(ots) - Einen Tag vor dem Ende des Ultimatums der
EU-Kommission an Warschau fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die
Staatengemeinschaft auf, der Aushöhlung des demokratischen
Rechtsstaats in Polen klar entgegenzutreten und Sanktionen nicht
auszuschließen. Die konservative PiS-Regierung hatte nach ihrem
Amtsantritt das Verfassungsgericht entmachtet und den öffentlichen
Rundfunk unter ihre Kontrolle gebracht. Fast 200 Journalisten
verloren ihre Stelle. Ein neues Aufsichtsgremium kontrolliert Radio
und Fernsehen, mehrere Gesetze schränken die Pressefreiheit
empfindlich ein.
"Die Maßnahmen der national-konservativen Regierung verstoßen in
eklatanter Weise gegen die Grundsätze demokratischer und
pluralistischer Staaten, denen sich Polen mit dem Beitritt zur EU
verpflichtet hat", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
"Unabhängige und vielfältige Massenmedien sind für eine
funktionierende Demokratie unerlässlich. Sollte die PiS-Regierung
ihren Kurs nicht korrigieren, muss die EU über Sanktionen wie etwa
eine Kürzung der Fördergelder für Polen nachdenken."
NATIONALER MEDIENRAT BESTÄTIGT KONSERVATIVEN FERNSEHCHEF
Der Nationale Medienrat, ein neues Aufsichtsgremium für die
Kontrolle des öffentlichen Rundfunks, bestätigte am 12. Oktober den
umstrittenen Fernsehchef Jacek Kurski im Amt. Der konservative
Politiker wurde landesweit bekannt, als er Lech Kaczynski mit einer
Schmutzkampagne gegen dessen Herausforderer zum Sieg bei der
Präsidentenwahl 2005 verhalf. Er war im Januar Fernsehchef geworden,
nachdem die PiS-Regierung den alten Rundfunkrat KRRiT entmachtet
hatte und das Recht, die Intendanten des öffentlichen Rundfunks zu
ernennen, für eine Übergangsfrist von sechs Monaten dem
Schatzminister übertrug (http://t1p.de/3ycm).
Kurz vor dem Ende der Ãœbergangsfrist verabschiedete das polnische
Parlament am 23. Juni ein Gesetz über die Schaffung eines neuen
Nationalen Medienrates. Er soll Verwaltung und Aufsichtsräte der
öffentlichen Medien kontrollieren - also unter anderem Intendanten
ernennen und entlassen - und die Qualität der öffentlichen Radio- und
Fernsehsender sowie der Nachrichtenagentur PAP sicherstellen. Der Rat
besteht aus fünf Mitgliedern: Drei von ihnen bestimmt die
parlamentarische Mehrheit, zwei der Staatspräsident aus Vorschlägen
der Opposition. (http://t1p.de/2w9k)
REGIERUNGSTREUE MEDIENAUFSICHT
Vorsitzender des neuen Rates ist Krzysztof Czabanski, ein enger
Vertrauter des PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski und Beauftragter
der Regierung für die Medienreform. Er hatte das öffentliche Radio
bereits während der ersten Kaczynski-Regierung 2006 durch
Massenentlassungen auf Linie gebracht. Neben zwei weiteren
PiS-Mitgliedern sitzen im neuen Medienrat je ein Vertreter der
rechtspopulistischen Protestbewegung Kukiz'15 und der liberalen
Bürgerplattform PO. Als eine der ersten Amtshandlungen entließ der
Nationale Medienrat am 3. August zunächst Fernsehchef Jacek Kurski -
um ihn nach einer öffentlichen Ausschreibung am 12. Oktober erneut im
Amt zu bestätigen (http://t1p.de/6yi2).
Mit der Schaffung des Nationalen Medienrats einher ging die
Entmachtung des seit 1992 bestehenden Rundfunkrats KRRiT, dessen
Aufgaben in der polnischen Verfassung festgeschrieben sind und der
deshalb nicht abgeschafft werden kann. Im Sommer wies das polnische
Parlament den Jahresbericht des Rundfunkrats zurück. Er hatte die
einseitige Berichterstattung der Hauptnachrichtensendung Wiadomosci
im öffentlichen Sender TVP1 kritisiert. Das Gremium wurde daraufhin
bis September neu besetzt - genau wie der Nationale Medienrat mit
einer deutlichen national-konservativen Mehrheit
(http://t1p.de/uhlq).
PARLAMENT BESCHRÄNKT ARBEIT VON JOURNALISTEN
Das polnische Parlament hat derweil die Arbeit von Journalisten
stark beschränkt. Reporter dürfen im Sejm nur noch bestimmte Zonen
betreten, sind kaum mehr bei Besprechungen zugelassen und dürfen oft
nicht direkt mit Politikern reden. Sie können deshalb immer weniger
eigene Eindrücke wiedergeben und sind auf Informationen der
Pressestellen angewiesen. (http://t1p.de/bm54)
Reporter ohne Grenzen ist zudem über mehrere Gesetze besorgt, die
die Medienfreiheit gefährden. Ein Anti-Terror-Gesetz vom Juni erlaubt
es dem polnischen Inlandsgeheimdienst ABW, Webseiten bis zu fünf Tage
lang ohne Gerichtsbeschluss zu sperren (http://t1p.de/eye1). Anfang
Oktober diskutierte das Parlament den Entwurf für ein Gesetz, das
Geschichtsverfälschung unter Strafe stellt (http://t1p.de/66on). Wer
der polnischen Nation die Verantwortung oder Mitverantwortung an
Verbrechen zuschreibt, die während des Zweiten Weltkriegs von
Deutschen begangen wurden - wer also zum Beispiel von "polnischen
Konzentrationslagern" spricht - kann demnach mit bis zu drei Jahren
Gefängnis bestraft werden. Genau wie das Anti-Terror-Gesetz ist auch
dieser Entwurf unscharf formuliert und kann leicht missbraucht
werden. So soll auch bestraft werden, wer Polen anderer, zeitlich
nicht definierter Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt
oder die echte Verantwortung für sie verzerrt. (http://t1p.de/e2pf)
ÖFFENTLICHES FERNSEHEN VERLIERT ZUSCHAUER ANS INTERNET
Doch auch unabhängig von der weiteren gesetzlichen Ausgestaltung
des Mediensystems - geplant ist, die Finanzierung des öffentlichen
Rundfunks zu reformieren - hat die PiS-Regierung längst Fakten
geschaffen. Zum Beispiel durch massiven Personalaustausch bei den
öffentlichen Sendern: Der regierungskritischen
Journalistengewerkschaft Towarzystwo Dziennikarskie zufolge wurden
seit dem Machtwechsel fast 200 Journalisten entlassen, zur Kündigung
gezwungen oder versetzt (http://t1p.de/qaff). Öffentliche
Institutionen mussten auf Anordnung der Machthaber die Abonnements
regierungskritischer Zeitungen kündigen. Liberale und oppositionelle
Printmedien haben zahlreiche Werbekunden verloren, weil Unternehmen
mit staatlicher Beteiligung und große private Firmen Anzeigen nun
lieber in der regierungsfreundlichen Presse schalten.
Vor allem der öffentliche Rundfunk hat durch diese Entwicklungen
enorm an Popularität eingebüßt. Die Nachrichtensendung Wiadomosci
bei TVP1 hat seit dem Machtwechsel rund eineinhalb Millionen
Zuschauer verloren (http://t1p.de/bm54). Gleichzeitig expandieren
Internetmedien. Die zwei größten Online-Nachrichtenportale Wirtualna
Polksa und onep.pl bieten inzwischen auch eigene TV-Beiträge. So
läuft die Talkshow des entlassenen Fernsehmoderators Tomasz Lis seit
Februar auf onep.pl und der Webseite von Newsweek Polska und wurde
seither mehr als 30 Millionen Mal angeklickt (http://t1p.de/z4dz).
Regierungskritische Journalisten haben - zum Teil ehrenamtlich - neue
Portale wie mediumpubliczne.pl oder oko.press gegründet, die sich von
den öffentlichen Medien vernachlässigten Themen widmen.
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit ist Polen 2016 um
29 Plätze auf Rang 47 gefallen.
Weitere Informationen zur Situation der Journalisten in Polen
finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/polen.
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