(ots) - Zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni hat der
Bundesvorstand des Kolpingwerkes eine Erklärung verabschiedet. Viele
Mitglieder des Kolpingwerkes Deutschland engagieren sich in der
Arbeit mit Geflüchteten.
Mit der Schaffung des Kolping-Netzwerks für Geflüchtete, einem
Zusammenschluss des Kolpingwerkes Deutschland, dem Verband der
Kolpinghäuser und dem Verband der Kolpingbildungsunternehmen, wurde
ein Integrationssystem geschaffen, dass mit seinen Strukturen und den
vier Säulen "wohnen, begleiten, bilden und zusammenleben" bundesweit
Vorbildcharakter besitzt. Im Engagement für unbegleitete,
minderjährige Geflüchtete sieht das Kolpingwerk einen besonderen
Auftrag.
Der Bundesvorstand hat sich deshalb zu den Themenfeldern
Integration als Aufgabe, Asylverfahren, Integrationsförderung,
Integration durch Bildung und Qualifizierung, Unterbringung,
Familiennachzug, medizinische Versorgung, Integration von besonders
schutzbedürftigen Personen, Finanzierung und Fluchtursachenbekämpfung
positioniert. Hier der Wortlaut der Erklärung:
Integration als gesellschaftliche Herausforderung begreifen -
Forderungen des Kolpingwerkes Deutschland zur Integration von
Geflüchteten
Viele Mitglieder des Kolpingwerkes Deutschland engagieren sich in
der Arbeit für Geflüchtete und mit Geflüchteten. Mittlerweile liegen
erste wichtige Erfahrungen aus der aktiven Integrationsarbeit des
Verbandes sowie der verbandlichen Einrichtungen und Unternehmen vor.
Das Kolpingwerk Deutschland will sich an der notwendigen politischen
Debatte beteiligen und seine Erfahrungen in die Fachdebatten
einbringen. Es betrachtet die Integration von Geflüchteten als eine
der größten gesellschaftlichen Herausforderungen seit Gründung der
Bundesrepublik Deutschland, die uns die nächsten Jahre und Jahrzehnte
begleiten wird.
Mit der Schaffung des Kolping-Netzwerks für Geflüchtete, einem
Zusammenschluss des Kolpingwerkes Deutschland, dem Verband der
Kolpinghäuser und dem Verband der Kolping-Bildungsunternehmen, wurde
ein Integrationssystem geschaffen, das mit seinen Strukturen und den
vier Säulen "wohnen, begleiten, bilden und zusammenleben" bundesweit
Vorbildcharakter besitzt. Im Engagement für unbegleitete,
minderjährige Geflüchtete sieht das Kolpingwerk einen besonderen
Auftrag.
Das im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verbriefte
Menschenrecht auf Asyl sowie die weiteren europäischen und globalen
Abkommen[1] sind bei sämtlichen politischen Aktivitäten und Maßnahmen
einzuhalten.
Das Kolpingwerk Deutschland hält folgende Punkte zur Integration
von Geflüchteten für dringend geboten:
I. Integration als Aufgabe
Die Integration von Geflüchteten ist als gesamtgesellschaftliche
Aufgabe zu betrachten und muss in der Konsequenz Anliegen aller
gesellschaftlichen Gruppen und staatlichen Institutionen sein.
Integration ist nicht als ein Selbstläufer zu verstehen. Sie gelingt
nur, wenn sich beide Seiten aktiv darum bemühen. Integration muss die
gesellschaftliche Teilhabe zum Ziel haben. Sie bedarf einer
interkulturellen Öffnung von Verwaltungen und sozialen Diensten.
Um die Aufgabe der Integration zu bewältigen, ist die Schaffung
eines Bundesministeriums für Integration und Zuwanderung zu begrüßen.
In Bund, Ländern und Kommunen ist Integrationspolitik in der
Verwaltung als Querschnittsaufgabe zu etablieren.
Eine intensive Debatte über die gesetzliche Verankerung einer
mittel- und langfristigen kontrollierten Zuwanderung wird zudem für
notwendig erachtet, denn das Asylrecht schließt nicht automatisch das
Recht auf Zuwanderung und Einbürgerung ein.
II. Asylverfahren
Die Asylverfahren müssen signifikant verkürzt werden, dazu müssen
bürokratische Hürden abgebaut werden. Jedoch müssen
Einzelfallprüfungen weiter Standard bleiben. Entsprechende
Hilfestellungen (Ãœbersetzung und Begleitung) bei der Bearbeitung von
Anträgen und Behördengängen sind sicherzustellen. Familien mit
Kindern sind vorrangig zu registrieren.
III. Integrationsförderung
Integration gelingt dann, wenn geflüchtete Menschen mit
kulturspezifischen Alltagssituationen umgehen können. Informations-
und Bildungsangebote sind zu entwickeln und zu unterstützen. Hierbei
ist die Vermittlung von Kenntnissen, Hintergrundwissen und
interkulturellen Informationen sowohl für Bürgerinnen und Bürger als
auch für die Geflüchteten zwingend erforderlich. Zu solchen Angeboten
gehören Informationen über Herkunftsländer der Geflüchteten und über
Deutschland. Sie sind ggf. auch in der Muttersprache der Geflüchteten
durchzuführen. Die im Integrationsgesetz beschlossene
Mitwirkungspflicht an Integrationsmaßnahmen ist zu begrüßen.
Es muss sichergestellt werden, dass es ausreichende Möglichkeiten
zur Teilhabe an Maßnahmen gibt, damit es nicht aus einem
Unverschulden heraus zu Leistungseinschränkungen im
Asylbewerberleistungsgesetz kommt. Mit den betroffenen Personen muss
zusammen nach Lösungen gesucht werden. Sollte es dennoch zu Kürzungen
auf Grund von "Integrationsverweigerung" kommen, dürfen die
Geflüchteten aber nicht unter ein menschenwürdiges Existenzminimum
fallen.
Integrationsfördernde Maßnahmen müssen folgende Kriterien
erfüllen:
Die Maßnahmen müssen in einer verständlichen Sprache oder in
leichter Sprache durchgeführt werden.
Bildungsmaterialien müssen kostenlos zur Verfügung gestellt
werden. Eine räumliche Nähe zur Unterkunft muss gegeben sein. Die
Erhöhung der Höchstteilnehmerzahl bei Integrationskursen darf sich
nicht auf die Qualität der Angebote auswirken. Durch lang andauernde
Asylverfahren darf es nicht zu einer Verzögerung der Möglichkeit des
Beginnes eines Sprach- oder Integrationskurses kommen.
Orientierungsangebote sind - wie im Integrationsgesetz vorgeschlagen
- gesetzlich zu verankern. Integrationsmaßnahmen und Angebote sind
unabhängig von der Bleibeperspektive zugangsfrei zu gestalten. Die
Ausweitung der Verpflichtungsmöglichkeit zur Teilnahme am
Integrationskurs ist grundsätzlich zu fordern und zu fördern.
Passgenaue Integrationskurse müssen angeboten werden, um Personen mit
fortgeschrittenen Deutschkenntnissen besser zu fördern.
IV. Integration durch Bildung und Qualifizierung
Ein ganzheitliches Bildungskonzept für geflüchtete Menschen ist zu
schaffen bzw. das bestehende Bildungssystem dahingehend zu öffnen.
Der Zugang zu Sprachkursen muss allen Personen von Beginn ihres
Aufenthaltes an ermöglicht werden. Weitere Angebote an Sprachkursen,
unabhängig von den Integrationskursen, sind zu schaffen. Der
Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung muss
auch für geflüchtete Kinder beibehalten und umgesetzt werden, damit
Bildung frühzeitig beginnen kann.
Die Bundesländer und Kommunen müssen die Schulen in die Lage
versetzen, dass die Geflüchteten an der Beschulung ohne
Zugangsprobleme teilnehmen können. Ein primäres Ziel ist die
sofortige Beschulung aller geflüchteten Kinder und Jugendlichen. Für
Geflüchtete, die keinen Schulabschluss oder beruflichen Abschluss
haben, muss schnellstmöglich der nachträgliche Erwerb ermöglicht
werden. Die gesellschaftlichen und soziologischen Veränderungen, die
sich durch die Geflüchteten ergeben, sind in den Schulen zu
thematisieren. In den Lehrplänen müssen Fragen von Integration,
interkulturellem Lernen, Religionsfreiheit und Gleichstellung der
Geschlechter aufgenommen werden.
Angebote an Kursen zur Potentialanalyse von Asylbewerber/innen,
Kurse zur Berufsorientierung und Berufseinmündung sowie Angebote von
Umschulungen und Anpassungsqualifikationen müssen noch verstärkter
angeboten werden.
Für Geflüchtete müssen Berufsperspektiven fernab des
Niedriglohnsektors bestehen. Wirtschaft und Kammern, Gewerkschaften
und Arbeitgeber/innen müssen kooperieren und die Chancen nutzen, die
sich angesichts einer abnehmenden Erwerbsbevölkerung durch
Geflüchtete mittel- und langfristig eröffnen.
Die Heranführung und Eingliederung in das Berufsleben muss durch
zusätzliche intensive Sozial- und Netzwerkarbeit, Beratungs- und
Coaching-Prozesse, psychosoziale Unterstützungsleistungen und durch
projektbezogenes Arbeiten und arbeitsplatzbezogene
Qualifizierungsmaßnahmen erfolgen.
Die Änderungen im Integrationsgesetz bezüglich der Sonderreglung
für die Ausbildungsförderung von Personen mit guten
Bleibeperspektiven sind zu begrüßen. Aber auch für geduldete Personen
muss es die Möglichkeit für berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen
einschließlich paralleler Berufsausbildungshilfen geben. Diese dürfen
nicht erst, wie im Integrationsgesetz beschlossen, nach sechs Jahren
möglich sein.
Bürokratische Hemmschwellen der beruflichen Integration (Praktika,
Berufsvorbereitungsmaßnahmen etc.) müssen werden.
Anerkennungsverfahren für Berufsqualifikationen,
Hochschulzeugnisse und Weiterbildungen aus dem Herkunftsland müssen
vereinfacht werden.
Für Geflüchtete mit einem nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt
müssen gesonderte Maßnahmen bereitgestellt werden. Ein System,
welches versucht, sie zu aktivieren sowie stufenweise und nachhaltig
in Arbeit oder Ausbildung zu integrieren, wird gefordert. Im Zuge
dessen ist das Aussetzen der Vorrangprüfung im Integrationsgesetz zu
begrüßen.
Die im Integrationsgesetz beschlossene Rechtssicherheit für den
Aufenthalt während einer Ausbildung und die Duldung während der
Arbeitsplatzsuche ist zu begrüßen und konsequent durchzusetzen.
Sollte es zu einem Ausbildungsabbruch kommen, sind die Hintergründe
jedoch genau zu prüfen, bevor es zu einem Erlöschen des
Aufenthaltstitels kommt. Besondere Unterstützung von jungen
Geflüchteten, die einen Ausbildungsplatz abgebrochen haben, ist
notwendig.
V. Unterbringung
In dezentralen Unterbringungsformen muss eine soziale Begleitung
gewährleistet sein. Es bedarf zudem einer Begrenzung der Verweildauer
in den Gemeinschaftsunterkünften. Familien mit Kindern benötigen eine
schnelle Unterbringung in Wohnungen, die es ihnen ermöglicht, auch
als Familie zu leben. Besonders Jugendliche brauchen hier eine
intensivere Betreuung. Eine längere Verweildauer von unbegleiteten
minderjährigen Geflüchteten in betreuten Wohneinrichtungen muss
ermöglicht werden.
Hürden bei dem Übergang in den regulären Wohnungsmarkt sind mit
Hilfe der Städte und Gemeinden abzubauen. Kommunale
Konzeptentwicklung für eine integrierte Wohnunterbringung sind
erforderlich. Investitionen in den sozialen Wohnungsbau sind zwingend
notwendig. Die im Integrationsgesetz beschlossene Wohnsitzzuweisung
ist als Lenkungsinstrument positiv zu bewerten. Sowohl die Genfer
Flüchtlingskonvention (Art. 26 GFK) als auch die
Qualifikationsrichtlinie der EU (Art. 33) garantieren das Recht auf
Freizügigkeit für Geflüchtete. Dieses Recht gilt es einzuhalten.
VI. Familiennachzug
Der Familienzusammenhang ist zu schützen und zu stärken.
Familiennachzug muss für alle Personen mit Bleibeperspektive, auch
für Geduldete ermöglicht werden. Dazu gehört, dass der
Familiennachzug zügig ermöglicht wird und Geflüchtete mit Verwandten
in Deutschland in deren Nähe untergebracht werden.
VII. Medizinische Versorgung
Geflüchteten ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung durch die
Bereitstellung von Gesundheitskarten zu ermöglichen. Dies führt zu
einer Entlastung von Verwaltungsaufgaben der Gemeinden.
VIII. Integration von besonders schutzbedürftigen Personen
Geflüchtete bis zum 28. Lebensjahr haben Zugang zu Angeboten der
Jugendhilfe (SGB VIII) und auch für den Rechtsbereich SGB II und v.a.
SGB III. Für Geflüchtete über 28 Jahren müssen spezielle Angebote
geschaffen werden, die deren Alltagsintegration fördern. Auch in
diesem Alter ist oftmals noch eine Betreuung, zum Beispiel angelehnt
an die Jugendhilfe, notwendig. Im Zuge der Sicherung des Kindeswohls
sind die Hilfen bei der Aufarbeitung der Fluchthintergründe und
-geschichte, eine Klärung der asylrechtlichen Angelegenheiten und die
Prüfung einer Familienzusammenführung sicherzustellen. Der Zugang zu
Reha-Ausbildungen für traumatisierte und psychisch beeinträchtige -
vor allem jungen Geflüchteten - muss vereinfacht und das Angebot an
solchen Plätzen weiter ausgebaut werden. Es bedarf einer besonderen
Förderung von Integrationsmaßnahmen für Frauen. Maßnahmen zur
Gleichstellung der Geschlechter sind zu unterstützen und sichere
Räume für geflüchtete Frauen zu schaffen.
IX. Finanzierung
Bundesweit agierende zivilgesellschaftliche Organisationen und
Verbände gilt es durch finanzielle Mittel des zu schaffenden
Ministeriums für Integration und Zuwanderung zu fördern. Die Kirchen
sind gefordert, auch kirchliche Verbände finanziell zu unterstützen,
die nicht der Caritas oder der Diakonie zugeordnet sind. Ehrenamtlich
Engagierte, die sich in der Integration von Geflüchteten betätigen,
müssen kostenfreie Weiterbildungsangebote erhalten und haben Anspruch
auf eine entsprechende Aufwandsentschädigung. Ebenso müssen diese
bestehende Vergünstigungen der Kommunen - z.B. in den Bereichen
Kultur und Soziales - erhalten.
X. Fluchtursachenbekämpfung
Der Papst beschreibt in seiner Sozialenzyklika "Laudato Si", dass
der globale Norden und jeder Einzelne eine besondere Verantwortung
für die durch ungerechte und ausbeuterische Wirtschaftsstrukturen
hergestellte Armut trägt. Globale Fluchtbewegungen sind auch eine
Antwort auf unseren Wohlstand. Diese sind u.a. in
Ressourcenausbeutung, Umweltkatastrophen und unfairem Handel
begründet.
Um der wachsenden Kluft zwischen den industrialisierten Staaten
und den Entwicklungsländern entgegenzutreten, wird eine Verdoppelung
des Etats des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung (BMZ) gefordert. Zugleich sind auch alle anderen
Staaten in Europa gefordert, in diesem Bereich ein erhöhtes
finanzielles Engagement zu leisten. Im Rahmen seiner
internationalen Partnerschaftsarbeit steht das Kolpingwerk mit
anderen entwicklungspolitischen Fachorganisationen in der ersten
Reihe, wenn es darum geht, das Leid vieler Menschen vor Ort zu
lindern.
Die Bundesregierung trägt eine besondere Verantwortung für die
Folgen einer expansiven Waffenpolitik. Waffengeschäfte in Krisen- und
Kriegsgebiete müssen unterbleiben. Gefordert wird eine höhere
Besteuerung für Waffenexporte aller Art. Genehmigte Waffengeschäfte
sind zu veröffentlichen.
Das Kolpingwerk Deutschland wird die Integration von Geflüchteten
als neuen gesellschaftlichen Handlungsauftrag um- und fortsetzen.
[1] Wie die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" (1948), die
"Genfer Flüchtlingskonvention" (1951), die "Europäische
Menschenrechtskonvention" (1998), die "Beschlüsse des Europäischen
Rates" (1999), die "UN-Kinderrechtskonvention" (1989) und die
"Europäische Konvention über die Ausübung der Rechte des Kindes"
(1996).
Pressekontakt:
Kolpingwerk Deutschland
Martin Grünewald
Pressesprecher
St.-Apern-Str. 32
50667 Köln
Tel: (0221) 20701-220
E-Mail: martin.gruenewald(at)kolping.de
Homepage: www.kolping.de