(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die
myanmarischen Behörden auf, die Journalisten Than Htut Aung und Wai
Phyo freizulassen. Der Geschäftsführer und der Chefredakteur der
Eleven Media Group sitzen seit über zwei Wochen in Untersuchungshaft.
Die Justiz wirft ihnen auf der Grundlage eines umstrittenen
Telekommunikationsgesetzes Beleidigung vor, nachdem sie in einem
Kommentar Korruptionsvorwürfe gegen einen Politiker der regierenden
Nationalen Liga für Demokratie (NLD) erwähnt hatten
(http://t1p.de/6nst). Am Mittwoch entscheidet das Gericht über eine
Freilassung gegen Kaution (http://t1p.de/srnu).
"Es kann nicht sein, dass Journalisten wegen eines kritischen
Kommentars wochenlang in Untersuchungshaft sitzen. Das stärkt die
ohnehin schon weitverbreitete Selbstzensur", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Die myanmarische Justiz muss die
Anklage gegen die beiden Journalisten fallen lassen und das
Telekommunikationsgesetz reformieren."
Anfang November erwähnte die Zeitung Eleven Daily in einem
Kommentar (http://t1p.de/nhrj) einen Politiker, der eine Luxus-Uhr im
Wert von 100.000 Dollar von einem Geschäftsmann erhalten habe. Dieser
sei kürzlich aus dem Gefängnis entlassen worden und habe einen
Bauauftrag für die Region Yangon erhalten. Einen Tag später
veröffentlichte Than Htut Aung, Autor des Kommentars, weitere Details
auf seiner Facebook-Seite. Obwohl der Kommentar den Politiker nicht
namentlich nannte, war deutlich, dass es sich um Phyo Min Thein
handelt, den Ministerpräsidenten der Region Yangon
(http://t1p.de/vynn).
Phyo Min Thein ist ehemaliger politischer Gefangener und Mitglied
der NLD von Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die bei den
Parlamentswahlen im vergangenen Jahr fast 80 Prozent der zur Wahl
stehenden Sitze gewann (http://t1p.de/hbqu). Phyo Min Thein kündigte
auf einer Pressekonferenz am 9. November 2016 an, auf der Grundlage
des Telekommunikationsgesetzes Klage gegen die beiden Journalisten
einzureichen. Zwei Tage später wurden sie verhaftet. Am vergangenen
Freitag begann der Prozess in der Hauptstadt Rangun.
Artikel 66(d) des Telekommunikationsgesetzes verbietet die Nutzung
von Telekommunikationsnetzen zur Beleidigung anderer. Wer gegen das
Gesetz verstößt, riskiert eine Haftstrafe von drei Jahren
(http://t1p.de/vynn). Mit Phyo Min Thein klagt zum ersten Mal ein
ranghoher NLD-Politiker auf Grundlage des Gesetzes.
LAGE DER MEDIENFREIHEIT BLEIBT BESORGNISERREGEND
Myanmar hatte zwischen 2011 und 2014 erhebliche Fortschritte bei
der Pressefreiheit gemacht. Mit dem 2011 begonnenen Reformprozess
haben die während der Militärdiktatur streng zensierten Medien mehr
Freiheiten erhalten. Anfang 2012 hatte die Regierung neben mehreren
hundert weiteren politischen Häftlingen auch 17 Journalisten
freigelassen (http://t1p.de/dkas). Die Regierung schuf die Vorzensur
für Zeitungen ab. Unabhängige Medien, die jahrzehntelang nur aus dem
Exil berichten konnten, kehrten ins Land zurück. Mitarbeiter von
Reporter ohne Grenzen durften 2012 zum ersten Mal seit 25 Jahren
wieder nach Myanmar reisen, nachdem die Organisation von einer Liste
mit mehr als 2000 Gruppen und Personen gestrichen wurde, denen die
Einreise verboten war.
Im Juli 2014 verurteilte ein Gericht vier Reporter und den
Geschäftsführer der Wochenzeitung Unity wegen des Verrats von
Staatsgeheimnissen zu je zehn Jahren Gefängnis sowie harter Arbeit
(http://t1p.de/o2v0). Sie hatten über die Errichtung einer geheimen
Chemiewaffenfabrik berichtet. Die Journalisten kamen im April dieses
Jahres frei, nachdem der Präsident zahlreiche politische Gefangene
begnadigt hatte (http://t1p.de/f754). Im März explodierte eine Bombe
beim Haus des Chefredakteurs der Root Investigative Agency im
Rakhaing-Staat (http://t1p.de/bi15).
Im August 2015 trat ein neues Rundfunkgesetz in Kraft, das die
Errichtung unabhängiger Radio- und Fernsehsender erlaubt
(http://t1p.de/nb00). Jedoch kann der Präsident die Mitglieder des
Rundfunkrates ernennen oder entlassen (http://t1p.de/7n46). Zudem
fungiert er als Berufungsinstanz etwa bei der Vergabe oder Erneuerung
von Lizenzen (http://t1p.de/jlhk).
Auch nach dem Regierungswechsel im vergangenen März werden Nutzer
sozialer Medien weiterhin wegen Beleidigungsvorwürfen strafrechtlich
verfolgt. Im September verurteilte die Justiz etwa einen Mann zu
einer Haftstrafe, weil er den Präsidenten auf Facebook als "verrückt"
bezeichnet haben soll (http://t1p.de/dj28).
Am 31. Oktober kündigte die Tageszeitung Myanmar Times ihrer
Investigativreporterin Fiona MacGregor wegen eines Artikels über
angebliche Vergewaltigungen von Frauen der muslimischen Minderheit
Rohingya durch Soldaten. MacGregor habe mit diesem und weiteren
Artikeln gegen die Firmenpolitik verstoßen, indem sie der "nationalen
Versöhnung" und dem "Ansehen der Zeitung" geschadet hätten
(http://t1p.de/pk0h). Nach Informationen von Reporter ohne Grenzen
kontaktierte die Personalabteilung der Myanmar Times nach der
Kündigung MacGregors das Ministerium, um mitzuteilen, dass sie die
Journalistin entlassen habe (http://t1p.de/pz3l). Das
Informationsministerium soll zuvor beim Management der Myanmar Times
angerufen und seinen Unmut über den Artikel zum Ausdruck gebracht
haben.
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit liegt Myanmar auf
Platz 143 von 180 Staaten. Weitere Informationen zur Lage in dem
südostasiatischen Land finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/myanmar.
Die myanmarische Journalistin Nan Tin Htwe ist im Rahmen des
zweimonatigen Stipendiums "Raum der digitalen Freiheit" zurzeit bei
Reporter ohne Grenzen zu Gast und steht für Interviews zur Verfügung.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29
Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell