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Landeszeitung Lüneburg: Das Märchen vom Durchregieren - US-Experte Dr. Josef Braml: Donald Trump muss sich auch den Realitäten in der Weltpolitik stellen

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(ots) - Donald Trump hat Tabus gebrochen, treibt
politische Gegner, aber auch die Wirtschaft über Twitter und Facebook
vor sich her - und wird am 20. Januar neuer US-Präsident. Ab diesem
Tag werden sich seine Ankündigungen und politischen Ziele der
Realität stellen müssen. Und es gibt einige Realitäten in der
Weltpolitik, an denen Trumps Politik scheitern dürfte, sagt der
US-Experte Dr. Josef Braml im Gespräch mit unserer Zeitung.

Donald Trump tritt am 20. Januar sein Amt an. Welche positiven
Veränderungen in den USA erwarten Sie?

Dr. Josef Braml: Ich erwarte, dass viele Amerikaner, aber auch
Freunde Amerikas hierzulande die Lage nüchterner sehen werden. Die
Tatsache, dass Trump nun an der Macht ist, hat eine Vorgeschichte.
Die Faktoren, die ihn mit an die Macht gebracht haben, wurden von
vielen ausgeblendet. Jeder, der etwas kritischer war und auf Probleme
hingewiesen hat, wurde des Anti-Amerikanismus bezichtigt. Vielleicht
denken diejenigen, die die Augen vor der Realität verschlossen haben,
nun etwas nüchterner über die Lage.

Was heißt das konkret?

Dass sie die enormen Probleme sehen, die die amerikanische
Demokratie hat: Es gibt soziale und wirtschaftliche Probleme, aber
auch das politische System steckt in einer Krise. Die Balance
zwischen der Wirtschaft und der Politik ist nicht mehr gewährleistet.
Bezeichnenderweise wurde Trump vor allem auch deshalb gewählt, weil
er sagte, er wolle den Sumpf in Washington austrocknen. Gemeint war
die Korruption, das viele Geld, das in dieses System fließt. Viele
haben ihm geglaubt, dürften nun aber ernüchtert sein, wenn sie die
Wall Street und die Ölindustrie mit an der Macht sehen.

Trump präsentiert sich als Alleinherrscher, der klassische Medien
und Journalisten verachtet, gegen Minderheiten hetzt und keine Normen




respektiert. Viele Intellektuelle in den USA warnen vor einem Ende
der Republik oder zumindest vor einem Aushöhlen der Demokratie durch
Trump. Teilen Sie die Befürchtungen?

Es ist gut, dass jetzt auch Intellektuelle in Amerika die Probleme
sehen und benennen. Die USA sind zwar nach wie vor eine Demokratie,
aber sie ist seit längerem keine liberale Demokratie mehr, hat seit
Jahren massive Defizite. Diese kann man festmachen am Krieg gegen den
Terror seit dem 11. September 2001, in dem viele Freiheitsrechte auf
dem Altar der Sicherheit preisgegeben worden sind. Und seit dem
Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise, die immer noch nicht ganz
behoben ist, haben sehr viele massive wirtschaftliche und soziale
Probleme, können sich noch weniger am politischen Prozess beteiligen.
Diejenigen, die diese Probleme auch sehen, seien herzlich gegrüßt.
Diejenigen aber, die vorher keine Probleme gesehen haben und jetzt
total durch- und überdrehen und nun von Diktatur sprechen oder Trump
mit Mussolini oder anderen vergleichen, sollten die Lage endlich
nüchterner einschätzen.

Trump will weiter auf Twitter und anderen sozialen Netzwerken
aktiv bleiben. Wird er damit auch die bisherigen politischen
beziehungsweise diplomatischen Gepflogenheiten umkrempeln?

Auf jeden Fall. Er hat alles, was bisher als statthaft galt, im
Wahlkampf über den Haufen geworfen. Er hat die Wahl gewonnen, obwohl
- oder, ich würde sogar behaupten weil er die Regeln des menschlichen
Anstandes und demokratischer Prinzipien missachtet hat. Und Demagoge
Trump hat auch deshalb gewonnen, weil er einfache Lösungen geboten
hat. Jetzt muss er aber liefern. Das wird nicht einfach werden, denn
es gibt Probleme in der Realität, die auch er nun zur Kenntnis nehmen
muss. Bisher hatte er sich die Realität so zurechtgebogen, wie er sie
im Wahlkampf benötigte. Doch nun wird sich Trump - wie manche seiner
Vorgänger - an vielen Problemen die Zähne ausbeißen. Trump wird dabei
- wie schon im Wahlkampf - auf seinen kommunikativen Wegen bleiben.
Allerdings ist seine Art des Agierens nicht neu: Es gibt in den USA
den Begriff des Bully Pulpit, der hervorragenden Kanzel. Diesen
Begriff prägte einst Theodore Roosevelt. Er besagt, dass der
Präsident der einzige, landesweit gewählte Politiker ist und sich mit
diesem Verständnis direkt an das Volk wenden kann - auch, um notfalls
Druck auf Senatoren und Abgeordnete im Kongress ausüben zu können.
Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den USA meinen viele, Trump
und seine Republikaner würden nun durchregieren. Das ist aber
mitnichten so. Trump wird viele Probleme mit seinen Parteifreunden
haben. Um sie für seine Ideen zu begeistern, kann er entweder
politischen Kuhhandel betreiben oder die Abgeordneten über die Wähler
unter Druck setzen. Letzteres macht er schon seit seinem Wahlsieg
über Twitter und andere soziale Medien. Das Prinzip des Bully Pulpit
ist also nicht neu, aber wir müssen jetzt umdenken: Fernsehen war
vorgestern. Und auch Elitemedien wie die New York Times sind längst
nicht mehr das Standard-Medium der meisten Amerikaner. All diese
Nobelfedern, die Trump abgeschrieben hatten, müssen aufwachen und
bemerken, dass sich die Medienlandschaft in den USA drastisch
verändert hat.

Offenbar reicht ein Trump-Tweet, und schon reagieren nicht nur die
Republikaner, sondern auch Großkonzerne wie Ford. Geht die
US-Industrie auf Good-Will-Tour, weil sie nicht am Twitter-Pranger
stehen will oder eher weil sie sich große Veränderungen der
Wirtschafts- und Fiskalpolitik in ihrem Sinn erhofft?

Nein, nicht alle kuschen nach solchen Tweets. General Motors zum
Beispiel hat nach wie vor Anlagen in Mexiko. Trump droht aber auch
damit, als Präsident eigenmächtig - also unter Umgehung des
Kongresses - Zölle einzuführen, um die Konzerne stärker unter Druck
zu setzen. Wenn es zu diesem Protektionismus kommt, gibt es aber eher
noch mehr Gründe, im Ausland billiger zu produzieren.

Spielt bei Ford und anderen Herstellern auch die Angst davor, dass
Trump das Freihandelsabkommen Nafta auflöst, eine Rolle?

Ja, denn Trump könnte relativ leicht Nafta verlassen.

Unter Ronald Reagan wurde der Spitzensteuersatz 1981 von 70 auf 33
Prozent gesenkt. Seine Wirtschaftspolitik bekam die Bezeichnung
Reaganomics und ähnelte stark dem Thatcherismus. Droht unter Trumps
Regentschaft eine Potenzierung dieser Wirtschaftspolitik?

Trumps Wirtschaftspolitik basiert tatsächlich auf der gleichen
Zauberökonomieformel, die damals nicht funktioniert hat und auch
heute nicht funktionieren dürfte. Aber politisch ist es nicht
ungeschickt. Trump will 1000 Milliarden Dollar in ein
Strukturprogramm stecken. Dafür braucht er aber den Kongress, die
Macht der Geldbörse. Viele Parteifreunde sind aber fiskalkonservativ,
wollen nicht, dass der Staat irgendetwas macht. Denen muss Trump ein
Zuckerbrot geben - wie Steuererleichterungen für Kapitalbesitzer, für
Besserverdienende. Wie gefährlich ein solcher Weg ist, sollten alle
erkennen, die rechnen können. Denn Trump will auch noch mehr Geld in
den Verteidigungsetat stecken. Die 600 Milliarden Dollar reichen wohl
nicht, damit sich Amerika sicher fühlen kann. Beides, hohe Ausgaben
und weniger Steuereinnahmen, würde wie unter Reagan zu einer extremen
Aufblähung des Budgets führen. Dabei ist die Schuldenlast der USA
ohnehin schon extrem hoch, hat sich in der Finanz- und
Wirtschaftskrise auf 20 Billionen Dollar verdoppelt. Hinzu kommt die
demografische Entwicklung: die Baby-Boomer-Generation kommt ins
Rentenalter. Laut einiger Studien könnte in zwei, drei Dekaden das
US-Defizit auf bis zu 140 Prozent der Wirtschaftsleistung anwachsen.

Das heißt, der nächste US-Präsident wird vor unlösbaren Aufgaben
stehen?

Nicht vor unlösbaren, aber es wird sich entladen, einer wird die
Zeche zahlen. Und es werden hoffentlich nicht wieder die Leute sein,
die ohnehin schon ihr Lehrgeld gezahlt haben und in amerikanische
Staatsanleihen angelegt hatten. Man sollte sich nicht von der
derzeitigen Stimmung verleiten lassen: Die Börse feiert Trump und
suggeriert damit auch, dass sich Investieren in den USA lohnt.

Wird Trump zum Totengräber der in den USA mühsam durchgesetzten
Klimaschutzpolitik?

Der Klimaschutz hing schon seit Längerem am Beatmungsgerät. Barack
Obama hat zwar am Kongress einige Klimaschutzmaßnahmen bewirkt, die
von Trump aufgehoben werden dürften. Aber man darf nicht vergessen,
dass Obama Fracking vorangetrieben hat und sogar erlaubte, in der
Arktis zu bohren, was nicht einmal George W. Bush durchsetzen konnte.
Anders ausgedrückt: Obama konnte besser reden und sich ein sauberes
Image verschaffen, aber seine Handlungen waren nicht immer sauber.

Was kann denn den Herrn Trump stoppen?

Die Realitäten in der Weltpolitik. China ist nicht mehr bereit,
das Wirtschaftsgebaren der USA, das Konsumieren auf Pump und indirekt
auch die Militärmaschinerie weiter zu finanzieren - und kauft
deutlich weniger US-Staatsanleihen. China will sich vom Exportmarkt
USA emanzipieren und konzentriert sich stärker auf Asien,
Zentralasien, Afrika und Europa. Aus Sicht der USA ist das eine
Gegenmachtbildung. Wenn zwei Elefanten kämpfen, muss man aufpassen,
nicht zwischen die Fronten zu geraten. Das gilt vor allem für
Deutschland. Wir wollen mit beiden Staaten gute Geschäfte machen,
aber mit zunehmenden Spannungen zwischen Peking und Washington wird
es eine immer schwierigere Gratwanderung.

Das Interview führte

Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de

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Datum: 05.01.2017 - 18:49 Uhr
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