(ots) -
Auf ein wissenschaftlich weitgehend unerforschtes Feld, das
mittelfristig verheerende Bedeutung und möglicherweise auch
gravierende Folgen haben könnte, macht eine Literaturstudie
aufmerksam, die für DIVSI an der Universität Hamburg realisiert
wurde. Es geht um die Radikalisierung Jugendlicher über das Internet,
die sich besonders ausgeprägt im Bereich des Rechtsextremismus und
des extremistischen Islamismus zeigt.
Der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes für
Verfassungsschutz spricht von einem exorbitanten Anstieg
rechtsextremistischer Gewalt und von einer zunehmenden
Anschlussfähigkeit des Rechtsextremismus. Die Anschläge in Paris und
Brüssel haben gezeigt, dass auch islamistischer Terror in Europa
angekommen ist. Angesichts der Anschläge bleibt im Nachgang oft
völlig offen, wann und wie sich die Täter radikalisierten. Viele der
Täter sind noch sehr jung. Die Frage, wann radikale Meinungen in
Taten umschlagen und welche Anreize es dafür braucht bleibt
ungeklärt.
Offensichtlich spielt das Internet jedoch eine große Rolle bei
diesen Entwicklungen. Auffällig: Die Gruppierungen, die unsere
demokratische Grundordnung angreifen, sind digital sehr aktiv. Sie
nutzen den digitalen Raum gezielt als Vehikel ihrer extremistischen
Botschaften. Dafür greifen sie auf die vorhandene Infrastruktur des
Internets zurück. Soziale Medien wie Facebook, Youtube und Twitter
spielen eine Rolle, ebenfalls werden die Botschaften in
Online-Zeitschriften und Webseiten eingebracht, oder Propaganda über
Foren, Online-Spiele und aufwendig produzierte Videos verbreitet.
Die durch diese vielfältigen Möglichkeiten erreichbare Klientel
lässt sich kaum realistisch abschätzen. Präzise Untersuchungen dazu
fehlen bislang. Fest steht allerdings: Gerade für junge Menschen ist
"online-sein" der Normalzustand ihres täglichen Lebens. Auch war es
nie einfacher, sich zu informieren und mit anderen in Austausch zu
treten als in Zeiten der Digitalisierung. Gleichzeitig war die
Vielfalt der zugänglichen Quellen nie größer, ebenso allerdings auch
die Überprüfung der Glaubwürdigkeit nie schwieriger.
Am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität
Hamburg unter Leitung von Professor Gertraud Koch haben sich Forscher
mit allen hierzu relevanten Fragen sehr sorgfältig
auseinandergesetzt. Als Ergebnis liegt jetzt mit der DIVSI-Studie
"Radikalisierung Jugendlicher über das Internet" ein umfassender
Überblick über den Forschungsstand vor. Die Studie verdeutlicht den
dringenden Forschungsbedarf auf diesem Feld. Prof. Koch: "Um mehr
über die Hintergründe dieser Entwicklung zu erfahren, ist ein
interdisziplinäres und multimethodisches Vorgehen notwendig. Das
bestehende Wissen muss als ausgesprochen bruchstückhaft bezeichnet
werden, da bisher nur einzelne Facetten im komplexen Zusammenwirken
vieler Faktoren im Radikalisierungsprozess untersucht worden sind."
Einigkeit besteht bereits jetzt darüber, so ein Ergebnis der
Analyse der im europäischen Raum vorliegenden Forschung, dass
Jugendliche gegenüber Radikalisierung grundsätzlich anfällig sind. In
den analysierten Forschungsarbeiten wird dem Internet als
Resonanzraum einerseits eine "ermöglichende", andererseits auch eine
"beschleunigende" Wirkung zugesprochen, in dem radikale Ideologien
gefunden, diskutiert, vertieft und gefestigt und dadurch
Radikalisierungsprozesse verstärkt und begünstigt werden. Allerdings
bedarf dies einer vertieften wissenschaftlichen Untersuchung.
Empirische Studien bezogen auf den deutschsprachigen Raum
existieren nur sehr vereinzelt. Auch zu welchem Grad sich
professionell produzierte Bildsprache aus Videobotschaften des IS auf
die Meinungsbildung bzw. Radikalisierung Jugendlicher auswirkt, muss
weiter untersucht werden.
Zu klären bleibt auch, welche Bedeutung die Verschränkung der
analogen mit der digitalen Welt hat: Ist eine reine
Online-Radikalisierung möglich oder sind zudem persönliche soziale
Kontakte erforderlich? Viel spricht für die Wirkung des Internets als
Resonanzraum terroristischer und extremistischer Aktivitäten. Genauer
zu beleuchten im Zusammenhang mit Online-Radikalisierungsprozessen
ist auch die Frage zum Einfluss des Bildungsniveaus: Einerseits
besagen Forschungsmeinungen, dass geringe Bildung die Radikalisierung
Jugendlicher begünstigen kann. Andererseits wird auf den
vergleichsweise hohen Bildungsgrad islamistischer Extremisten und auf
ausgewähltes akademisches Vokabular auf manchen rechtsextremistischen
Seiten verwiesen.
Ein weiteres wichtiges und bislang wenig erforschtes Feld ist die
Rolle junger Frauen in Verbindung mit Radikalisierung und Internet.
Während sich die Literatur bislang überwiegend mit jungen Männern
befasst, bleibt die wichtige Rolle junger Frauen innerhalb
terroristischer Netzwerke überwiegend unbeleuchtet.
Die vollständige Studie und weitere Informationen finden Sie
unter: https://www.divsi.de/publikationen/studien/radikalisierung-jug
endlicher-ueber-das-internet-ein-literaturueberblick/
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