(ots) - Der Bundesnachrichtendienst (BND) analysiert in
größerem Umfang als bisher angenommen Metadaten deutscher Bürger,
ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt. So werden etwa
auch Standortdaten erfasst und auf Knopfdruck können verdächtige
Metadaten mit Gesprächsmitschnitten verknüpft werden. Dies geht unter
anderem aus einem internen Rechtsgutachten des BND hervor. Die neuen
Erkenntnisse stützen die Klage von Reporter ohne Grenzen (ROG) gegen
den BND. Am (morgigen) Mittwoch verhandelt das
Bundesverwaltungsgericht in Leipzig als erste und letzte Instanz über
das Verfahren.
ROG klagt gegen die Ãœberwachung der elektronischen Kommunikation
von der Organisation mit ausländischen Journalisten durch den BND
sowie gegen die Speicherung erfasster Kommunikationsdaten im
Verkehrsanalysesystem VerAS. Die Klage wurde Ende Juni 2015
eingereicht. Vor zwei Wochen stellte Wikileaks tausende Dokumente aus
dem NSA-Untersuchungsausschuss ins Netz, darunter auch ein
Rechtsgutachten, das einen detaillierten Einblick in die
Funktionsweise von VerAS gibt.
"Die neuen Erkenntnisse zeigen, dass der BND in einem noch
größeren Umfang elektronischer Kommunikation überwacht", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Für in Not geratene Journalisten
aus Deutschland und autoritären Staaten ist Reporter ohne Grenzen ein
wichtiger Ansprechpartner, dem sie sensible Informationen
anvertrauen. Durch die Ausspähung durch den BND können sich die
Journalisten nicht mehr sicher sein, dass ihre Kommunikation
vertraulich bleibt."
SOFTWARE ANALYSIERT UMFASSEND VERBINDUNGSDATEN
In dem internen Rechtsgutachten wird deutlich, dass VerAS nicht
wie bisher angenommen eine bloße Datenbank ist. Vielmehr handelt es
sich um eine Software, die sämtliche Verbindungsdaten der
Telefonleitung analysiert. Zu den betroffenen Metadaten gehören etwa
Standort und Telefonnummer sowie Startzeitpunkt und Dauer der
Verbindung. Die Metadaten kann VerAS zudem jederzeit mit
gegebenenfalls vorhandenen Gesprächsaufzeichnungen verknüpfen. Gelten
Metadaten als verdächtig, kann VerAS die Gesprächsteilnehmer
identifizieren und den Zugang zu Gesprächsinhalten erlauben.
Zwar werden gespeicherte Telefonnummern und die
Identifikationsnummer auf der SIM-Karte zur Anonymisierung
unkenntlich gemacht. Das bezieht sich aber nur auf die von VerAS
erstellte Netzwerk-Datenbank. Der BND kann die deutschen Inhaber der
Nummern jederzeit wieder identifizieren. Das Rechtsgutachten legt
zudem dar, warum die Kommunikation von deutschen Bürgern nicht durch
Artikel 10 im Grundgesetz geschützt sei. Die Begründungen sind jedoch
unhaltbar.
Die jüngst beschlossene Reform des BND-Gesetzes, das die
Ausland-zu-Ausland-Ãœberwachung des BND regelt, hat auf die
Klagepunkte keine Auswirkungen (http://t1p.de/gzjg).
Durch eine Zeugenaussage im NSA-Untersuchungsausschuss war im Jahr
2014 bekannt geworden, dass der BND seit 2002 das Programm VerAS
betreibt. Damit erhebt und verarbeitet der BND Verbindungsdaten auch
von deutschen Bürgern, die im Zusammenhang mit ihrer Kommunikation
anfallen. Eine Rechtsgrundlage hat er dafür nicht. Aus Sicht der
Sicherheitsbehörden verfolgt VerAS das Ziel, Beziehungen zwischen
Terrorverdächtigen zu erkennen und auf diese Weise geheime Pläne oder
ganze Netzwerke aufzudecken.
Dieses Verfahren wird so umfassend angewandt, dass auch
Journalisten erfasst werden können, die nur indirekt und über bis zu
vier weitere Kommunikationspartner mit einem Terrorverdächtigen in
Verbindung gebracht werden können. Auf diese Weise erfasst der BND
eigenen Angaben zufolge rund 500 Millionen Metadaten pro Monat.
Angesichts dieser immensen Datensammlung ist die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass auch die Verbindungsdaten von ROG als internationale
Organisation vom BND gespeichert wurden.
Durch die Erhebung und Verarbeitung von Metadaten in solchem
Umfang stellt der BND nicht nur den Informantenschutz als zentrales
Element der Pressefreiheit in einer Demokratie in Frage. Er
untergräbt auch die Glaubwürdigkeit deutscher Forderungen nach mehr
Achtung der Medienfreiheit in autoritären Regimen und beraubt dortige
Journalisten somit eines Fürsprechers in ihrem Kampf gegen
Ãœberwachung und andere Formen der Repression durch die jeweiligen
Regierungen.
In einer Online-Petition ruft ROG zur Unterstützung der Klage auf
(http://t1p.de/6jk1). Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit
steht Deutschland auf Platz 16 von 180 Staaten. Mehr zur Lage der
Journalisten in Deutschland finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland.
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