(ots) - DUH darf ein Drohschreiben im Auftrag der Daimler
AG zu recht veröffentlichen, mit dem der Stuttgarter Autobauer
versucht hatte, die Veröffentlichung von Diesel-Abgastests bzw. deren
Bewertung zu behindern - Landgericht Hamburg weist die Klage von
Daimler-Anwalt Christian Schertz gegen die DUH ab - Kernsatz der
Urteilsbegründung: "Es kann nicht angehen, einem Verein, der sich in
die öffentliche Meinungsbildung einbringt, bestimmte Berichte zu
verbieten und ihm gleichzeitig zu untersagen, den Anlass des von ihm
verlangten Schweigens zu veröffentlichen"
Das Landgericht Hamburg hat am 8.12.2016 im Rechtsstreit zwischen
dem Anwalt der Daimler AG, Christian Schertz, und der Deutschen
Umwelthilfe (DUH) zugunsten der Umwelt- und
Verbraucherschutzorganisation entschieden (Az.: 310 O 124/16). Das
Gericht bestätigte damit im Ergebnis die Entscheidung des
Landgerichts Berlin, das im Einstweiligen Verfügungsverfahren bereits
am 12.4.2016 eine zugunsten von Herrn Schertz erlassene Einstweilige
Verfügung vom 15.01.2016 wieder aufgehoben hatte.
"Die Entscheidung des Hamburger Landgerichts stärkt den
Verbraucherschutz in Deutschland und enthält wichtige und
grundsätzliche Aussagen zur Presse- und Meinungsfreiheit. Sie
erleichtert zudem entscheidend die weitere Aufklärung des
Diesel-Abgasskandals, für den sich nicht nur Volkswagen, sondern auch
andere Autokonzerne zu verantworten haben. Daimler hat versucht, die
DUH mit massiven Drohungen in der Aufklärung der Abgasmanipulationen
beim Stuttgarter Autokonzern zu behindern - und ist damit
gescheitert", erklärt Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.
Anlass für den Rechtsstreit war ein Schreiben von Medienanwalt
Christian Schertz im Auftrag der Daimler AG am Vortag einer
angekündigten Pressekonferenz, bei der die DUH Ergebnisse von
Abgastests u. a. einer Mercedes C-Klasse (200 CDI) veröffentlichte,
die auf die Verwendung von 'Abschalteinrichtungen' in der
Abgasreinigung hindeuteten.
Wörtlich hieß es in diesem Drohschreiben vom 15.12.2015: "Sollte
durch ihre Öffentlichkeitsarbeit ein anderer Eindruck entstehen bzw.
sollten Sie weiterhin auch nur irgendwie die Behauptung aufstellen,
dass meine Mandantin Abgaswerte manipuliert habe, werden wir mit
aller gebotenen Nachhaltigkeit gegen Sie vorgehen und Sie
insbesondere für jeden wirtschaftlichen Schaden, der meiner Mandantin
dadurch entsteht, haftbar machen." Im letzten Satz forderte Daimler
Anwalt Schertz die Geheimhaltung dieses Drohbriefes: "Dieses
Schreiben ist ausschließlich zur presserechtlichen
Interessenvertretung und nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Sollte
es vollständig oder in Teilen dennoch veröffentlicht werden, werde
ich hiergegen gesonderte rechtliche Schritte einzuleiten haben."
In der am 13.12.2016 eingegangenen Urteilsbegründung findet sich
die klare Aussage, dass das Veröffentlichungsinteresse der DUH den
Interessen des Daimler Anwalts an der Nichtveröffentlichung des
Schreibens vorgeht. Das Gericht betont das hohe Informationsinteresse
der Öffentlichkeit am Abgasskandal und damit auch an der Frage, wie
betroffene Automobilhersteller mit dem Thema umgehen und auf die
Aufklärungsarbeit reagieren. Die Entscheidung weist über den
konkreten Fall hinaus und dürfte - sollten sie Rechtskraft erlangen
oder bestätigt werden - derartige Einschüchterungsversuche von
Wirtschaftsunternehmen gegenüber Verbraucherschutzverbänden zukünftig
erschweren (zum Urteil: http://l.duh.de/p141216 ).
"Das Gericht hat eindeutig im Sinne der freien Rede entschieden.
Dem Bestreben, als Unternehmen den Einschüchterungsversuch durch ein
zur Verhinderung unliebsamer Medienberichte versandtes anwaltliches
Drohschreiben geheim zu halten, hat es eine klare Absage erteilt",
sagt Christine Danziger, die die DUH in dem Verfahren vertrat.
Hintergrund:
Die DUH hatte am 15.12.2015 zu einer Pressekonferenz für den
darauffolgenden Tag eingeladen, während der sie unter anderem neue
Abgasmessungen einer Mercedes C-Klasse vorstellen wollte. Wenige
Stunden nach Versand der Einladung zur Pressekonferenz erhielt die
DUH ein Schreiben von Rechtsanwalt Christian Schertz, der darin die
medien- und presserechtliche Vertretung der Daimler AG anzeigte. In
dem Dokument drohte der Anwalt der DUH mit rechtlichen Schritten,
sollte die Organisation das Schreiben veröffentlichen. Die DUH
veröffentlichte sowohl die Abgasmessergebnisse als auch das Dokument,
auch um die Einschüchterungsversuche öffentlich zu machen.
Der im Drohbrief erwähnte Fernsehsender war das ZDF. Trotz
vorangegangener massiver Bedrohungen und Versuche, die Ausstrahlung
zu verhindern, strahlte Frontal21 am Vorabend der DUH-Pressekonferenz
einen TV-Beitrag zu den Abgasmessungen aus. Und trotz der massiven
Drohungen von Daimler entschied sich auch die DUH für die
Veröffentlichung der Abgasmessergebnisse sowie der Hinweise auf
vermutete Abschalteinrichtungen. Außerdem veröffentlichte die DUH das
Drohschreiben, auch um zu dokumentieren, unter welchem Druck die DUH
ihre Aufklärungsarbeit leisten muss.
Daimler-Rechtsanwalt Schertz erwirkte daraufhin eine Einstweilige
Verfügung gegen die DUH; die Veröffentlichung und Verbreitung des
Drohbriefes war der DUH danach unter Androhung von bis zu 250.000
Euro Ordnungsgeld bzw. sechs Monaten Ordnungshaft untersagt. Auf der
mündlichen Verhandlung hob das Landgericht Berlin die Einstweilige
Verfügung drei Monate später, am 12.4.2016, wieder auf. Christian
Schertz klagte anschließend vor dem Landgericht Hamburg wegen
angeblicher Verletzung seines Urheberrechts und seines allgemeinen
Persönlichkeitsrechts durch die Veröffentlichung. Die Klage wurde am
8.12.2016 abgewiesen.
Wesentliche Aussagen aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom
8.12.2016:
"Jedenfalls die beiden letzten Sätze des Textes sind nicht
ausreichend individuell gestaltet, um Urheberrechtsschutz zu
genießen. Der Aufbau (jedenfalls) dieses Teils des Textes ist nicht
originell. Die Wortwahl ist rein sachlich und durch die Zielsetzung
vorgegeben. ... Die Veröffentlichungen durch den Beklagten sind aber
durch § 50 UrhG gerechtfertigt." (S. 8)
"Die tatsächlichen Begebenheiten, über die ... durch den Beklagten
berichtet wurde, sind für die Allgemeinheit zur Zeit der
Veröffentlichung von Interesse gewesen. Berichtet wurde über die
Feststellung stark erhöhter Stickoxid-Emissionen bei einem getesteten
Mercedes und den Umgang von Politik und Herstellern mit diesem
Thema." (S.9)
"Der Verdacht der Nichteinhaltung von Emissionswerten (oder gar
deren Manipulation für Testsituationen) war für die Öffentlichkeit
von Interesse. Gleiches gilt für die (damit ersichtlich im
Zusammenhang stehende) Frage, wie betroffene Hersteller mit dem Thema
umgehen. So auch für den Umstand, dass die Daimler AG ohne Kenntnis
der Ergebnisse der in der Schweiz durchgeführten Abgasmessungen
bereits vorsorglich - unter bestimmten Voraussetzungen - juristische
Konsequenzen in Aussicht stellte..." (S.9)
"Zunächst ist festzuhalten, dass eine Tatsachenbehauptung, nicht
hingegen eine Meinungsäußerung, vorliegt. Auch sind die
veröffentlichten Tatsachen wahr. Wahre Tatsachenbehauptungen sind
grundsätzlich hinzunehmen." (S.11)
"Gegenstand der Veröffentlichung des Beklagten war ein Thema, das
in der Öffentlichkeit zur Zeit der Veröffentlichung von hohem
Interesse war. Bedeutend war in diesem Zusammenhang auch, wie
betroffene Automobilhersteller mit dem Thema umgehen. Insoweit kam
dem Bericht, dass die Daimler AG über ihren Rechtsanwalt, den Kläger,
bereits vor Veröffentlichung der Testergebnisse unter bestimmten
Voraussetzungen juristische Konsequenzen androhte, erhebliche
Bedeutung zu. Es kann nicht angehen, einem Verein, der sich im
Bereich der öffentlichen Meinungsbildung einbringt, bestimmte
Berichte zu verbieten und ihm gleichzeitig zu untersagen, den Anlass
des von ihm verlangten Schweigens nicht zu veröffentlichen. Auch ist
zu berücksichtigen, dass sich das veröffentlichte Schreiben des
Klägers nicht auf die Auseinandersetzung zweier (unbekannter)
Privatpersonen, z. B. im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits, bezog.
Es wurde vielmehr namens eines weltweit tätigen Großkonzerns erstellt
und verschickt." (S. 11)
Links:
Schreiben von Christian Schertz an die DUH vom 15.12.2015:
http://l.duh.de/p141216
Urteil vom 8.12.2016: http://l.duh.de/p141216
Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer DUH
0171 3649170, resch(at)duh.de
Dr. Christine Danziger, Rechtsanwältin
030 65 00 1 888,danziger(at)thomas-law-office.com
DUH-Pressestelle:
Daniel Hufeisen, Ann-Kathrin Marggraf
030 2400867-20, presse(at)duh.de
www.duh.de, www.twitter.com/umwelthilfe, www.facebook.com/umwelthilfe
Original-Content von: Deutsche Umwelthilfe e.V., übermittelt durch news aktuell