(ots) - Die Hinterbliebenen der 2012 in Syrien getöteten
US-Kriegsreporterin Marie Colvin verklagen mit Unterstützung von
Reporter ohne Grenzen (ROG) die Regierung des syrischen Präsidenten
Baschar al-Assad. Mit Hilfe von Informationen hochrangiger Überläufer
und von syrischen Regierungsdokumenten zeigt ihre Klage detailliert
die direkte Verantwortung hochrangiger Regimevertreter für die
gezielte Ermordung Colvins auf (zum PDF: http://t1p.de/y4e0). Der
tödliche Granatenangriff auf ein Untergrund-Medienzentrum in der
belagerten Stadt Homs am 22. Februar 2012 war demnach Teil der
Strategie des Assad-Regimes, unabhängige Journalisten auszuschalten,
um ohne störende internationale Aufmerksamkeit gegen die
Zivilbevölkerung vorgehen zu können.
Die US-Menschenrechtsorganisation Center for Justice and
Accountability (CJA) hat die Klage jetzt im Namen von Colvins
Schwester Cathleen Colvin, ihrer Nichte Justine-Araya Colvin und
weiterer Hinterbliebener bei einem Bundesgericht in der US-Hauptstadt
in Washington eingereicht (http://t1p.de/k76n). Darin bezeichnen die
Angehörigen die Tötung Marie Colvins als Kriegsverbrechen und fordern
von Syrien eine Entschädigung in ungenannter Höhe. ROG hatte den
Kontakt zwischen der Familie Colvin und dem CJA hergestellt und hat
durch sein internationales Netzwerk die mehrjährigen Recherchen zu
dem Fall unterstützt.
"Diese Klage zeigt, dass es möglich ist, die Verantwortlichen für
Verbrechen an Journalisten juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Das
ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die viel zu verbreitete
Straflosigkeit für Morde und andere Gewalttaten an Journalisten",
sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Durch dieses Verfahren
kann hoffentlich bald niemand mehr bestreiten, dass Marie Colvin und
ihre Kollegen gezielt angegriffen wurden, weil sie über die
Verbrechen der syrischen Armee an der Zivilbevölkerung berichtet
hatten."
Im Kampf gegen Straflosigkeit für derartige Taten hat ROG den
UN-Sicherheitsrat schon im April 2015 aufgefordert, die
Kriegsverbrechen an Journalisten in Syrien und im Irak dem
Internationalen Strafgerichtshof vorzulegen (http://t1p.de/24od).
Derzeit wirbt die Organisationen bei den Vereinten Nationen intensiv
für die Einsetzung eines UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von
Journalisten (http://t1p.de/jpd8).
GEZIELTE ÃœBERWACHUNG UND ERMORDUNG VON JOURNALISTEN
Die renommierte Kriegsreporterin Colvin war im Februar 2012
heimlich in die von Regimetruppen belagerte Aufständischen-Hochburg
Homs gereist, um im Auftrag der britischen Zeitung The Sunday Times
über die verzweifelte Lage der Zivilbevölkerung zu berichten. Als
Basis diente ihr ein von syrischen Bürgerjournalisten betriebenes
improvisiertes Medienzentrum in einem Wohnhaus. Bei dem
Granatenangriff auf das Zentrum wurde auch der französische Fotograf
Rémi Ochlik getötet; Colvins britischer Fotograf Paul Conroy, ihr
syrischer Stringer und Übersetzer Wael al-Omar sowie die französische
Journalistin Edith Bouvier überlebten schwer verletzt.
Die Klageschrift zeichnet detailliert nach, wie syrische
Geheimdienste schon vor Colvins Einreise aus dem Libanon die Spur der
Journalistin aufnahmen, ihre elektronische Kommunikation überwachten
und dann mit Hilfe abgefangener Sendesignale das Medienzentrum
orteten. Eine Informantin habe schließlich den entscheidenden Tipp
gegeben, dass sich ausländische Journalisten in dem Medienzentrum
aufhielten und wo sich dieses befinde. Daraufhin sei das Zentrum mit
gezieltem Granatenbeschuss immer enger in die Zange genommen worden;
selbst die auf die Straße geflohenen Überlebenden seien noch
beschossen worden.
Ebenso weist die Klage nach, wie hochrangige Regimevertreter -
darunter Präsident Assads Bruder Maher al-Assad, der damalige
Vize-Verteidigungsminister Assef Schaukat und der Chef des
wichtigsten zivilen Geheimdienstes, Ali Mamluk - Geheimdienste und
Armee anwiesen, gegen alle vorzugehen, die "das Ansehen Syriens in
ausländischen Medien und internationalen Organisationen beschmutzen".
Unter anderem seien Listen gesuchter ausländischer Journalisten und
syrischer Aktivisten mit mutmaßlichen Kontakten zu ausländischen
Medien an Kontrollposten verteilt und Belohnungen für das Aufspüren
ausländischer Reporter ausgelobt worden. An der gezielten Überwachung
und Ermordung von Journalisten hätten auch Mitglieder der regimenahen
"Schabiba"-Milizen mitgewirkt.
ROG tritt schon seit 2013 als Nebenklägerin in den Ermittlungen
der französischen Justiz zum Tod Rémi Ochliks und der versuchten
Tötung Edith Bouviers bei demselben Angriff auf; die Ermittlungen
sind bislang jedoch kaum vorangekommen. ROG hat die US-Klageschrift
der Colvins nun auch dem zuständigen Ermittlungsrichter in Frankreich
übergeben.
SEIT 2011 RUND 200 MEDIENSCHAFFENDE GETÖTET
Syrien ist derzeit das gefährlichste Land der Welt für
Journalisten: Seit dem Beginn des Aufstands gegen das Regime von
Baschar al-Assad im Frühjahr 2011 sind dort rund 200 Medienschaffende
wegen ihrer journalistischen Arbeit getötet worden, die meisten von
ihnen syrische Bürgerjournalisten. Zuletzt wurde vergangenen Montag
der Al-Dschasira-Reporter Ibrahim al-Omar getötet, als er über einen
russischen Luftangriff auf Tarmanin nahe der Stadt Idlib berichtete
(http://t1p.de/f5qy).
Derzeit sind in Syrien mindestens 29 Medienschaffende im
Gefängnis; weitere 29 - darunter sieben Ausländer - sind entführt
oder gelten als vermisst. Auf der jährlichen Rangliste der
Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht das Land auf Platz 177
von 180 Ländern. Weitere Informationen zur Lage der Medienschaffenden
in Syrien finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/syrien,
darunter die jüngsten ROG-Berichte zum "Dschihad gegen Journalisten"
und zur Situation der aus Syrien geflüchteten Journalisten in den
Nachbarstaaten.
Die vollständige Klageschrift der Familie Colvin gegen die
syrische Regierung ist online verfügbar unter http://t1p.de/y4e0
(PDF). Mehr zum Einsatz von ROG gegen Straflosigkeit für Verbrechen
an Journalisten finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/straflosigkeit/.
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Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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