(ots) - Ambulante Pflegedienste sind regelmäßig bereit, gegen
Patientenverfügungen zu verstoßen. Dies geht aus Recherchen des
ARD-Magazins "Monitor" (heute, 21.45 Uhr im Ersten) und einer Umfrage
des Palliativmediziners Matthias Thöns hervor. Bei Stichproben, die
von "Monitor" mit verdeckter Kamera dokumentiert wurden, zeigten fünf
von sechs ambulanten Pflegediensten Interesse, einen unheilbaren
Patienten aufzunehmen und zu beatmen. Und das, obwohl ihnen bekannt
war, dass eine Patientenverfügung vorlag, die dies unmissverständlich
ausschloss.
Der "Monitor"-Stichprobe lag der fiktive, aber realistische Fall
eines unheilbar kranken Mannes zugrunde, der nach einem Unfall im
Wachkoma liegt. Lebensverlängernde Maßnahmen hatte er für diesen Fall
mit einer rechtskonformen Patientenverfügung ausgeschlossen.
Journalisten von "Monitor" stellten sich als angebliche Angehörige
bei fünf Pflegediensten vor und baten darum, den Mann dennoch in
Pflege zu nehmen und künstlich weiter zu beatmen. Alle Einrichtungen
signalisierten die Bereitschaft, den Patienten aufzunehmen. Vier der
fünf Anbieter rieten dazu, die Patientenverfügung durch Angehörige
nachträglich zu ändern oder unter den Tisch fallen zu lassen. "Wenn
Sie sagen, die Patientenverfügung spielt jetzt keine Rolle mehr, dann
müsste sie nach meiner Meinung auch irgendwie weg", hieß es etwa in
einem Fall. Juristen sehen in den von "Monitor" dokumentierten Fällen
Anstiftungen zur Urkundenfälschung bzw. Urkundenunterdrückung. Alle
von "Monitor" besuchten Einrichtungen streiten ab, sich in diesem
Sinne geäußert zu haben.
Zum gleichen Ergebnis wie "Monitor" kommt auch eine bundesweite
Umfrage des Palliativmediziners Matthias Thöns unter ambulanten
Pflegediensten. Von 155 Einrichtungen, die auf die schriftliche
Anfrage geantwortet hatten, erklärten sich 140 bereit, einen
unheilbar kranken Patienten gegen seinen per Patientenverfügung
dokumentierten Willen künstlich am Leben zu erhalten. Dies entspricht
einer Quote von 90 Prozent.
Gesundheitsexperten und -politiker kritisieren in diesem
Zusammenhang Fehlanreize im Gesundheitssystem. Danach kosten
Patienten in sogenannten "Beatmungs-WGs", ambulante Einrichtungen zur
außerklinischen Intensivpflege, durchschnittlich 20.000 Euro pro
Monat, die überwiegend von den Krankenkassen bezahlt werden. "Gerade
Beatmungspatienten sind hochlukrative Patienten", sagt Thomas Sitte,
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Palliativstiftung. "Die Joker im
System, wenn Sie so wollen." Insgesamt mache die ambulante Betreuung
ein jährliches Volumen von drei bis fünf Milliarden Euro aus.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sieht in den
Finanzierungsregeln im Bereich der ambulanten Intensivpflege
rückblickend einen Fehler. "Das ist ganz klar ein Fehlanreiz. Wir
haben damals nicht bedacht, dass es so einen starken Sog auf die
Patienten ausüben würde. Jetzt beobachten wir in kurzer Zeit eine
enorme Zunahme der Kosten durch die ambulante Versorgung in
Beatmungs-WGs bei gleichzeitiger Verschlechterung der
Betreuungsqualität. Das müssen wir dringend ändern."
"Eine Änderung der Leistungen ist derzeit nicht geplant", erklärt
dagegen das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage von "Monitor".
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