(ots) - Oh my God, Trump ist Präsident. Die Welt hält den
Atem an. Prof. Boris Vormann vom J.-F.-K.-Institut für
Nordamerika-Studien der FU Berlin macht sich Sorgen, was passiert,
wenn Trump seine teils abstrusen Wahlkampfversprechen nicht einhalten
kann: "Vielleicht müssen dann Sündenböcke herhalten." Zugleich ist er
vorsichtig zuversichtlich, dass die US-Demokratie den Trumpismus
überstehen wird.
Barack Obama hat mit dem Versprechen des Wandels gewonnen. Was war
die siegbringende Botschaft Donald Trumps?
Prof. Boris Vormann: Auch Trump hat einen Wandel versprochen,
allerdings einen gegensätzlich gelagerten. Barack Obama hatte das
Bild einer multikulturellen, hoffnungsvollen Gesellschaft gezeichnet,
die sich eint mit dem Blick auf die gemeinsame nationale Identität.
Auch mit dem Blick auf die damals akute Finanzkrise hob er den Kampf
gegen die Ungleichheit auf den Schild. Trump zeichnet dementgegen das
Bild einer geeinten weißen Mittelschicht - angereichert mit
chauvinistischen Ausfällen gegenüber den Minderheiten.
Die neue Medienkultur hat das Phänomen Trump erst ermöglicht. Sein
Twitter-Gewitter wog mehr als die Niederlagen in den TV-Duellen. Sind
die USA eine Stimmungsdemokratie?
Prof. Vormann: Das ist eine zugespitzte These, die ich aber nicht
zurückweisen möchte. Dazu wurde im Wahlkampf zu sehr mit
postfaktischer Politik, die sich nicht um die Realität scherte,
Stimmung gemacht. Diffuse Ängste der Globalisierungsabsteiger wurden
zwar von Trump ausgeschlachtet, ohne aber, dass diese komplexen
Geflechte erklärt oder gar Konzepte aufgezeigt wurden, wie den
Abgehängten geholfen werden könnte. Auf Twitter und in
Facebook-Communitys werden nur Schlagworte unter Gleichgesinnten
verbreitet.
Der Wahlkampf spiegelte die Spaltung der USA wider. Hat die
wachsende Ungleichheit den amerikanischen Traum und damit das
Vertrauen in die Demokratie zerstört?
Prof. Vormann: Absolut richtig. Soziale Mobilität, also die
individuelle Chance aufzusteigen, ist ganz entscheidend für den
sozialen Zusammenhalt in einem Land. Menschen akzeptieren soziale
Ungleichheit durchaus, sofern sie selbst noch die Möglichkeit haben,
ihr Los zu verbessern. Wenn das nicht mehr gewährleistet ist, nagt
die Ungleichheit am sozialen Kitt. Darum fand Trumps Formel so großen
Widerhall, er wolle Amerika wieder großartig machen: Die sozialen
Absteiger lasen darin das Versprechen einer persönlichen
Aufstiegsmöglichkeit für sie. Allerdings wirken die wenigen konkreten
wirtschaftspolitschen Vorschläge, die Trump gemacht hat, nicht so,
als ob sie dieses Versprechen einlösen könnten.
Hat der Hass auf Hillary Clinton Trumps Triumph ermöglicht?
Prof. Vormann: Das hat in diesem Gefühls-Wahlkampf sicher eine
Rolle gespielt. Wichtiger aber war noch Clintons Verankerung in der
politischen Elite. Das war eine Wahl gegen das Establishment und eine
gegen die Wirtschaftspolitik der vergangenen 30 Jahre, die da
behauptet hat, eine Einfügung in die Globalisierung sei
alternativlos. Deshalb blieb bei den Demokraten Bernie Sanders mit
seinen globalisierungskritischen Tönen so lange ein hartnäckiger
Gegenspieler Clintons.
Inwieweit findet Trumps Anhängerschaft in den Protestbewegungen
der übrigen westlichen Welt eine Entsprechung, die dem Nationalen
wieder Vorrang vor der beängstigend komplexen Welt geben wollen?
Prof. Vormann: Da gibt es tatsächlich strukturelle Parallelen, und
das nicht nur zwischen dem Brexit und dem Trumpismus, sondern auch zu
Pegida, zum Front national und ähnlichen neonationalistischen
Strömungen. Der ideelle Schulterschluss mit dem autoritären
Führungsstil, der in Osteuropa gepflegt wird, ist ein
besorgniserregendes Phänomen.
Berlusconi, Orban, Brexit, Trump - alles Belege, wie sehr sich in
den westlichen Demokratien die Eliten vom Volk entfernt haben?
Prof. Vormann: Es zeigt, wie sehr die Idee einer alternativlosen
Politik die Bürger befremdet. Das war ja keineswegs eine Formel, die
Angela Merkel erfunden hat. Vielmehr sagte schon Margaret Thatcher zu
einer auf den Markt und Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten Politik:
"There is no alternative." Und auch von Bill Clinton war zu hören
gewesen, dass man sich den Zwängen der Globalisierung unterwerfen
müsste. Diese passive Haltung ermöglichte den Regierenden zwar, auf
andere Kräfte zu verweisen und sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Zugleich wurde aber die Politik ausgehöhlt. Denn wenn diese ohnehin
nichts ausrichten könne, lässt sie sich auch bei Wahlen abstrafen.
Die Attitüde des Underdogs, der gegen das Establishment zu Felde
zieht, kann Trump als Präsident nicht durchhalten. Was, wenn die
Mauer nach Mexiko nicht kommt, Hillary nicht eingesperrt wird und im
Rostgürtel keine Jobs entstehen. Wird er dann Sündenböcke für die Wut
der Massen anbieten?
Prof. Vormann: Das steht zu befürchten. Zunächst mal kann Trump
sehr stark durchregieren. Der Kongress steht auf seiner Seite. Ich
erwarte, dass sich die Republikaner mehrheitlich hinter ihm scharen
werden. Er kann den freien Sitz im Obersten Gerichtshof besetzen. Da
dieses Richteramt auf Lebenszeit vergeben wird, kann er nachhaltig
die Politik prägen. Auch wenn die Politik, die er skizziert, in sich
so widersprüchlich ist, dass bisher nicht ersichtlich ist, wie das
etwa über zwei Wahlperioden funktionieren könnte. Eine Zeitlang wird
Trump trotz der immensen Erwartungshaltung angesichts seiner
Versprechen vom Vertrauensvorschuss der Wähler zehren können. Bleiben
Erfolge aus, wird die Stimmung gegen Trump kippen. Offen ist, ob das
schon zur nächsten Kongresswahl passiert oder erst bei der nächsten
Präsidentschaftswahl. Sündenböcke zu benennen, könnte allerdings eine
Option sein, aufkommende Missstimmung zu kanalisieren.
Im Kongress verfügt Trump über eine republikanische Mehrheit.
Werden Obamacare, Klimaschutzpolitik und das Iran-Abkommen
pulverisiert?
Prof. Vormann: Das steht zu befürchten. Trotz diverser
institutioneller Bremsen versetzt seine starke Position Trump in die
Lage, vieles von dem rückgängig zu machen, was Obama errungen hat.
Aggressiv waren US-Wahlkämpfe schon immer, aber wohl noch nie
derart niveaulos. Ergebnis eines Jahre währenden Kulturkampfes zweier
unversöhnlicher Lager, in dem kein Raum mehr war für Zwischentöne?
Prof. Vormann: In der Tat, spätestens seit Mitte der 80er-Jahre
steigt in den USA der Pulverdampf der "culture wars" über Abtreibung,
Waffen, Homosexuellen-Ehe auf. Aber tatsächlich sind die Trendlinien
sehr viel langfristiger. So war bereits der Amerikanische Bürgerkrieg
von 1861 bis 1865 auch ein Ringen zweier Visionen: Eine
ethnisch-rassistische Vision stand einer zivilen gegenüber, die sich
an den Bürgerrechten orientiert hat. Eine so lange währende
Konfrontation unterminiert die Kompromisswilligkeit. Das wird noch
verstärkt durch das Zwei-Parteien-System in den USA, in dem neue
Ideen nicht von einer dritten Partei aufgenommen werden können.
Mavericks, also tabubrechende Außenseiter, gehören zu
US-Wahlkämpfen, aber bisher nur als Verlierer. Warum konnte er die
wütenden Nichtwähler besser mobilisieren als Barry Goldwater oder
Ross Perot?
Prof. Vormann: Trumps Sieg zeigt, dass der demografische Wandel
nicht so schnell vorangeschritten ist, wie noch 2012 angenommen
wurde. Damals wollten die Republikaner umdenken, weil die Weißen in
den USA bald in der Minderheit, Schwarze und Latinos aber in der
Mehrheit sein würden. Doch nach wie vor sind 69 Prozent der
registrierten Wahlbürger Weiße und die Minderheiten nur ein kleiner
Teil der Wahlbevölkerung. Zudem konnte Clinton in diesen Gruppen
nicht punkten. Trump konnte seine demografisch eigentlich eng
umgrenzte Kernwählerschaft durch seinen wütenden Wahlkampf
mobilisieren, das gelang Clinton bei Frauen, Schwarzen und Hispanics
nicht.
Die Globalisierung verschärfte den Gegensatz zwischen
prosperierenden Städten und dem abgehängten Land. Wird Trumps Antwort
Isolationismus sein?
Prof. Vormann: Durchaus wahrscheinlich, weil sich die USA ohnehin
in längeren Zyklen der Welt zu-, aber auch wieder von ihr abwenden.
Tatsächlich gibt es eine tiefe Kluft zwischen Stadt und Land sowie
zwischen Intellektuellen und normal Gebildeten. Und wenn so viele in
sich abgetrennte Zirkel existieren, und soziale Aufwärtsmobilität die
Ausnahme ist, haben Sie Parallelgesellschaften, die es schwer machen,
ein Gemeinwohl zu definieren und öffentliches Gut bereitzustellen.
Trump gewann, obwohl er die eigene Parteielite gegen sich hatte.
Wird sein Sieg die Grand Old Party radikalisieren?
Prof. Vormann: Einige Führungskader, die sich klar gegen Trump
positioniert hatten, dürften keine Zukunft mehr in der Partei haben.
Die Mehrheit wird ihr Fähnchen im Wind ausrichten und ins Lager des
Siegers wechseln. Trump hat das demografische Rückzugsfecht der
grummeligen weißen Männer gewonnen. Das wird die Öffnung der
Republikaner für Minderheiten künftig weitgehend verhindern. Aber
auch die Demokraten müssen aus dieser Wahl Lehren ziehen. Trump
gewann nicht nur die Südstaaten, sondern auch alten Industrieregionen
um die großen Seen. Clinton hat also auch die Industriearbeiter
verloren.
Hätte Bernie Sanders im Rostgürtel gewonnen?
Prof. Vormann: Vermutlich. Die Umfragen zeigten damals, dass er
bessere Chancen gegen Trump gehabt hätte. Er hat auch in den
Vorwahlen in Michigan gegen Clinton gewonnen, einer der
Schlüsselstaaten der in der Wahlnacht an Trump fiel.
Ist die US-Demokratie stark genug, um den Trumpismus zu überleben?
Prof. Vormann: Ich hoffe es und gehe davon aus. Die USA sind eine
stabile Demokratie. Die Gewaltenteilung hegt den Präsidenten mit den
Beharrungskräften des Systems quasi ein. Wobei dies Trump nicht sehr
bremsen wird, weil er Kongress und Supreme Court auf seiner Seite
hat. Es werden spannende zwei Jahre bis zu den nächsten
Kongresswahlen, in denen sich zeigen wird, ob Patzer für Trump weiter
folgenlos bleiben werden.
Das Interview führte
Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
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