranke sieht Telefonica die Bündelung der Dienste von T-Com Anschlüssen im Resale-Fall und argumentiert dabei ähnlich wie AOL.
NetCologne, einer der grössten City Carrier in Deutschland, bietet heute bereits VoIP über Kabelfernseh-Anschlüsse an. NetCologne zieht für VoIP eher einen Rufnummernplan analog zum heutigen Telefonnetz vor, also eher an physikalischen Anschlüssen orientiert, um teures Routing über Intelligent Network (IN) Funktionen zu vermeiden. Da NetCologne aber zur Zeit VoIP-Dienste nur über Cable-TV plant und damit nur eingeschränkt anbieten kann, geht der City Carrier von einen lang andauernden Übergangsprozess von der klassischen Telefonie zur IP-Telefonie aus.
Cisco, ein führender Anbieter von VoIP-Lösungen, betrachtet VoIP als natürlichen und vollständigen Nachfolger der klassischen Telefonie. Aus dieser Sicht fordert Cisco einen möglichst freien und wenig reglementierten Wettbewerb von VoIP-Diensten. Cisco geht auch auf mobile VoIP-Dienste ein, etwa über Public WLAN-Zugänge, und verweist zum Thema "Netzzusammenschaltung" darauf, dass diese auch über VoIP-Interconnection ähnlich wie das bekannte Peering von IP-Netzen erfolgen kann.
Alcatel stellt gleichermassen IP- wie auch klassisches TK-Equipment her und traut der VoIP-Technik zu, die klassische Telefonie aus technischer Sicht vollständig zu ersetzen. Neben den in praktisch allen Stellungnahmen zum Fragenkatalog der Regulierungsbehörde betrachteten VoIP-Lösungen über Breitband-Zugänge diskutiert Alcatel in seinem Papier auch den Schmalband-Frequenzzugang, bei dem VoIP mit rund 40 kbit/s erforderlicher Bandbreite brutto auch auf einem ISDN-Kanal laufen kann und somit ohne DSL auskommt.
Weitere Vertreter der ITK-Branche begrüssen den umfangreichen Fragenkatalog der Regulierungsbehörde und die vielfältigen Stellungnahmen. Kay Ohse, Marketing Director des Stuttgarter ITK-Dienstleisters NextiraOne http://www.nextiraone.de, stellt fest, dass die Zeit bereits drängt und dass VoIP-Anwendungen besonders im Geschäftskundensegment schon weit verbreitet sind: "Wir glauben, dass im Jahr 2006 der Punkt erreicht sein wird, wo die IP-Telefonie die klassische Telefonie im Unternehmensmarkt überholen wird. Und wir gehen auch davon aus, dass zwar der gesamte TK-Markt flach bleibt, aber dort drinnen wird die klassische Telefonie ziemlich deutlich zurückgehen, und es wird deutliches Wachstum geben im Bereich der IP-Telefonie." Ohse drückt damit aus, was viele Experten vermuten: Der Markt für VoIP kann schneller wachsen, als heutige konservative Schätzungen vermuten. Verbindliche Rahmenbedingungen für Betreiber und Anwender sind frühzeitig erforderlich.