(ots) - Das Bundesverwaltungsgericht hat weitere Aufklärung
über die Metadatensammlung des Bundesnachrichtendienstes verlangt.
Bei der mündlichen Verhandlung über die Klage von Reporter ohne
Grenzen (ROG) gegen den BND stellten die Richter des 6. Senats in
Leipzig eingehende Nachfragen zum Verkehrsanalysesystem "VerAS", mit
dem der deutsche Auslandsgeheimdienst in großem Umfang
Verbindungsdaten über Telefongespräche mit Auslandsbezug sammelt. Am
Mittwochabend vertagte es nach fünfstündiger Sitzung die Verhandlung
(http://t1p.de/qsk5).
"Das Gericht hat deutliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Metadatensammlung des BND geäußert und hält weitere Aufklärung für
nötig", sagte ROG-Vorstandsmitglied Matthias Spielkamp. "Schon das
ist ein wichtiger Erfolg unserer Klage: Der BND muss Klarheit über
Art und Umfang seiner Ãœberwachung schaffen. Denn die
unverhältnismäßige und widerrechtliche Vorratsdatensammlung des BND
stellt den journalistischen Quellenschutz und damit einen
Grundpfeiler der Pressefreiheit in Frage."
ROG hatte die Klage gegen den BND am 30. Juni 2015 beim
Bundesverwaltungsgericht eingereicht, das in diesem Fall als erste
und letzte Instanz zuständig ist (http://t1p.de/jco7). In dem
Verfahren wird ROG von dem Rechtsanwalt Niko Härting vertreten. Die
Klage richtet sich unter anderem gegen das System VerAS, mit dem der
BND seit dem Jahr 2002 ohne gesetzliche Grundlage Metadaten auch von
deutschen Bürgern sammelt, die im Zusammenhang mit ihrer
Kommunikation anfallen.
NACHFRAGEN ZUR ANONYMISIERUNG GRUNDRECHTSGESCHÃœTZTER DATEN
Davon betroffen sind sowohl die sogenannte
Ausland-Ausland-Kommunikation als auch Gespräche zwischen In- und
Ausland sowie Verbindungsdaten, die dem BND von befreundeten
Geheimdiensten zugeliefert werden. Die Speicherung geschieht so
umfassend, dass auch Journalisten erfasst werden können, die nur
indirekt und über mehrere weitere Kommunikationspartner zum Beispiel
mit einem Terrorverdächtigen in Verbindung gebracht werden können.
Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb hoch, dass der Dienst auch die
Verbindungsdaten von ROG als internationaler Organisation gespeichert
hat.
In der mündlichen Verhandlung fragten die Richter detailliert nach
den Kriterien und Abläufen, mit denen der BND Daten filtert, bevor
sie in VerAS eingespeist werden. Kritische Nachfragen stellten sie
vor allem zur Frage, inwieweit sichergestellt sei, dass in
anonymisierter Form gespeicherte grundrechtsgeschützte Metadaten
deutscher Telekommunikationsteilnehmer nicht nachträglich doch den
betreffenden Personen zugeordnet werden könnten. Dies umso mehr, als
der Vertreter des BND einräumen musste, dass mit VerAS
Kontaktnetzwerke bis in beliebig weite Verzweigungen analysiert
werden könnten - im Prinzip auch "bis in die 14. Ebene".
Die BND-Vertreter räumten ein, dass die nachträglich Zuordnung
anonymisiert gespeicherter Daten in den Fällen möglich ist, in denen
im Zuge einer Telefonüberwachung nach dem G-10-Gesetz auch die
Inhalte eines Gesprächs gespeichert werden. Ferner verwiesen sie
darauf, dass der Wirkungsbereich von VerAS begrenzt sei, da es sich
nur um eine von etwa 25 Datenbanken des BND handele.
KLAGEPUNKT ZUR STRATEGISCHEN AUSLANDSÃœBERWACHUNG ABGEWIESEN
Im anderen Teil der Klage warf ROG dem Geheimdienst vor, im Zuge
seiner strategischen Fernmeldeüberwachung ihren E-Mail-Verkehr mit
ausländischen Partnern, Journalisten und anderen Personen ausgespäht
zu haben. Diesen Teil wies das Gericht am Mittwoch als unzulässig ab.
Gegen diese Entscheidung behält sich ROG eine Klage beim
Bundesverfassungsgericht vor.
Nach allem, was über den Umfang der strategischen
Fernmeldeüberwachung zwischen In- und Ausland sowie über die vom BND
verwendeten Suchkriterien bekannt ist, muss ROG davon ausgehen, dass
auch zahlreiche E-Mails der Organisation erfasst wurden - und dass
diese Überwachungspraxis unverhältnismäßig und vom G-10-Gesetz nicht
gedeckt ist. Schon in der Vergangenheit hatte das
Bundesverwaltungsgericht vergleichbare Klagen gegen den BND mit der
Begründung abgewiesen, die Kläger könnten ihre Betroffenheit nicht
nachweisen (http://t1p.de/el2s).
Für zahlreiche Journalisten aus Deutschland und aus autoritären
Staaten wie Usbekistan, Aserbaidschan oder China ist ROG ein
regelmäßiger und wichtiger Ansprechpartner, an den sie sich mit
schutzwürdigen Anliegen oder vertraulichen Informationen wenden. Die
Ausforschung der Kommunikation durch den BND bedeutet, dass sich
solche Journalisten nicht mehr darauf verlassen können, dass ihre
Kommunikation vertraulich bleibt.
BND-PRAKTIKEN UNTERGRABEN KRITIK AN ÃœBERWACHUNG IN REPRESSIVEN
STAATEN
Noch am Montag hatte Reporter ohne Grenzen dem Gericht neue
Hinweise darauf vorgelegt, dass VerAS noch tiefer und umfassender als
bislang angenommen in die Grundrechte sogar deutscher Staatsbürger
eingreift (http://t1p.de/k1q1). Dabei handelte es sich unter anderem
um ein internes Gutachten des BND, das Teil der kürzlich von
Wikileaks publik gemachten Dokumente des NSA-Untersuchungsausschusses
des Bundestags ist. Die Erkenntnisse aus dem Gutachten stützen das
Argument, dass Kommunikation von ROG von der Erfassung und Auswertung
durch VerAS betroffen sein dürfte. Außerdem legt der Geheimdienst
darin ausführlich dar, dass und warum in den meisten Fällen selbst im
Nachhinein keine Benachrichtigung der ausgeforschten Personen geboten
sei.
Durch solche Praktiken stellt der BND nicht nur den
Informantenschutz als zentrales Element der Pressefreiheit in einer
Demokratie in Frage. Er untergräbt auch die Glaubwürdigkeit deutscher
Forderungen nach mehr Achtung der Medienfreiheit in autoritären
Regimen und beraubt dortige Journalisten somit eines Fürsprechers in
ihrem Kampf gegen Ãœberwachung und andere Formen der Repression durch
die jeweiligen Regierungen.
Keine Auswirkungen auf die Streitpunkte der Klage hat die jüngst
beschlossene Reform des BND-Gesetzes, das die
Ausland-zu-Ausland-Ãœberwachung des BND regelt (http://t1p.de/gzjg).
WEITERFÃœHRENDE INFORMATIONEN:
- ROG-Klage gegen den BND unterstützen:
www.reporter-ohne-grenzen.de/bnd-klage
- Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland:
www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland
- Mehr zur Arbeit des ROG-Referats für Informationsfreiheit im
Internet: www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/internetfreiheit
Pressekontakt:
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