Strukturelle Defizite bei der Einführung von Business Intelligence in der Wirtschaft betreffen laut Studien etwa ein Drittel der weltweit 5000 größten Unternehmen – diese würden „aus dem Bauch heraus“ geführt, weil keine verläßlichen Informationen für fundierte Entscheidungen auf Basis von Geschäftsinformationen vorlägen. Der international renommierte IT-Pionier Karl-Heinz Land, von der Computerwoche schon vor Jahren als „Mr. Business Intelligence“ geehrt, sieht Silo-Denken im Management und Silos in der IT als Hauptursache für das riskante „va-banque“-Spiel der Großunternehmen.
(firmenpresse) - 19.11.2009, Düsseldorf, von Sebastian Paulke – Schwere Versäumnisse in der Erhebung geschäftskritischer Informationen durch geeignete Business Intelligence-Systeme (BI) bei mehr als einem Drittel der weltweiten Unternehmenselite belegten z.B. die Marktanalysten von Gartner http://newsroom.accenture.com/article_display.cfm?article_id=4777 noch Ende letzten Jahres. Vor dem Hintergrund einer anhaltenden Wirtschaftskrise, in der die Qualität der Informationen über die wertschöpfungskritischen Prozesse, die dem Management eines Unternehmens zur Verfügung stehen, naturgemäß zur höchst kritischen Ressource jedweden Unternehmenserfolgs werden muss, wollten wir wissen, wie die aktuelle Lage in deutschen Unternehmen ist.
Im Interview mit dem IT-Nachrichtenportal Wort+Welt http://www.wortundwelt.de erläutert Karl-Heinz Land, Vorstand des rheinischen IT-Beratungshauses MT AG http://www.mt-ag.com und als ehemaliger Top-Manager der BI-Pioniere MicroStrategy und Business Objects ein intimer Kenner des BI-Marktes, was die Ursachen für das Versagen der Unternehmen sind und welche Strategien die Unternehmen aus dem Nebel intuitiver Entscheidungen ins Licht tragfähiger Entscheidungen führen können.
Frage: Laut Gartner beklagten letzten Herbst sage-und-schreibe 61 Prozent der 250 befragten Top-Manager aus den weltweit 5.000 größten Unternehmen, keinen Zugang zu tragfähigen Daten über die Performance ihrer wichtigsten Geschäftsprozesse zu haben. Wie sehen Sie ein Jahr später, am Fuße der Talsohle der Wirtschaftskrise, die aktuelle Lage an der deutschen „BI-Front“?
Karl-Heinz Land: Aus meiner Sicht stellt sich die Lage in deutschen Großunternehmen im Zweifel eher noch schlechter dar. Häufig fehlt es schon an einem systematischen und strategischen Ansatz, einem übergreifenden, wenn Sie so wollen, „holistischen“ Konzept. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass ein vollständiges Bild ohne Einbeziehung aller betroffenen Geschäftsprozesse, und zwar auch der dynamischen und nicht-deterministischen, überhaupt nicht darstellbar ist.
Statt dessen findet man meist Lösungen, die entweder so IT-getrieben sind, dass sie im Management kaum noch Nutzen entfalten, oder üppige Werkzeugkisten voller Tools, die aber teilweise widersprüchliche Informationen liefern, sowie BI-Systeme, die nur die Vorkommnisse innerhalb bestimmter IT-Silos ohne Bezug zu anderen geschäftskritischen IT-Systemen reporten: Von einer 360 Grad-Sicht auf die momentane Unternehmensperformance sind die meisten Unternehmen daher noch weit entfernt – man darf also schon vermuten, dass wesentliche Akteure unserer Wirtschaft im Blindflug unterwegs sind.
Frage: Nun wird die „BI-Sau“ – auch von Ihnen übrigens – ja schon seit vielen Jahren „durchs Dorf getrieben“ – wieso sind die Unternehmen in bald 20 Jahren BI-Geschichte nicht deutlich weitergekommen?
Karl-Heinz Land: In meinen Gesprächen mit den Verantwortlichen zeigt sich, dass oft große Unsicherheit über gemeinsame Standards und Definitionen von Business Intelligence-Strategien und in der Konsequenz oft auch einfach Misstrauen in BI-Reports besteht. Das führt dann dazu, dass statt einen großen Wurf zu wagen und ein umfassendes, übergreifendes Gesamtkonzept für das Reporting über alle Unternehmensperformance-Indikatoren hinweg zu installieren, meist nur bereits bestehende Finanzprozesse abgebildet werden, mit dem Ergebnis eines vielleicht besseren Berichtswesens, aber weit entfernt von echter Business Intelligence als Kompass für wichtige Geschäftsentscheidungen. Das hat genauso viel mit Politik zu tun wie mit Silos in den Köpfen: Manager fürchten, zum Spielball nicht verständlicher Reportings aus der IT zu werden oder mit der neuen Kostenstelle ihre Ergbnisse zu verwässern anstatt zu optimieren. IT-Verantwortliche haben nicht immer das richtige Verständnis von den Business Objectives einer BI-Anforderung aus den Fachabteilungen oder nehmen die BI-Technologie, die sie am besten beherrschen, statt der, die dem Management die besten Ergebnisse lieferte.
In der Konsequenz führt das häufig dazu, dass die Fachbereiche eigene, beispielsweise Excel-basierende Lösungen aufbauen, um die eigene Performance anhand oft auch noch individueller Kennzahlen zu messen. Anstatt BI-Analyse reden wir also meistens von BI-Anarchie.
Frage: Welche Strategien führen denn heraus aus dem Nebel in den Führungsetagen? Was muss geschehen, damit eine integrierte Unternehmenssteuerung auf Basis konsolidierter, dynamischer Indikatoren möglich wird?
Karl-Heinz Land: Eigentlich müssen Unternehmen drei Baustellen aufmachen, wenn sie alles richtig machen wollen: Zunächst sollten die alten Legacy-Anwendungen aufgebrochen und Standards eingeführt werden – von neuen Technologien und neuen Paradigmen profitieren zu wollen, heißt dann eben auch, veraltete Landschaften zu modernisieren, um die wichtigen Services aus den modernen Service-orientierten Architekturen integrieren zu können.
Dann müssen analytische Anwendungen für die Abbildung von Standardprozessen in Planung, Budgetierung und Forecasting geschaffen bzw. externe Analyseanwendungen z.B. als Software as a Service eingeführt werden.
Aber am wichtigsten ist es, die Silostrukturen, wie sie neben der IT leider auch in den Köpfen und – noch schlimmer – in den Unternehmensstrukturen oft noch fest verankert sind, zu zerschlagen: Aus meiner Sicht müssten sich die Unternehmen von der applikationszentrischen Siloorganisation in der IT trennen und ihre Spezialisten in der Breite statt der Tiefe organisieren. So lässt sich ein saurierartiges Wachsen von einzelnen Anwendungen verhindern und gleichzeitig die Kompetenz in Funktionen, die applikationsunabhängig von Relevanz für die Fachabteilungen sind, steigern.
Gleiches gilt für die anderen Abteilungen: Anstatt Personal, Marketing, Vertrieb, Accounting und Markenführung um die Produkte herum aufzubauen, sollten Unternehmen versuchen, die historisch entstandenen Redundanzen durch horizontal ausgerichtete Funktionen wieder zu reduzieren.
Unternehmen, die sich nicht scheuen, den großen Wurf zu wagen und ihre gesamten Strukturen und Prozesse auf den Prüfstand zu stellen, werden dann auch die ersten sein, bei denen sich die aktuellen organisatorischen und technischen Widersprüche zwischen Anspruch und BI-Wirklichkeit auflösen lassen.