(ots) - Reporter ohne Grenzen ist besorgt über die
kurzfristige Sperrung von Facebook-Profilen renommierter Journalisten
durch das US-amerikanische soziale Netzwerk. Dem französischen
Hörfunk-Journalisten und Terrorismus-Experten David Thomson
verweigerte Facebook zuletzt für 48 Stunden den Zugang zu seinem
Benutzerkonto, weil auf einem Foto aus dem Jahr 2013 die Flagge des
sogenannten "Islamischen Staates" zu sehen war. Zeitgleich berichtete
die Nachrichtenagentur Reuters von neuen Filtersystemen bei Facebook
und YouTube, mit denen automatisiert Hass- und Terrorbotschaften aus
dem Netz entfernt werden sollen.
Reporter ohne Grenzen appelliert an deutsche und europäische
Politiker, den Kampf gegen Hass- und Terrorpropaganda nicht allein
den Betreibern von Internetplattformen und sozialen Netzwerken zu
überlassen. "Über die Grenzen der Meinungsfreiheit muss öffentlich
diskutiert werden", forderte ROG-Vorstandsmitglied Matthias
Spielkamp. "Wir dürfen eine so sensible Frage nicht undurchsichtigen
Prozessen von Unternehmen überlassen, die in erster Linie
wirtschaftlichen Interessen folgen und sich der Pressefreiheit im
Zweifel nicht so stark verpflichtet fühlen, wie es in einer
Demokratie der Fall sein müsste. In einem Rechtsstaat sollten
unabhängige Gerichte entscheiden, was gesagt werden darf und was
nicht - egal ob online oder offline."
Reporter ohne Grenzen fordert die Bundesregierung deshalb auf,
Facebook auf die neuen Vorfälle anzusprechen und gemeinsam Lösungen
zu entwickeln, die die Meinungs- und Pressefreiheit stärker schützen.
AUTOMATISCHE FILTERSYSTEME GEFAHR FÃœR DIE MEINUNGSFREIHEIT
Die Nachrichtenagentur Reuters hatte berichtet, YouTube und
Facebook hätten automatisierte Verfahren erarbeitet, um
Propaganda-Botschaften des IS und anderer Extremistengruppen den
Zugang zum Netz zu verwehren. Die verwendete Technik war ursprünglich
entwickelt worden, um urheberrechtlich geschützte Inhalte zu
identifizieren und zu löschen. Die beteiligten Unternehmen wollten
den Bericht nicht bestätigen. Mehrere mit den Verfahren vertraute
Personen sagten laut Reuters, die Firmen lehnten eine öffentliche
Diskussion ab, weil sie Terroristen keinen Einblick in ihre Verfahren
verschaffen und verhindern wollten, dass autoritäre Regime die
Technologie gegen ihre Gegner einsetzten. Reporter ohne Grenzen
kritisiert diese restriktive Informationspolitik scharf.
"Der Fall von David Thomson zeigt, wie gefährlich es ist, wenn
globale Internetkonzerne allein über Fragen der Meinungs- und
Pressefreiheit entscheiden", sagte Matthias Spielkamp. Zwar sei nicht
erwiesen, dass Thomsons Profil wegen der neuen Filtersysteme
blockiert wurde. "Es ist aber sehr auffällig, dass plötzlich ein vier
Jahre altes Foto gelöscht wird, weil darauf im Hintergrund eine
IS-Flagge zu sehen ist und das Profil eines renommierten Journalisten
daraufhin für zwei Tage gesperrt wird. Kern des Problems ist, dass
Facebook keine Auskunft darüber gibt, wie und warum solche Profile
gesperrt werden und sich weigert, über die Abwägung zwischen dem
Verbot der Terrorpropaganda und dem Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung Rechenschaft abzulegen."
NUTZERKONTEN VON TERRORISMUS-EXPERTEN GESPERRT
Der Journalist David Thomson von Radio France International
berichtet vor allem über internationalen Terrorismus und hat immer
wieder damit zu kämpfen, dass sein Facebook-Account blockiert wird.
Nachdem sein Konto am 20. Juni für 24 Stunden gesperrt worden war,
drohte ihm Facebook am folgenden Tag wegen eines weiteren strittigen
Fotos damit, seinen Account für drei Tage zu blockieren. Erst nach
einem Anruf bei Facebook konnte der Journalist wieder auf sein Konto
zugreifen. 2014 sei sein Benutzerkonto sogar ohne jede Vorwarnung
gesperrt worden, sagte Thomson gegenüber ROG (http://t1p.de/srv6).
Mehrere Wissenschaftler und Journalisten, die sich mit dem
Terrorismus befassen, haben in den vergangenen Monaten ähnliche
Erfahrungen gemacht.
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