(ots) - Das Reich der Mitte ist dieser Tage wieder
einmal geeignet gewesen, Kursreaktionen am Aktienmarkt zu begründen -
mal in die eine, mal in die andere Richtung. Politische Risiken
scheinen etwas in den Hintergrund getreten zu sein. Mag sein, dass
das Thema US-Wahl schon zu abgedroschen ist, mag sein, dass
anstehende Entscheide in Europa - Referendum über die
Verfassungsreform in Italien, Aufnahme der Brexit-Verhandlungen,
Haltung zum Syrien-Krieg - mental noch in zu großer Entfernung
liegen.
Am Donnerstag standen die Aktienkurse jedenfalls unter Druck, weil
die Außenhandelsdaten Chinas viel schlechter als von Ökonomen
erwartet ausgefallen waren. Sowohl der Export - gerade nach Europa -
als auch die Einfuhren waren im September viel schwächer. Reflexartig
die Reaktion: Es steht um die wenig transparente Volkswirtschaft doch
schlimmer als befürchtet, der Umbau zu einer vom Konsum getriebenen
Wirtschaft scheint zu stocken.
Tags darauf das umgekehrte Bild: Ein Anstieg der Produzentenpreise
von 0,1 Prozent gegenüber der entsprechenden Vorjahresperiode wurde
am Markt begrüßt, da Ökonomen mit einem weiteren Minus gerechnet
hatten. Erstmals seit über vier Jahren würden die Zahlen nun ein
Anzeichen liefern, dass die Deflation in der Industrie ein Ende
gefunden haben könnte. Dies mindert Sorgen, wonach sich die
Kreditqualität im Unternehmenssektor weiter verschlechtern wird, weil
die Unternehmen nicht in der Lage sind, ihre Ertragslage zu
verbessern. Noch vor einigen Jahren übrigens sorgten sich die Märkte
um eine zu starke Inflation in China.
Die Schlüsse, welche die Ratingagentur S&P nun zur
Verschuldungsproblematik zieht, sind beunruhigend. Würde sich das
Wachstum der Unternehmensschulden nicht verlangsamen, dürften sich
die Problemkredite in den Bilanzen chinesischer Banken verdreifachen.
Die Banken müssten dann in einem ungünstigen Szenario bis zu 1,7
Bill. Dollar frisches Kapital aufnehmen, was rund 16 Prozent des
Bruttosozialprodukts entspräche, so S&P. Im Basisszenario gehen die
Bonitätswächter nur von einem Kapitalbedarf von 0,5 Bill. Dollar aus,
eine Summe, die aus eigener Kraft zu stemmen wäre.
In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob sich das
Schuldenproblem kontrollieren lässt oder nicht. Die Kreditqualität
verschlechtert sich aber schon seit Jahren und liegt in einem Sample
von 1943 Unternehmen laut S&P nun deutlich im "aggressiven" Bereich.
Die Frage ist, welche Anstrengungen die chinesische Regierung
unternimmt, um Schieflagen zu vermeiden. Berichte, wonach Chemchina
mit Sinochem fusionieren soll, müssen erst noch eingeordnet werden.
Laut dem chinesischen Wirtschaftsmedium "Caixin" soll Chemchina
aggressiv finanziert und verlustträchtig sein und angeblich
Schwierigkeiten bekundet haben, die Mittel für den Kauf des
Saatgutkonzerns Syngenta aufzubringen.
Auch die Kapitalabflüsse werden wieder ein Thema. Laut dem
Kreditspezialisten Creditsights haben sie sich im September auf den
höchsten Stand seit Januar ausgeweitet, liegen aber noch weit unter
den Summen, die Mitte 2015 abgeflossen sind. Auch sind Spekulationen
über eine Abwertung der chinesischen Währung wieder hochgekommen, was
international die Sorge vor einem Preiskampf - Analysten sprechen von
Deflationsexport - weckt.
Um China kommt heute aber niemand mehr herum, die ausländischen
Investitionen summieren sich inzwischen laut Creditsight auf 3000
Mrd. Dollar, und dies ohne Positionen aus den Devisenreserven. Die
heftigen Reaktionen an den Märkten auf überraschende Nachrichten aus
China sind also nachvollziehbar.
Anekdotische Gespräche mit Fondsmanagern zeigen, dass eher eine
abwartende Haltung gegenüber chinesischen Anlagen eingenommen wird -
dies, obwohl sich das Land um eine Öffnung des Kapitalmarkts bemüht.
Zugleich fehlt das Vertrauen in die Reformbemühungen der Regierung,
weil das Ziel eines Wirtschaftswachstums von 6,5 Prozent bis 2020
sehr hoch gegriffen ist. Hinzu kommen die im Vergleich zum Westen
niedrigeren Corporate-Governance-Standards und die fehlende
Transparenz, die aus womöglich rein ökonomischen Fragen eine
Vertrauensfrage machen. Hier müsste sich das Land bewegen, um seiner
Bedeutung gerecht zu werden.
Für die Investoren wird China auf der Liste möglicher Risiken für
die Kursentwicklung wieder weiter nach oben rücken. Dies gilt auch
für Unternehmen mit hohem China-Anteil etwa in Europa wie in der
Halbleiterindustrie mit Dialog Semiconductor, NXP oder Infineon oder
für Exportunternehmen aus den Branchen Auto, Uhren und Luxus wie
Richemont, Swatch, BMW, Volkswagen oder eine Adidas.
Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de
Original-Content von: B?rsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell