(ots) - "Ein Brexit führt zu Unsicherheit und
Vertrauensverlust über Jahre. Das ist Gift für die Wirtschaft in
Großbritannien aber auch für Gesamteuropa. Dies wird zu erheblichen
Wohlfahrtsverlusten führen mit allen negativen Auswirkungen auf die
Euroschuldenkrise, die Arbeitslosigkeit und die Hoffnung auf
Besserung. Die Unsicherheit wird zusätzlich noch dadurch erhöht, dass
in zwei wichtigen europäischen Ländern - Frankreich und Deutschland -
Wahlen anstehen, was diese in den kommenden Monaten handlungsunfähig
macht." Dies erklärt Anton F. Börner, Präsident des Bundesverbandes
Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), heute in Berlin.
Bei einem Ja zum Brexit werden zweijährige Austrittsverhandlungen
folgen, die sich bis Mitte 2018 hinziehen können. Während dieser
Hängepartie wird große Unsicherheit herrschen, solange sich die
künftigen Wirtschaftsbeziehungen in der Schwebe befinden. Die
unproduktiven Transaktionskosten werden sich auf beiden Seiten
beträchtlich erhöhen. In den anstehenden Verhandlungen wird es vor
allem um den Zugang zum Binnenmarkt und den Finanzsektor gehen.
Gerade Letzteres ist für die Briten von existenzieller Bedeutung.
Denn auch wenn Großbritannien kein Mitglied der Währungsunion ist,
wickeln doch sehr viele Marktteilnehmer aus der Eurozone dort ihre
Finanzgeschäfte ab. Das bereits jetzt schon schwächelnde Pfund wird
weiter unter Druck geraten und gegenüber Dollar und Euro kräftig
verlieren. Sicherlich wird sich die Entscheidung auch am Aktienmarkt
niederschlagen. Insbesondere auf die englischen kommen schwere Zeiten
zu.
Bisherige Modelle wie das der Schweiz oder Norwegens eignen sich
nicht als Blaupause für Großbritannien und so wird eine neue Variante
einer Sonderregelung sehr wahrscheinlich sein. Aber hier muss auch
die EU mitspielen, die Folgen können daher Zölle, neue
Marktzugangsregeln und enorme Bürokratie sein.
Großbritannien ist einer der bedeutendsten Handelspartner
Deutschlands. Es ist mit einem Volumen von 89 Milliarden Euro in 2015
unser drittwichtigster Exportmarkt. Es dominieren hier Kraftwagen und
Kraftwagenteile sowie chemische und pharmazeutische Güter. In allen
wichtigen Warrengruppen erzielt Deutschland deutliche
Handelsüberschüsse. Jede Einschränkung des Handels trifft daher
Deutschland besonders.
Das Vereinigte Königreich, mit einem BIP von etwas über 2,5
Billionen Euro würde ohne die EU wesentlich weniger wirtschaftliches
Gewicht in die Waagschale werfen als die EU mit dann einem BIP von
immer noch mehr als 12 Billionen Euro. Während also Europa rund 15
Prozent seiner Wirtschaftsleistung einbüßt, sind dies für
Großbritannien ohne die EU 85 Prozent! Es wird schon von daher nicht
unbedingt leichter, mit Ländern wie beispielsweise Südkorea ein
Handelsabkommen zu verhandeln und es ist gut möglich, dass
Großbritannien nicht die gleichen Konditionen aushandeln kann, wie
das wirtschaftliche Schwergewicht EU. Einmal ganz davon abgesehen,
was vom britischen BIP noch bleibt, wenn die Londoner City nicht mehr
Nabel der Finanzwelt ist.
"Eine weitere politische Folge wird die Sogwirkung in anderen
Mitgliedstaaten sein, wenn erstmals ein Staat aus der EU austritt.
Gerade in solchen Ländern, in denen populistische Parteien derzeit
einen sehr großen Zulauf haben und sich mehr oder weniger offen für
einen Austritt aus der EU aussprechen. Aus meiner Sicht liefe das auf
ein Ende der Europäischen Union hin, wie wir sie kennen. Denn es darf
nicht unterschätzt werden, dass zu den kulturellen und historischen
Unterschieden sich auch noch die ökonomische Schere immer weiter
öffnet - was sicherlich Wasser auf die Mühlen der Europagegner in
anderen Ländern ist. Europa würde sich letztlich marginalisieren.
Lediglich Frankreich und Großbritannien hätten dann noch durch ihren
ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat eine relative Bedeutung.
Demgegenüber würde aber Europa nicht mehr als ein großer, starker und
leistungsfähiger Kontinent wahrgenommen werden", warnt der
Außenhandelschef.
"Vor allem müssen wir den Ländern eine eigene nationale Identität
lassen. Denn sonst wird es nicht bei einem Brexit bleiben. In
Frankreich, in Italien, den Niederlanden oder in Tschechien könnte
sonst schon bald die nächste Abstimmung über einen Verbleib in Europa
folgen. Und auch in Deutschland können Europagegner noch besser ihr
Süppchen kochen. Brüssel muss sich wieder mehr um die große Linie
kümmern und darf sich nicht im Klein-Klein verlaufen. Fragen der
Migration, der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie des
Binnenmarktes müssen europäisch gelöst werden. Sicher gibt es auch
weiterhin den Bedarf an europaeinheitlichen Regeln. Gleichzeitig muss
aber nicht jedes Detail harmonisiert werden. Wir müssen endlich dafür
sorgen, dass das Subsidaritätsprinzip, das seit Maastricht 1992
vertraglich verankert ist, auch mit Leben gefüllt wird", mahnt der
BGA-Präsident an.
"Um es deutlich zu sagen: die Annahme, eine Rückbesinnung auf den
Nationalstaat wird unsere Probleme lösen, ist ein vollkommener
Trugschluss. Nur gemeinsam werden wir die großen, vor uns liegenden
Herausforderungen meistern können. Gemeinsam heißt aber eben auch, zu
schauen, was sollte europäisch gelöst werden und was lieber dezentral
durch die Mitgliedstaaten. Ich rechne fest damit, dass die Briten für
einen Verbleib in der EU stimmen werden", so Börner abschließend.
20, Berlin, 20. Juni 2016
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