PresseKat - Massive Tierschutzverletzungen bei führenden Bauernfunktionären

Massive Tierschutzverletzungen bei führenden Bauernfunktionären

ID: 1403716

(ots) -

Sperrfrist: 22.09.2016 17:00
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In Ställen von führenden Funktionären deutscher
Landwirtschaftsverbände ist es offenbar zu massiven
Tierschutzverletzungen gekommen. Dieser Verdacht gründet sich auf
Aufnahmen, die Aktivisten der Organisation "Animal Rights Watch"
(ARIWA) im vergangenen Jahr erstellten und die NDR und Süddeutsche
Zeitung überprüft haben. Nach Beurteilung von Tierschutz-Experten
zeigen einige der Bilder eindeutige Gesetzesverstöße. Die
Verantwortlichen müssten angezeigt werden, sagt etwa der
Veterinärwissenschaftler Prof. Dr. Dr. Matthias Gauly von der
Universität Bozen. Er ist Mitglied im Agrarbeirat der
Bundesregierung.

Die Bilder stammen unter anderem aus dem Mastbetrieb des
Vorsitzenden des Zentralverbandes der Deutschen Schweineproduktion
(ZDS), Paul Hegemann; außerdem aus einem Stall des Vorsitzenden des
Verbands Deutscher Putenerzeuger, Thomas Storck; weitere Aufnahmen
aus einer Ferkelzucht der Genossenschaft von Helmut Gumpert,
Präsident des Thüringer Bauernverbands; sowie schließlich vom
Familienbetrieb von Johannes Röring, CDU-Bundestagsabgeordneter,
Präsident des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WLV)
und Vorsitzender des Fachausschusses Schweinefleisch im Deutschen
Bauernverband.

Die Videoaufnahmen, die offensichtlich im März und Oktober 2015 in
der Schweinemast von Paul Hegemann in Saerbeck (NRW) gedreht wurden,
beurteilt Prof. Gauly in einem Interview für das ARD-Politikmagazin
Panorama als "absolut schockierend" und "abstoßend". Sie zeigen
schwer verletzte Schweine mit riesigen klaffenden Wunden am After,
die von ihren Artgenossen angefressen werden, blutige abgebissene
Schwänze, hustende Tiere, Schweine mit geröteten und vereiterten




Augen, zu breite Spalten im Stallboden und Verletzungen an den
Gliedmaßen der Tiere. Auf einem Messgerät der Aktivisten ist
zeitweise ein stark erhöhter Wert von mehr als 60 ppm des giftigen
Gases Ammoniak zu sehen - zulässig ist lediglich ein Wert von 20 ppm.

Es sei "eine in hohem Maße tierschutzwidrige Haltung von Tieren",
"aus rechtlichen und aus ethischen Gründen absolut unvertretbar",
sagte die Berliner Fachtierärztin für Tierschutz, Diana Plange, in
Panorama. Auch ihr haben NDR und SZ Ausschnitte aus den Aufnahmen
vorgelegt. Plange ist vereidigte Sachverständige für
Tierschutzfragen. "Ich bin einiges gewöhnt, aber das ist wirklich
entsetzlich", kommentierte sie die Videos und erklärte: "Die Tiere
haben über einen längeren Zeitraum erheblich gelitten, und das wäre
vermeidbar gewesen."

NDR und SZ haben allen verantwortlichen Verbandsvertretern
Standbilder aus den Videos geschickt und um Stellungnahmen gebeten.
Im Namen von Paul Hegemann erklärte eine Vertreterin des
Schweineproduktionsverbandes ZDS zunächst, er könne die Fotos nicht
seinem Betrieb zuordnen. Deshalb lehne er ein Interview ab. Auf
weitere Rückfragen und den Verweis auf vorliegende GPS-Daten erklärte
der ZDS: "Grundsätzlich bedauern wir das Entstehen solcher Bilder,
die es in einer tierwohlgerechten Schweinehaltung zu vermeiden gilt."
Ursache für die zu sehenden Verletzungen und Erkrankungen der Tiere
seien Kannibalismus beziehungsweise ein Infektionsgeschehen. Die
Schweine seien jedoch tierärztlich behandelt worden. Die erkennbaren
Verschmutzungen würden "aus der Verfütterung von Nebenprodukten der
Backwarenindustrie seit dem Frühjahr 2015" resultieren.

Auf den Aufnahmen, die vom Familienbetrieb von Johannes Röring in
Vreden (NRW) stammen, stellten die beiden Tierschutz-Experten Diana
Plange und Matthias Gauly ebenfalls schwerwiegende Probleme fest.
Auch hier sind mehrere schwer verletzte Tiere zu sehen, die
offensichtlich nicht ausreichend tierärztlich behandelt worden sind -
unter anderem mit blutigen Wunden, einem eingerissenen Darm,
Abszessen und Verletzungen an den Beinen. Ein Schwein kann sich
offensichtlich nur noch mühsam vorwärts robben. Wie auch bei Paul
Hegemann weisen die Spaltenböden teils zu große Abstände auf. Die von
den Tierschutz-Aktivisten gemessenen Ammoniak-Werte liegen mit mehr
als 50 ppm ebenfalls deutlich über der zulässigen Höchstgrenze.

Außerdem zeigen die Bilder einen Tierkadaver, der von anderen
Schweinen angefressen wird. Nach Einschätzung der Fachexperten lag
das Tier dort bereits längere Zeit. Diana Plange kritisierte, dass
der Halter anscheinend seine Schweine und die Ställe nicht
ausreichend kontrolliert habe. Matthias Gauly sagte gegenüber NDR und
SZ: "Zusammengefasst stellt das so die schlechteste Form der
Schweinehaltung dar, die man sich vorstellen kann, mit einem hohen
Potenzial an Tierleid und katastrophalen hygienischen Bedingungen."

Johannes Röring hatte zunächst zugesagt, sich nach einer Prüfung
der Bilder in einem Interview zu äußern. Ein Termin dafür kam jedoch
nicht zustande. Stattdessen schickte die Röring GbR ein
Anwaltsschreiben. Darin heißt es, die Haltungsbedingungen im Stall
seien zum Zeitpunkt der Bildaufnahmen "einwandfrei" gewesen. Auf den
Bildern sei "nichts zu sehen, was einen Verstoß gegen das
Tierschutzgesetz darstellen könnte". Der Kadaver sei "erst kurz vor
der Aufnahme in das Abteil gelegt worden", um es dort zu
fotografieren, heißt es in dem Schreiben. "Denn die anderen Schweine
würden einen Kadaver, der dort abgelegt wird, sofort als Futter
ansehen und damit beginnen, es aufzufressen." Entsprechende
Bissverletzungen seien auf dem Bild jedoch nicht zu sehen. Die
Tierschutz-Aktivisten von ARIWA bestreiten, den Kadaver dort
hingelegt zu haben.

Weitere Aufnahmen der Organisation, die NDR und SZ vorliegen,
stammen aus einer Ferkelzucht der Agrarprodukte Laskau GmbH in
Thüringen. Einer der beiden Geschäftsführer des Unternehmens ist
Helmut Gumpert, Präsident des Thüringer Landesbauernverbandes. Auf
den Bilder einer versteckt angebrachten Kamera ist zu sehen, wie eine
Tierbetreuerin neugeborene Ferkel auf den Betonboden schleudert, um
sie töten.

"Das ist ein grober Verstoß gegen das Tierschutzgesetz und
sicherlich auch eine Straftat", sagte Fachtierärztin Diana Plange.
Denn nach geltendem Gesetz müssen Tiere zunächst betäubt und
anschließend durch Blutentzug getötet werden. Dies bestätigte auch
das Thüringer Gesundheitsministerium in Erfurt.

Die Agrarprodukte Laskau GmbH teilte auf Anfrage von NDR und SZ
mit, dass es in dem Betrieb "strenge Vorgaben für die Nottötung von
Ferkeln" gebe. Bislang seien der Geschäftsführung keine Verstöße
dagegen bekannt. Der Verdacht werde jedoch "sehr ernst" genommen und
ihm "betriebsintern nachgegangen". Sollte sich tatsächlich
herausstellen, dass "Nottötungen weisungswidrig durchgeführt wurden",
werde der Betrieb "arbeitsrechtliche Konsequenzen ziehen".

Die Tierschutz-Aktivisten haben auch in einem Putenstall der Gut
Jäglitz GmbH in Roddahn / Brandenburg gefilmt. Inhaber und
Geschäftsführer ist der Vorsitzende des Verbandes Deutscher
Putenerzeuger (VDP) und Vize-Präsident des Zentralverbands der
Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), Thomas Storck. Die Bilder sind in
der Zeit zwischen Juli und Dezember 2015 gedreht worden. Sie zeigen
Tiere mit Erkrankungen und teils erheblichen Verletzungen. Laut Prof.
Gauly ist hier zum Teil ein Kannibalismus in einem Ausmaß zu sehen,
"der weit über das hinausgeht, was eigentlich üblich ist" und bei dem
der Landwirt hätte deutlich früher eingreifen müssen.

Thomas Storck räumte auf Anfrage von NDR und SZ die Probleme ein.
Er erklärte, dass es sich um "erschreckende", "schlimme Bilder"
handele. Er sei "in höchstem Maße betroffen und traurig". Allerdings
seien die Bilder "nicht repräsentativ für den Zustand der gesamten
Herde". Außerdem sei er selbst im Herbst vergangenen Jahres auf die
Probleme aufmerksam geworden. Die zuständigen Tierbetreuer habe er
bereits Anfang 2016 entlassen. Mittlerweile würden die Anlagen wieder
ordnungsgemäß geführt. Er stehe "aus Überzeugung für eine
tiergerechte Putenhaltung", so Storck.

Erasmus Müller von der Tierschutzorganisation "Animal Rights
Watch" (ARIWA) erklärte gegenüber NDR und SZ, ihnen sei es wichtig,
die Aufnahmen aus den Ställen führender Landwirtschaftsvertreter zu
zeigen, weil diese Verbände Tierschützern immer wieder vorwerfen
würden, Einzelfälle aufzubauschen und lediglich schwarze Schafe in
die Öffentlichkeit zu zerren. Er wünscht sich eine Debatte darüber,
ob die Gesellschaft wirklich wolle, dass Tiere so "bestialisch"
leiden, so Müller.

Mehr zu dem Thema unter www.panorama.de und heute, Donnerstag, 22.
September, um 21.45 im NDR-Politikmagazin Panorama im Ersten.

Für Rückfragen:

Oda Lambrecht: 040 - 4156 7173 / 0176 233 68 440
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