(ots) - Äthiopien ist immer ein Vorbild für Afrika gewesen.
Es war das einzige Land auf dem Kontinent, das sich Ende des 19.
Jahrhunderts dem Versuch der Eroberung durch eine europäische
Kolonialmacht militärisch erfolgreich entgegenstellte. Es blickt auf
eine mehrtausendjährige stolze Staatsgeschichte zurück. In den
letzten Jahrzehnten wies Äthiopien konstant die höchsten
Wachstumsraten Afrikas auf und stand wie kein anderes Land für den
Aufstieg vom Hungerleider zum "afrikanischen Löwen".
Die Kehrseite all dessen ist immer die Entrechtung der breiten
Bevölkerung gewesen. Früher schien es den Herrschenden in Addis Abeba
egal zu sein, wenn Hungersnöte Hunderttausende dahinrafften. Diese
Zeiten gehören der Vergangenheit an; bittere Armut bleibt aber weit
verbreitet, und die meisten Menschen haben nichts zu sagen, was
staatliche Entwicklungsentscheidungen angeht.
Seit dem Tod des langjährigen autoritären und global respektierten
Regierungschefs Meles Zenawi vor vier Jahren scheint das
verschlossene äthiopische Machtsystem sein politisches Gespür
verloren zu haben. Die ständig neu aufflammenden Unruhen bekommt der
Staat nicht in den Griff. Jetzt richten sie sich gegen die vielen
neuen ausländischen Investitionsprojekte, Symbole der auf maximales
Wirtschaftswachstum und minimale Bürgerbeteiligung ausgerichteten
Politik. Was im Ausland als Schaffung von Arbeitsplätzen gefeiert
wird, sind in Äthiopien selbst oft eher Symbole der Unterdrückung.
Bundeskanzlerin Merkel kann also in Äthiopien nächste Woche nicht
wie eigentlich geplant einfach den Fortschritt loben. Auch die
Schattenseiten müssen Thema sein - und zwar nicht, um den Unmut der
Menschen im Rahmen der "Fluchtursachenbekämpfung" im Zaum zu halten
und die Abschottung zu verschärfen. Das Fundament
entwicklungsorientierter Außenpolitik muss sein, für Bürgerrechte,
Partizipation und sozialverträgliches Wachstum einzutreten.
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