(ots) - Mit Entsetzen verfolgt Reporter ohne Grenzen (ROG)
die geplante Verabschiedung des neuen BND-Gesetzes am (morgigen)
Freitag im Bundestag. Mit der Reform will die große Koalition die
Überwachung ausländischer Journalisten im Ausland durch den
Bundesnachrichtendienst erlauben und damit eine schwere Verletzung
des Grundrechts auf Meinungs- und Pressefreiheit legalisieren.
"Diese Reform ist ein Verfassungsbruch mit Ansage", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Dass die große Koalition ein so
folgenschweres Gesetz ohne jeden Versuch einer Nachbesserung
durchwinkt, zeugt von einer bemerkenswerten Geringschätzung nicht nur
für die Kritik der Zivilgesellschaft, sondern auch für Grundrechte
wie die Pressefreiheit. Künftig wird sich jedes repressive Regime,
das ausländische Journalisten bei Bedarf auf der Grundlage
schwammiger Gesetze überwachen will, auf das Vorbild Deutschlands
berufen können."
Nach ROG-Informationen wollen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD
ihren Gesetzentwurf von Anfang Juli am Freitag ohne nennenswerte
Änderungen verabschieden. Somit wird der BND Journalisten und andere
Berufsgeheimnisträger außerhalb der EU künftig wohl praktisch
schrankenlos überwachen dürfen, wenn dies im politischen Interesse
Deutschlands ist.
Die große Koalition setzt sich damit komplett über die einhellige
Kritik von Medienverbänden und Menschenrechtsorganisationen, drei
Sonderberichterstattern der Vereinten Nationen (http://t1p.de/omg0),
der OSZE-Beauftragten für Medienfreiheit (http://t1p.de/iut5) und dem
Rechtsausschuss des Bundesrats (http://t1p.de/1ian) hinweg - ebenso
wie über rechtliche und technische Einwände (http://t1p.de/ut2d;
http://t1p.de/4xx5).
20.000 UNTERSCHRIFTEN GEGEN DIE REFORM
Reporter ohne Grenzen hat mit einem internationalen Bündnis
zivilgesellschaftlicher Organisationen - darunter Amnesty
International, die großen deutschen Journalistenverbände, der
Deutsche Anwaltverein, PEN International, der Europäische
Journalistenverband und der Weltverband der Zeitungsverleger -
Tausende Unterschriften gegen diese Regelung gesammelt
(www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/petition-bnd-de/).
Gemeinsam mit zwei ähnlich lautenden Petitionen von Amnesty
International (http://t1p.de/tfji) und der Netzaktivistin Katharina
Nocun, der sich zahlreiche Bürgerrechts- und Datenschutzverbände
angeschlossen haben (http://t1p.de/4u2l), sind mehr als 20.000
Unterschriften gegen die Reformpläne zusammengekommen. Sie sollen dem
Bundestag am (heutigen) Donnerstag im Anschluss an eine Mahnwache vor
dem Brandenburger Tor (http://t1p.de/3ffv) übergeben werden. Ein
Ãœbergabetermin mit den Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU/CSU)
und Thomas Oppermann (SPD) kam trotz wochenlanger Bemühungen nicht
zustande.
ABGESTUFTER GRUNDRECHTSSCHUTZ JE NACH NATIONALITÄT
Die Reform sieht abhängig von der Nationalität der Betroffenen
künftig einen abgestuften Grundrechtsschutz vor: Deutsche wird der
BND im Rahmen seiner massenhaften Filterung von Kommunikationsdaten
nicht überwachen dürfen, Europäer nur eingeschränkt, Bürger von
Drittstaaten hingegen immer dann, wenn dies die "Handlungsfähigkeit"
Deutschlands sicherstellen oder "Erkenntnisse von außen- und
sicherheitspolitischer Bedeutung" bringen kann. Journalisten können
damit rasch ins Visier des deutschen Auslandsgeheimdienstes geraten -
insbesondere, wenn sie sich mit Informanten über politisch brisante
Themen austauschen.
Eine Ausnahmeregel für Journalisten, wie sie für gezielte
Überwachungsmaßnahmen etwa im G 10-Gesetz über die Beschränkung des
Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses zu finden ist, fehlt im
Entwurf für das neue BND-Gesetz komplett. Bisher war umstritten, ob
diese Ausnahme auch für ausländische Journalisten und andere
Berufsgeheimnisträger gilt. Nun wird klargestellt, dass der BND
Journalisten aus Nicht-EU-Ländern ungehindert überwachen darf, wenn
dies im Interesse Deutschlands ist. Damit wird - anders als bei
gezielten Überwachungsmaßnahmen etwa im G10-Gesetz - nicht einmal
eine Abwägung für jeden Einzelfall verlangt, ob das
Strafverfolgungsinteresse des Staates die Schwere des Eingriffs in
die Pressefreiheit überwiegt.
MASSIVE KRITIK VON EXPERTEN IM IN- UND AUSLAND
Zu den immer wieder genannten Kritikpunkten an der Reform gehören
zu vage Kriterien für die Auslandsüberwachung, die Diskriminierung
nach Staatsangehörigkeit beim Grundrechtsschutz und das Fehlen einer
wirksamen Aufsicht über den BND.
Zu den fehlenden Schutzrechten für Journalisten haben etwa die
UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Meinungsfreiheit, die
Situation der Menschenrechtsverteidiger und die Unabhängigkeit von
Richtern und Anwälten erklärt: "Der Gesetzentwurf weckt ernsthafte
Bedenken, dass ausländische Journalisten und ihre Informanten Ziel
von unbegründeter und unverhältnismäßiger Überwachung werden. Dies
bedroht wiederum ihr Recht - und das der Allgemeinheit -,
Informationen zu sammeln, zu erhalten und weiterzugeben." Ähnliche
Bedenken äußerten sie bezüglich des Schutzes der Kommunikation
zwischen Anwälten und ihren Klienten.
Die ungewöhnliche Wortmeldung der UN-Experten zu einem deutschen
Gesetzesvorhaben zeigt, wie stark die hiesige Debatte um die
Konsequenzen aus dem NSA-Skandal auch international wahrgenommen
wird. Wenn deutsche Politiker künftig von repressiven Regierungen
strikte Rechtsstaatlichkeit bei der Überwachung einfordern, dürften
sie deshalb nach dieser Reform kaum mehr als ein müdes Lächeln
ernten.
Deutschland steht auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit
von Reporter ohne Grenzen auf Platz 16 von 180 Ländern. Im
vergangenen Jahr hat Reporter ohne Grenzen bereits eine Klage beim
Bundesverwaltungsgericht gegen bestimmte Ãœberwachungspraktiken des
BND eingereicht (http://t1p.de/b6kx).
WEITERFÃœHRENDE INFORMATIONEN:
- Online-Petition und Hintergrundmaterialien zur Reform des
BND-Gesetzes:
www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/petition-bnd-de/
- Mehr zum Stand der Pressefreiheit in Deutschland:
www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland
Pressekontakt:
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