(ots) - Wenn es nicht so traurig wäre für Europa, könnte
einem Jean-Claude Juncker fast schon leidtun. Was ist nur aus dem
leutseligen Luxemburger Kumpeltyp geworden, der mit seinem
freundlichen Genuschel und niedlichen Akzent selbst die härtesten
Konflikte in der EU zu relativieren vermochte? Rien ne va plus. Nach
dem Brexit-Votum hat der Kommissionspräsident komplett versagt. Statt
den Schaden zu begrenzen, hat er ihn vergrößert - mit seinem Solo für
Ceta, den Freihandelspakt mit Kanada.
Junckers demonstrativ herzliche Begrüßung des rechtsradikalen
EU-Feindes Nigel Farage im EU-Parlament am Dienstag nach dem
Brexit-Votum - mit Schulterklopfen und schallendem Gelächter - ließ
sich noch als hilfloser Versuch der Gesichtswahrung einordnen. All
die Küsschen, Küsschen und Umarmungen, mit denen Juncker Gäste zu
bezirzen pflegt, wirken nun allerdings noch hohler. Sie stehen für
seine ganze Haltung: Weiter so, als wäre nichts geschehen.
Dabei geht es jetzt um alles - nicht nur, aber auch wegen Juncker,
der die Briten nicht überzeugen konnte, in der EU zu bleiben: weder
mit seinem unverbindlichen Goodwill-Gemurmel am Anfang der
Austrittskampagne noch mit seinen verzweifelten Drohungen am Schluss.
Saft- und kraftlos wirkte beides, von Elan für Europa keine Spur.
Dabei war genau das einst Junckers große Stärke.
Mit seiner Europa-Liebe übertünchte der Luxemburger lange seine
größte Schwäche: dass er als langjähriger Chef der größten Steueroase
Europas von Anfang an eine Fehlbesetzung war. Schon seine Wahl
bestätigte viele Vorurteile gegen die angeblich von Konzerninteressen
gesteuerte Kommission. Aber es geht noch schlimmer: Direkt nach dem
Brexit mit Ceta ein umstrittenes, geheim verhandeltes Abkommen
durchdrücken zu wollen ist unglaublich dreist - oder dumm. Wer dann
noch auf Kritik antwortet, wo über Ceta abgestimmt werde, sei ihm
"relativ schnurzegal", hat nichts begriffen. Und muss gehen.
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