(ots) - Unter den detaillierten Daten von drei Millionen
deutschen Internet-Nutzern, die das NDR Magazin "Panorama" (Sendung:
Donnerstag, 3. November, 21.45 Uhr im Ersten) im Handel beziehen
konnte, finden sich auch Angaben zu zahlreichen Bundes- und
EU-Politikern. Die Datenspur reicht bis ins Bundeskanzleramt. Damit
sind sensible Informationen ausgeforscht worden, etwa zu Reisen und
Treffs, zur Vorbereitung interner Sitzungen, zum Umgang mit
Interessensgruppen oder auch zu privaten Dingen wie
Vermögensverhältnissen und Gesundheit. Das behindert die politische
Arbeit dieser Bundespolitiker und kann sie sogar erpressbar machen.
Was das konkret bedeutet, zeigt der Fall von Valerie Wilms,
Bundestagsabgeordnete der Grünen. Die Browser-Daten zeigen
Reiseverläufe von Wilms, geben Hinweise auf ihre Gesundheit, ihre
Steuerdaten und lassen Einblicke in ihre politische Arbeit zu.
"Natürlich kann es schaden. Man wird damit durchaus erpressbar", sagt
Wilms dem NDR. Sie fühle sich "nackt demjenigen gegenüber, der die
Daten hat", so Wilms weiter.
In den Daten tauchen auch Politiker auf, die in hochsensiblen
Bereichen arbeiten: Helge Braun zum Beispiel. Der CDU-Mann ist
Staatsminister bei der Bundeskanzlerin. Er gilt als Vertrauter von
Angela Merkel. Ãœber den Computer eines seiner Mitarbeiter sind Brauns
Informationen in den Datensatz gelangt. Den Politiker überrascht vor
allem, "dass es oftmals ungeachtet der Unzulässigkeit des
Datenabflusses schwierig ist, als Anwender diesen überhaupt
nachzuvollziehen", so Braun auf NDR-Anfrage.
Ein weiterer betroffener Abgeordneter ist der
Europa-Parlamentarier Martin Häusling. Er ist agrarpolitischer
Sprecher der Grünen - arbeitet also in einem Bereich, in dem es um
hohe Subventionen geht. Mit seinen Daten konfrontiert, reagiert er
geschockt: "Aus sowas kann ja jeder ablesen, an was ich arbeite, wo
ich selber Recherchen mache, mit wem ich mich treffe." Wer Häusling
politisch schaden wolle, könnte mit Hilfe dieser Daten seine
Informanten und Gesprächspartner enttarnen, seine Strategien erahnen
- und damit seine Arbeit sabotieren. "Wir brauchen als Abgeordnete
Vertrauensschutz", so Häusling.
Ähnlich äußert sich Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der
SPD. Er ist in dem ausgewerteten Datensatz ebenfalls
personalisierbar. "Ich habe nicht gewusst, dass solche Sachen
identifizierbar sind. Vielleicht ist man da naiv an der Stelle, aber
man braucht auf jeden Fall Aufklärung darüber, welche Daten
eigentlich erhoben werden und was mit den Daten dann passiert", so
Klingbeil zu "Panorama". Wenn sich herausstelle, dass man den Firmen
nicht einfach vertrauen könne, "dann müssen Gesetze her", so
Klingbeil.
In den Daten tauchen auch Politiker auf, die in hochsensiblen
Bereichen arbeiten: Helge Braun (CDU) zum Beispiel, Staatsminister
bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Oder Frank Junge (SPD), im
Finanzausschuss für den Haushalt der Bundesrepublik verantwortlich.
Weitere betroffene Politiker sind Waltraud Wolff, Fraktionsvorstand
der SPD, und Annalena Baerbock (Grüne), Mitglied im
Wirtschaftsausschuss.
Um an die Informationen zu gelangen, hatten die NDR Reporter eine
Schein-Firma gegründet, die vorgeblich im "Big Data"-Geschäft aktiv
ist. Gleich mehrere Unternehmen zeigten sich bereit, die Web-Daten
deutscher Internet-Nutzer zu verkaufen. Ein Unternehmen bot die nun
ausgewerteten Daten schließlich sogar als kostenlosen Probe-Datensatz
an. Allem Anschein nach wurden sie über Browser-Erweiterungen,
sogenannte Add-ons, erhoben. Diese kleinen Zusatz-Programme dienen
sich eigentlich als praktische Helfer für andere Zwecke an, doch
einmal installiert, protokollieren und übermitteln sie im Hintergrund
auch alle besuchten Seiten eines Nutzers an einen Server, wo die
Daten zu Nutzerprofilen gebündelt werden.
Durch Stichproben konnte "Panorama" eine dieser Erweiterungen
ausmachen. Es handelt sich um das Programm "Web of Trust", kurz WOT.
Die Erweiterung gibt eigentlich vor, die Integrität von Webseiten zu
prüfen - eine nützliche Funktion, die dem Nutzer ein sicheres Surfen
garantieren soll. Gleichzeitig jedoch übermittelt die Software
offenbar im Hintergrund die Adresse jeder besuchten Seite an einen
Server, wo die Daten ohne Wissen des Nutzers gespeichert und
weiterverarbeitet werden. WOT ist mutmaßlich nur eine von zahlreichen
Erweiterungen, die so agieren und für einen steten Datenstrom bei den
Zwischenhändlern sorgen. Das Unternehmen, das WOT vertreibt, äußerte
sich auf Anfrage nicht.
Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar kritisiert
das Geschäftsmodell von WOT: "Zur Weitergabe von personenbezogenen
Daten brauchen Unternehmen grundsätzlich eine Einwilligung der
Betroffenen" - die liegt aber nicht vor. "Die Bezeichnung
'anonymisiert' ist hier nicht richtig", erklärte Caspar weiter, eine
massive Auswertung der Daten sei daher nach deutschem Recht "nicht
zulässig".
In einer monatelangen Recherche (s. NDR Pressemeldung "Ausgespäht:
Intime Daten von Millionen Deutschen im Handel" vom 1. November)
konnten Reporter der NDR Fernsehmagazine "Panorama" und "Zapp" Zugang
zu einem umfangreichen Datensatz erlangen und ihn auswerten. Er
stammt von einer einzigen Firma und umfasst schätzungsweise ein
Prozent aller aus Deutschland im Monat August besuchten Webseiten.
Mit den Daten lässt sich das Leben von Millionen Deutschen
nachzeichnen, darunter Manager, Polizisten, Richter und Journalisten.
Ihre Web-Verläufe geben intime Geheimnisse aus dem Berufs- und
Privatleben preis: Informationen zu laufenden Polizei-Ermittlungen,
die Sado-Maso-Vorlieben eines Richters, interne Umsatz-Zahlen eines
Medien-Unternehmens und Web-Recherchen zu Krankheiten, Prostituierten
und Drogen. Die Daten lassen auch Rückschlüsse darauf zu, wann sich
einzelne Nutzer wo aufgehalten haben und erlauben so,
Bewegungsprofile zu erstellen. Insgesamt umfasst der ausgewertete
Datensatz mehr als zehn Milliarden Web-Adressen, aufgerufen von rund
drei Millionen Usern aus Deutschland.
Die Pressemeldung "Ausgespäht: Intime Daten von Millionen
Deutschen im Handel" finden Sie unter http://ots.de/YhBXW
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