(ots) -
Schon heute wird im Profifußball jede Bewegung auf dem Platz von
Kameras registriert. Mit moderner Messtechnik könnten bald noch viel
mehr Daten erhoben und ausgewertet werden, ergibt eine aktuelle
Analyse der Managementberatung Porsche Consulting.
Technisch muss beim Fußball so gut wie nichts mehr dem Zufall
überlassen bleiben. Millionen von Daten werden erfasst und fließen in
Echtzeit in Analysen über Spiel, Spieler und Schiedsrichter - und sie
werden immer wichtiger für die Aufstellung, die richtige Taktik und
den Transfermarkt. Mikrochips am Sportler und jede Menge
Digitaltechnik machen es möglich. Die Managementberatung Porsche
Consulting hat zusammengestellt, was sich im Stadion schon bald
ändern kann.
Das entscheidende Tor in allerletzter Minute bedeutet mehr als nur
den Sieg. In der Champions League spült das jeweilige Erreichen der
nächsten Runde durch Prämien und Fernsehrechte Euros in einem
zweistelligen Millionenbetrag in die Kasse der Klubs. Selbst der
Einzug in die nächste DFB-Pokalrunde kann für einen Drittligisten
lukrativer sein als alle verkauften Tickets einer Saison. Kein Wunder
also, dass Vereine und Verbände im professionellen Fußball nichts dem
Zufall überlassen wollen. Kaum ein Coach optimiert sein Training oder
die Spieltaktik ohne technische Hilfsmittel. Galten Videoanalysen bis
vor einigen Jahren noch als das Mittel schlechthin, halten jetzt neue
Techniken Einzug in Trainingsalltag und Spiele - und mit ihnen
Millionen von Daten. Aus den Big Data lässt sich mithilfe von
komplexer Software viel mehr ablesen als für das bloße Auge erkennbar
ist. Jede Bewegung und sogar die körperliche Verfassung der Spieler
werden genau erfasst und ausgewertet: Es ist eine Art "Big Brother"
des Fußballs.
Einen Schritt Richtung Zukunft im Fußball-Datenspiel macht in
Deutschland das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS)
in Nürnberg: Das funkbasierte Ortungssystem mit der Bezeichnung
RedFIR ist derzeit in den Stadien der TSG 1899 Hoffenheim und des 1.
FC Nürnberg installiert. Bis zu 144 Chips an Schuhen und Kleidung der
Spieler sowie im Ball liefern 50 000 Informationen pro Sekunde an
zwölf Antennen im Stadion. Diese Daten werden mithilfe der
SAP-Plattform HANA verarbeitet, die zeitgleich die exakte Position
aller Spieler auf einer 3D-Oberfläche darstellt und
fußballspezifische Informationen wie Ballbesitz, Pässe, Torschüsse
und Flanken auflistet. Selbst physische Daten wie Sprunghöhe,
Schrittzahl, gelaufene Meter oder Bewegungsgeschwindigkeit werden in
Echtzeit ermittelt. Der Trainerstab ist so jederzeit über das
aktuelle Leistungsvermögen jedes Spielers bis auf mehrere Stellen
hinter dem Komma informiert - und kann auf dieser Basis
Entscheidungen zur Aufstellung oder Taktik treffen. "Zurzeit kann
unser System nur bei Trainingsspielen eingesetzt werden, da die
internationalen Fußball-Dachverbände FIFA und IFAB Sender an Spielern
in ihrem Regelwerk noch nicht vorsehen. Änderungen werden aber
derzeit diskutiert", so René Dünkler, zuständig für
Technologie-Marketing beim Fraunhofer-Institut IIS.
Das Analysieren von Spielgeschehen ist keine Neuheit. Bereits seit
1995 erfasst das britische Unternehmen Prozone Daten im Profifußball.
Heute gehört die Firma zum weltweit größten Datenvermarkter Stats und
versorgt über 200 Spitzenklubs mit Informationen, darunter die
deutsche Nationalmannschaft, den FC Bayern München, den FC Arsenal
London, Paris Saint-Germain oder den FC Barcelona. Eine der
Kerntechnologien von Prozone ist das Mobile Tracking System. Hier
wird der gesamte Spielverlauf von bis zu fünf HD-Kameras erfasst,
deren Bilder mithilfe von Kontrasterkennung - dunkle Stellen werden
von hellen unterschieden - zu Koordinaten umgewandelt werden. Der
Trainerstab analysiert anhand dieser Daten die Leistung jedes
einzelnen Spielers hinsichtlich Schnelligkeit, Laufwegen,
Ballkontakten oder Zweikampfverhalten. Der große Vorteil des Systems
ist, dass es nicht nur im Training, sondern auch in Spielen
eingesetzt werden kann, da es ohne Sender auskommt und so keine
geltenden Regularien des Weltfußballverbands FIFA verletzt.
Genauso wertvoll wie die Daten zum Spielverlauf sind medizinische
Daten der Spieler. Die deutsche Fußballnationalmannschaft setzt dafür
seit ihrer Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien
neben Prozone auf eine Lösung des Sportartikelherstellers Adidas. Das
miCoach Elite Team System funkt physiologische Daten aus einem
ärmellosen Kompressionsshirt mit integrierter Sensortechnologie in
Echtzeit an die Tablets des Trainerstabs. Dabei werden neben
Geschwindigkeit, Beschleunigung und zurückgelegter Distanz
insbesondere auch die Herzfrequenzen gemessen. DFB-Teamarzt Prof. Dr.
Tim Meyer steht den Datenfluten aber auch kritisch gegenüber: "Wir
können heute viel mehr messen, als wir verwenden können. Big Data
macht nur dann Sinn, wenn es uns am Ende in der Anwendung weiterhilft
- und uns nicht nur Faszination liefert." Der Mediziner erachtet
andere Informationen als nur reine Positionsdaten für noch
zukunftsträchtiger: "Für mich wäre es zum Beispiel interessant, die
Körperkerntemperatur der Spieler während des Matches zu messen. Das
könnte helfen, die Erschöpfung richtig einzuschätzen und zu erkennen,
wann ein Spieler besser ausgewechselt werden sollte", so der
Mediziner. "Verschluckbare Chips, die diese Daten liefern, gibt es
bereits. Sie sind allerdings noch sehr teuer. Und natürlich muss das
Ganze ohne gesundheitliche Risiken ablaufen", so Meyer gegenüber
Porsche Consulting.
Die Datenflut des Fußballs ist aber auch für angrenzende
Industrien interessant. Das Geschäft mit den Daten hat sich zu einem
milliardenschweren Wirtschaftszweig entwickelt. Adidas testet mit
einem Chip im Ball, wie sich neue Materialien an Fußballschuhen auf
das Ballflugverhalten auswirken. Computerspielehersteller wie EA
Sports oder SEGA nutzen die Daten für immer realistischere Programme.
Medien, Online- Plattformen, Datenbanken und Wettorganisationen
kaufen die Analysen, um sie für eigene Zwecke einzusetzen. Rund 4,5
Milliarden Euro haben allein die legalen Sportwettenanbieter im Jahr
2014 in Deutschland umgesetzt, einen Großteil davon online, wobei die
Tipps rund um den Fußball mit Abstand vorne liegen. Die Quoten werden
während des Spiels ständig neu berechnet. Ob ein Team führt oder
zurückliegt, ist dabei nicht unbedingt das ausschlaggebende
Kriterium, denn aus den Echtzeitdaten lassen sich fundiertere
Prognosen über den weiteren Verlauf des Spiels ableiten. Und mehr
noch: Um mögliche Manipulationen aufzudecken, werden die Daten nach
bestimmten Algorithmen ausgewertet. Neben den Spielern und dem
aktuellen Leistungsvermögen der Mannschaften wird auch die Leistung
der Schiedsrichter erfasst. Bestimmte Bewegungsmuster bei Spielern
und Referees können zumindest Indizien dafür liefern, dass etwas von
der Norm abweicht.
SAP-Projektleiter Jens Wittkopf sieht die aktuell größte Bedeutung
der Daten bei der Talentsuche: "Big Data ist dabei, das
Talentscouting zu revolutionieren. Ab einer bestimmten Spielstärke
sind umfassende Daten der Jugendlichen aus den Nachwuchsmannschaften
weltweit abrufbar", sagt der Softwarespezialist in der Analyse von
Porsche Consulting. "In die Profimannschaft des eigenen
Spitzenvereins schaffen es nur die wenigsten Nachwuchsspieler. Durch
die Daten wird es für Vereine künftig einfacher, beispielsweise einen
passenden Stürmer zu finden - auch international." Dass allerdings
der Computer in Zukunft die Mannschaft aufstellen wird, daran glaubt
auch Jens Urlbauer, Managing Director bei Prozone, nicht:
"Entscheidend bei aller Technologie ist immer noch der Mensch, der
die riesigen Datenmengen qualitativ analysiert. Und dazu gehören
Erfahrung und Fußballverstand."
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Heiner von der Laden
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