PresseKat - Reporter ohne Grenzen: Obama sollte Whistleblowerin Manning Reststrafe erlassen

Reporter ohne Grenzen: Obama sollte Whistleblowerin Manning Reststrafe erlassen

ID: 1425141

(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert US-Präsident
Barack Obama auf, der inhaftierten Whistleblowerin Chelsea Manning
vor seinem Ausscheiden aus dem Amt den Rest ihrer Freiheitsstrafe zu
erlassen. Manning sitzt wegen ihrer Enthüllungen etwa über Exzesse
des US-Militärs in Afghanistan und im Irak seit mehr als sechs Jahren
im Gefängnis und verbüßt eine insgesamt 35-jährige Haftstrafe. ROG
appelliert an Obama außerdem, den in einem Indizienprozess zu
dreieinhalb Jahren Haft verurteilten ehemaligen CIA-Mitarbeiter und
Whistleblower Jeffrey Sterling zu begnadigen.

"Chelsea Manning sitzt schon jetzt länger im Gefängnis als jeder
andere verurteilte Whistleblower in der US-Geschichte und hat während
ihrer Haft grausam gelitten. Ihre unverhältnismäßige Strafe weiterhin
zu vollstrecken, wäre eine unnötige Verlängerung ihrer Qualen", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Schon jetzt zeichnen sich
schwere Zeiten für die Pressefreiheit in den USA unter dem künftigen
Präsidenten Donald Trump ab. Gnade für Chelsea Manning und Jeffrey
Sterling wäre eine späte Gelegenheit für Obama, sich nach seinem
erbitterten Feldzug gegen Whistleblower mit einem positiven Signal
aus dem Amt zu verabschieden."

MANNING HAT IN HAFT ZWEI MAL VERSUCHT, SICH ZU TÖTEN

Mannings Anwalt hat die formelle Bitte seiner Mandantin um einen
Erlass der verbleibenden Haftstrafe in einem Schreiben vom 10.
November eingereicht (http://t1p.de/9wo6). Ein US-Militärgericht
hatte Manning 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt (http://t1p.de/cnez);
der Prozess über ihre Berufung steht noch aus. Während ihres
Militärdienstes in einer Aufklärungseinheit der US-Armee in Kuwait
hatte sie unter anderem Hunderttausende geheime Militärdokumente über
die Kriege im Irak und in Afghanistan kopiert und der
Enthüllungsplattform WikiLeaks zugespielt.





Die Enthüllungen stießen eine breite internationale Debatte über
die Irak- und Afghanistanpolitik der USA sowie über Exzesse von
Militär und Justiz an. Unter den durch Manning publik gewordenen
Dokumenten war etwa das Video eines Hubschrauberangriffs von
US-Soldaten auf eine Gruppe von Zivilisten in der irakischen
Hauptstadt Bagdad, bei dem unter anderem zwei Reuters-Journalisten
getötet wurden.

Vor ihrem Prozess verbrachte Manning, die zunächst unter dem
Männernamen Bradley bekannt wurde, fast ein Jahr in Einzelhaft. Nach
einem Selbstmordversuch im vergangenen Juli kam sie erneut in
Einzelhaft und versuchte dort am 4. Oktober ein zweites Mal, sich das
Leben zu nehmen (http://t1p.de/1dcm). In einem Begleitschreiben zu
der Bitte um Straferlass schildert Manning ausführlich, wie sie nicht
zuletzt während ihres Militärdienstes und in der Haft massiv unter
der zunehmenden Gewissheit litt, im falschen Körper geboren zu sein
und eigentlich als Frau leben zu wollen. Der Militärjustiz trotzte
sie erst nach langem Rechtsstreit graduelle Zugeständnisse an ihren
Wunsch nach einer Geschlechtsumwandlung ab.

Manning und ihr Anwalt betonen, dass sie sich im Prozess zu ihrer
Schuld bekannte und auf Absprachen mit der Staatsanwaltschaft
verzichtete. Ihre Hoffnung, dass die Militärjustiz ihre Sorge über
Rechtsverstöße der USA und die Tötung unschuldiger Zivilisten als
Motiv für die Enthüllungen anerkenne, sei jedoch enttäuscht worden.
Manning bitte ausdrücklich nicht um eine Begnadigung und sei bereit,
Folgen ihrer Verurteilung wie die unehrenhafte Entlassung aus der
Armee und den Verlust ihrer Ansprüche als Veteranin hinzunehmen.

JEFFREY STERLING: VERURTEILT WEGEN KONTAKTEN ZU EINEM JOURNALIST

Jeffrey Sterling, ein ehemaliger CIA-Experte für das Atomprogramm
des Iran, wurde 2015 in sieben Anklagepunkten der Spionage für
schuldig befunden und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt
(http://t1p.de/qzvn). Das Geschworenengericht verurteilte ihn
aufgrund zahlreicher E-Mails und Telefonate mit dem
New-York-Times-Journalist James Risen, der 2006 in einem Buch unter
anderem eine gescheiterte Geheimdienstaktion gegen Irans Atomprogramm
geschildert hatte.

Im Prozess wurde jedoch kein Beweis erbracht, dass Sterling Risens
Informant war. Der Inhalt der fraglichen E-Mails und Telefonate blieb
größtenteils unbekannt, und Sterling beharrt bis heute auf seiner
Unschuld. Das US-Justizministerium hatte Risen mehrfach, aber
erfolglos mit Beugehaft gedroht, falls er seine Quelle nicht
preisgebe. Somit wurde Sterling letztlich wegen des Umstands
verurteilt, dass er regelmäßig in Kontakt mit einem Journalisten
stand. Im vergangenen Februar übergab ROG dem Weißen Haus mehr als
150.000 Unterschriften für seine Begnadigung (http://t1p.de/xjre).

FELDZUG GEGEN WHISTLEBLOWER AUFGRUND SPIONAGEGESETZ VON 1917

Die juristische Verfolgung von Investigativjournalisten und
Whistleblowern in den USA hat unter Obama besorgniserregende Ausmaße
angenommen. In seiner Amtszeit wurden mindestens acht Whistleblower
mit Hilfe eines Spionagegesetzes von 1917 angeklagt, das unter allen
Regierungen zuvor in nur drei vergleichbaren Fällen zur Anwendung
gekommen war (http://ogy.de/gth2, PDF). Auch dem NSA-Whistleblower
Edward Snowden würde im Fall seiner Heimkehr aus dem Exil in Russland
eine Anklage nach dem Spionagegesetz drohen.

Besonders deutlich wird die Härte der Urteile gegen Manning und
Sterling im Vergleich mit früheren Whistleblowern. Daniel Ellsberg,
der 1971 die sogenannten Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg an
mehrere US-Medien weitergab, entging einer Verurteilung, weil sein
Strafprozess aufgrund von Manipulationsversuchen der Regierung Nixon
platzte (http://t1p.de/az1n). 2011 kam Thomas Drake, der
Missmanagement und Verschwendung beim Geheimdienst NSA publik gemacht
hatte, vor allem dank Verfahrensfehlern mit einer einjährigen
Bewährungsstrafe für Zweckentfremdung eines Computersystems
glimpflich davon (http://t1p.de/mk9a).

Der ehemalige CIA-Mitarbeiter John Kiriakou, der Reportern die
Folterpraxis des simulierten Ertränkens (Waterboarding) bestätigt
hatte, wurde 2013 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt
(http://t1p.de/yqbh). Reporter ohne Grenzen hat wegen solcher Fälle
schon 2013 eigene Vorschläge für ein US-Bundesgesetz zum
Informantenschutz vorgelegt (http://t1p.de/u11h).

In der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit haben sich die USA
seit 2009 um 21 Plätze auf Rang 41 verschlechtert. Neben Obamas
Feldzug gegen Whistleblower haben dazu die flächendeckende
Ãœberwachung durch US-Geheimdienste, eine zunehmend restriktive
Handhabung von Anfragen nach dem US-Informationsfreiheitsgesetz
(http://t1p.de/5kh3) sowie wiederholte Festnahmen von Reportern bei
Demonstrationen beigetragen (http://t1p.de/bvo2; http://t1p.de/770c).

TRUMP KEILT AUCH NACH DER WAHL GEGEN MEDIEN

Die bisherigen Äußerungen und Handlungen von Trump und seinem Team
lassen befürchten, dass sich dieser Negativtrend nach dem Wechsel im
Weißen Haus verstärken könnte. Im Wahlkampf kündigte Trump an,
Verleumdungsklagen gegen Medien wegen "absichtlich negativer"
Berichte zu erleichtern (http://t1p.de/ybgp). Der Washington Post und
mehreren weiteren Medien entzog er wegen kritischer Berichte die
Presseakkreditierungen für seinen Wahlkampftross.

Monatelang befehdete Trump öffentlich die Fox-News-Moderatorin
Megyn Kelly, die ihm bei einer Fernsehdebatte mit scharfen Fragen
zugesetzt hatte. Kelly erhielt daraufhin zeitweise Morddrohungen und
musste Personenschützer anheuern (http://t1p.de/6vf8). Per Twitter
beschimpfte Trump im Wahlkampf laut einer Liste der New York Times
rund 70 Journalisten und mehr als 20 Medien, viele von ihnen mehr-
und vielfach (http://t1p.de/pe3u).

Am Tag nach seiner Wahl verweigerte Trump den
Hauptstadtkorrespondenten in Washington die seit Jahrzehnten übliche
Mitreise zum ersten Besuch bei seinem Amtsvorgänger im Weißen Haus
(http://t1p.de/dil8). Einen Tag später bezichtigte er per Twitter die
Medien, sie hätten "professionelle Demonstranten" zu Protesten gegen
ihn angestachelt (http://t1p.de/ygiw).

In seinem ersten ausführlichen Fernsehinterview nach der Wahl
kündigte Trump vergangenen Samstag an, sein Twitter-Konto weiterhin
zu betreiben - damit er sich wehren könne, falls Medien schlecht über
ihn berichteten (http://t1p.de/3rul). Tags darauf teilte er in drei
Tweets gegen die New York Times aus und behauptete fälschlich, die
Zeitung habe "wegen ihrer sehr schlechten und äußerst inkorrekten
Berichterstattung" über ihn Tausende Abonnenten verloren
(http://t1p.de/vc50).

Weitere Informationen zur Situation der Journalisten in den
Vereinigten Staaten finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/usa.



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

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Datum: 16.11.2016 - 10:27 Uhr
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