(ots) - Die Bundesregierung hat kein Interesse an einer
effektiven Kontrolle der deutschen Geheimdienste und gefährdet damit
die Pressefreiheit in Deutschland und weltweit massiv. Der
Gesetzesentwurf für eine Reform des Parlamentarischen
Kontrollgremiums, den das Internetportal netzpolitik.org heute
veröffentlicht hat, lässt für Reporter ohne Grenzen keinen anderen
Schluss zu (http://t1p.de/lex9). Die Organisation erkennt darin zwar
Verbesserungen zur aktuellen Situation, doch entscheidende Missstände
beseitigt die Reform nicht. Demnach soll es keinen unabhängigen
Geheimdienstbeauftragten geben. Journalisten sollen weiterhin kein
Recht besitzen, sich bei Recherchen zu Geheimdiensten auf das
Informationsfreiheitsgesetz zu berufen.
"Mit dem Gesetzentwurf verweigert sich die Bundesregierung
weiterhin einer effektiven Kontrolle und Transparenz bei deutschen
Geheimdiensten", kritisierte Matthias Spielkamp, Vorstandsmitglied
von Reporter ohne Grenzen. Mit der Einführung eines "Ständigen
Bevollmächtigten" soll dem Entwurf zufolge Konstanz in die Arbeit des
Kontrollgremiums gebracht werden, weil er kontinuierliche und
strukturierte Untersuchungen besser durchführen könne als die oftmals
überlasteten Mitglieder. "Dieser 'Ständige Bevollmächtigte' ist aber
abhängig von den Weisungen der Mitglieder des Gremiums. Ein
unabhängiger 'Geheimdienstbeauftragter' analog zum
Wehrdienstbeauftragten wäre die angemessene Lösung", sagte Spielkamp.
DATENAUSTAUSCH MIT AUSLÄNDISCHEN DIENSTEN SCHÄRFER KONTROLLIEREN
Problematisch ist zudem, dass die Bundesregierung dem Gremium
weiterhin nicht von Vorgängen berichten muss, in denen es um
Informationen geht, die von ausländischen Geheimdiensten stammen.
"Das ist völlig unverständlich, denn ein Großteil der Enthüllungen
von Edward Snowden und der Erkenntnisse des
NSA-Untersuchungsausschusses betraf ja genau diesen Austausch mit
ausländischen Diensten", sagte Spielkamp.
Reporter ohne Grenzen begrüßt bei der geplanten Reform, dass das
Gesetz stärker konkretisiert, wann die Bundesregierung das
Parlamentarische Kontrollgremium informieren muss und darunter auch
Vorgänge fallen sollen, die "Gegenstand öffentlicher
Berichterstattung" sind. "Den entscheidenden Schritt geht die Reform
aber auch hier nicht, denn die Informationen zu solchen Vorgängen
sollen weiterhin geheim bleiben und nur veröffentlicht werden, wenn
eine große Mehrheit des Gremiums einer Veröffentlichung zustimmt",
sagte Spielkamp. Sinnvoller wäre es, den Mechanismus umzukehren: Die
Veröffentlichung von Informationen muss zur Regel werden bei Themen,
zu denen die Medien ohnehin schon berichten und weiterhin berichten
müssen - und nur, wenn sich eine große Mehrheit des Gremiums aufgrund
von berechtigten Geheimhaltungsinteressen gegen eine Veröffentlichung
ausspricht, dürfen Informationen der Öffentlichkeit vorenthalten
werden.
Weiteren Diskussionsbedarf sieht Reporter ohne Grenzen beim Schutz
von Whistleblowern, der Ausweitung des Informationsfreiheitsgesetz
sowie einer Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes auf
Geheimdienste: Beim Schutz von Whistleblowern sieht der Entwurf
erfreuliche Änderungen vor. Insbesondere ist zu begrüßen, dass der
Chef eines Geheimdienstes nicht mehr Kenntnis davon erlangt, wenn
sich ein Mitarbeiter dem Kontrollgremium anvertraut. Das Gremium darf
den Namen des Whistleblowers nur im Ausnahmefall der Bundesregierung
nennen. Hier muss das Gesetz jedoch noch präzisiert werden: Ein
Mitarbeiter muss zwingend vorab gefragt werden, ob das Gremium seine
Identität im Einzelfall preisgeben darf, weil er sich im Regelfall
vertraulich an das Gremium wenden dürfte und auf die Wahrung seiner
Anonymität vertraut.
INFORMATIONSFREIHEITSGESETZ AUF GEHEIMDIENSTE AUSWEITEN
Journalisten benötigen auch gegenüber Geheimdiensten Rechte, um
die Kontrollfunktion der Medien gerade in diesem sensiblen Bereich
angemessen wahrnehmen zu können. Das Informationsfreiheitsgesetz
(IFG) sollte auch auf Geheimdienste anwendbar sein, sodass
Journalisten im Zweifel vor einem unabhängigen Gericht auf Herausgabe
von Informationen klagen können. Richtig ist, dass es auch in einer
Demokratie Geheimnisse geben muss. Durch die Reform bleiben die
Geheimdienste jedoch eine Blackbox. Gerade wegen der Skandale der
Vergangenheit fürchten Bürger und besonders Journalisten, bei ihrer
Arbeit überwacht und ausspioniert zu werden. Hier wäre es ein
wichtiges Signal, Journalisten mit dem IFG ein Werkzeug an die Hand
zu geben, um Geheimdienste kontrollieren zu können und nicht nur auf
das Handeln couragierter Whistleblower angewiesen zu sein.
Der Gesetzesentwurf entzieht die Geheimdienste weiterhin einer
Kontrolle durch das Bundesdatenschutzgesetz und die
Bundesdatenschutzbeauftragte. Es wäre wichtig, dass das
Bundesdatenschutzgesetz uneingeschränkt auch auf alle
geheimdienstlichen Datensammlungen angewendet würde und dass
Datensammlungen immer nur mit Zustimmung der
Bundesdatenschutzbeauftragten betrieben werden dürfen.
Reporter ohne Grenzen setzt sich seit langem für eine umfassende
Kontrolle der deutschen Geheimdienste ein. Im März 2015 - ein Jahr
nach der Einsetzung des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags -
bemängelte die Organisation zusammen mit dem Privacy Project, der
Humanistischen Union, dem Rechtsanwalt Niko Härting, der
Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und
Partizipation sowie dem Whistleblower-Netzwerk, dass in Deutschland
bislang praktisch keine politischen Konsequenzen aus den Enthüllungen
des NSA-Whistleblowers Edward Snowden gezogen wurden
(http://t1p.de/ntyy). In einer Stellungnahme an die Vorsitzenden der
Bundestagsfraktionen und an die Ausschussmitglieder haben die
genannten Organisationen konkrete Vorschläge für eine bessere
Aufsicht über die Geheimdienste vorgelegt (http://t1p.de/fgac).
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