(ots) - Ein Bündnis von Bürgerrechtsorganisationen und
Journalisten hat Verfassungsbeschwerde gegen den
"Datenhehlerei"-Paragrafen im Strafgesetzbuch eingelegt. Der von der
großen Koalition neu geschaffene Straftatbestand (§ 202d StGB) stellt
den Umgang mit "geleakten" Daten unter Strafe, ohne für angemessenen
Schutz der Presse zu sorgen. Damit kriminalisiert das Gesetz einen
wichtigen Teil der Arbeit investigativer Journalisten und Blogger
sowie ihrer Informanten und Helfer.
Die 2015 gegründete Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat die
Verfassungsbeschwerde koordiniert und im Namen von netzpolitik.org,
Reporter ohne Grenzen (ROG) sowie von sieben Journalisten und
Bloggern eingereicht. Darunter sind die netzpolitik.org-Redakteure
Markus Beckedahl und Andre Meister, die Investigativjournalisten
Peter Hornung (NDR, Panama Papers) und Hajo Seppelt (ARD,
Olympia-Doping) sowie die IT-Journalisten Holger Bleich, Jürgen
Schmidt (beide vom Magazin c't) und Matthias Spielkamp. Weitere
Beschwerdeführer sind der Richter und GFF-Vorsitzende Dr. Ulf
Buermeyer sowie ein Anwalt und ein IT-Experte, die jeweils regelmäßig
investigativ arbeitende Medien beraten.
"Der Datenhehlerei-Paragraf eröffnet ein neues Einfallstor für
Durchsuchungen von Redaktionen, die auf anderer Rechtsgrundlage aus
guten Gründen für verfassungswidrig erklärt wurden", sagte der
GFF-Vorsitzende Buermeyer. "Das Gesetz ist so schlampig formuliert,
dass es ein strafrechtliches Minenfeld für investigativ arbeitende
Journalisten und ihre Helfer schafft. Das ist mit der Pressefreiheit
nicht vereinbar."
"Investigative Journalisten und Blogger dürfen nicht
kriminalisiert werden, bloß weil sie ihren Job machen, mit 'Leaks'
arbeiten und dadurch Machtmissbrauch oder Angriffe auf die
Bürgerrechte zutage bringen", sagte Markus Beckedahl, Chefredakteur
von netzpolitik.org. "Statt die Pressefreiheit durch neue
Straftatbestände wie die Datenhehlerei weiter auszuhöhlen, brauchen
wir mehr Presserechte, aber diese auch für Blogger und vernetzte
Redaktionen."
"Diese absurde Vorschrift droht Whistleblower und Experten wie
Juristen oder IT-Fachleute abzuschrecken, ohne deren Hilfe
Journalisten und Blogger viele gesellschaftliche Missstände nicht
aufdecken könnten", ergänzte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
"Wenn selbst eine gefestigte Demokratie wie Deutschland Journalisten
zu Kriminellen erklärt, bloß weil sie mit durchgestochenen Daten
arbeiten, ist das ein verheerendes internationales Signal."
Die Beschwerde verfassten Prof. Dr. Katharina de la Durantaye
(Humboldt-Universität zu Berlin), der Kölner Strafverteidiger Dr.
Nikolaos Gazeas und Dr. Sebastian J. Golla (Johannes
Gutenberg-Universität Mainz), unterstützt von Sebastian Thess
(Humboldt-Universität zu Berlin). Teilnehmer der Humboldt Law Clinic
Internetrecht (HLCI) haben im Vorfeld Recherchearbeit geleistet.
PRESSEFREIHEIT MUSS AUCH FÃœR BLOGGER, BÃœRGERJOURNALISTEN UND
HILFSPERSONEN GELTEN
Ziel der Verfassungsbeschwerde ist es, den
Datenhehlerei-Paragrafen vom Bundesverfassungsgericht für nichtig
erklären zu lassen. So sollen die Beschwerdeführer und mit ihnen alle
Journalistinnen und Journalisten vor Strafverfolgung und insbesondere
vor Ermittlungsmaßnahmen wie Redaktionsdurchsuchungen und
Beschlagnahmen von Recherche-Materialien geschützt werden. Dadurch
will das Bündnis nicht zuletzt verhindern, dass die neuen
Vorschriften Informanten und andere journalistische Quellen
einschüchtern und auf diese Weise investigative journalistische
Recherchen behindern.
Die Beschwerdeführer erhoffen sich außerdem eine
höchstrichterliche Klarstellung, dass der grundgesetzliche Schutz der
Pressefreiheit auch für Blogger, Laienjournalisten und externe
Hilfspersonen von Journalisten wie die klagenden IT-Experten und
Juristen gilt. Ein klares Urteil in dieser Frage hätte auch eine
internationale Ausstrahlungswirkung: Es wäre ein wichtiges Signal
gegen die Bemühungen von Diktaturen und autoritären Regierungen,
Bürgerjournalisten und Blogger bis in UN-Resolutionen hinein durch
eine sehr enge Journalismus-Definition vom Schutzbereich der
Pressefreiheit auszuklammern, um Informationen leichter kontrollieren
zu können.
BIS ZU DREI JAHRE HAFT FÃœR "HANDEL" MIT RECHTSWIDRIG ERLANGTEN
DATEN
Der neue Straftatbestand ist seit dem 18. Dezember 2015 in Kraft;
der Bundestag hatte ihn zwei Monate zuvor als § 202d StGB gut
versteckt im Gesetzespaket zur Vorratsdatenspeicherung und ohne
Debatte verabschiedet. Am 16. Dezember 2016 hat die GFF nun die
Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht.
Finanziert wird sie von netzpolitik.org, Reporter ohne Grenzen sowie
der GFF.
Der Datenhehlerei-Paragraf stellt den Umgang mit Daten unter
Strafe, die jemand zuvor rechtswidrig erworben hat; es drohen bis zu
drei Jahre Haft oder Geldstrafe. Die Norm richtet sich zwar der
Absicht des Gesetzgebers nach in erster Linie gegen den Handel zum
Beispiel mit gestohlenen Kreditkarten- oder Nutzerdaten. Aufgrund
mangelnder Sorgfalt bei der Formulierung des Gesetzes erfasst sie
darüber hinaus aber auch das Sich-Verschaffen, die Überlassung und
Verbreitung elektronisch gespeicherter Daten, die von Hinweisgebern
("Whistleblowern") an Journalisten weitergegeben wurden.
Hinzu kommt eine Ergänzung in Paragraf § 97 der
Strafprozessordnung. Danach begründet der Verdacht auf Datenhehlerei
eine Ausnahme vom Beschlagnahmeverbot im Zusammenhang mit dem
journalistischen Zeugnisverweigerungsrecht. Dies eröffnet eine
gefährliche Hintertür, um Redaktionen durchsuchen und dort gefundenes
Material beschlagnahmen zu können.
UNZUREICHENDER SCHUTZ FÃœR INFORMANTEN UND HELFER VON JOURNALISTEN
Damit greift die neue Strafvorschrift unverhältnismäßig in die
Freiheit der journalistischen Recherche ein, indem sie den Umgang mit
Materialien von Whistleblowern im Grundsatz unter Strafe stellt.
Ausnahmen sieht sie dem Wortlaut des Gesetzes nur für Handlungen vor,
die "ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder
beruflicher Pflichten dienen". Dazu zählt das Gesetz insbesondere
Handlungen "berufsmäßiger" Journalisten und Journalistinnen.
Diese Ausnahmen sind schon für Journalisten lückenhaft, da sie
nebenberufliche oder auch aus privatem Interesse handelnde
Berufsjournalisten nicht einschließen. Noch unzureichender ist der
Schutz für externe Experten wie Anwälte oder IT-Fachleute, wie sie
von Journalisten bei der Sichtung und Bewertung geleakter Daten
regelmäßig zu Rate gezogen werden.
Schwerer als die Gefahr einer tatsächlichen Verurteilung von
Journalisten wegen des Entgegennehmens oder der Weitergabe geleakter
Daten wiegt dabei das Risiko strafrechtlicher Ermittlungen bis hin zu
Durchsuchungen: Sie würden das Vertrauensverhältnis zwischen
Journalisten und ihren Informanten schwer beeinträchtigen und damit
die journalistischen Recherchemöglichkeiten schwächen.
Diese einschüchternde Wirkung greift schon, ohne dass es bereits
zu konkreten Ermittlungen gekommen wäre. Allein die Möglichkeit von
Durchsuchungen und Beschlagnahmen führt dazu, dass
Informationsquellen für Journalisten versiegen und dass die Arbeit
mit zugespielten Informationen erschwert wird. Denn schon jetzt
weigern sich Informanten, geleaktes Material zu übergeben und damit
einer unabhängigen Prüfung zugänglich zu machen. Ebenso sind
beispielweise externe IT-Experten schwerer als zuvor zur Auswertung
zugespielter Daten zu gewinnen, weil sie Strafverfolgung fürchten.
BEISPIELE: RECHERCHEN ZU GEHEIMDIENSTEN, PANAMA PAPERS,
OLYMPIA-DOPING
Die Beschwerdeführer machen die Gefahr geltend, sich oder ihre
Informanten und Helfer durch den Datenhehlerei-Paragrafen bei
künftigen typischen Recherchen dem Risiko einer Strafverfolgung
auszusetzen. So thematisieren und veröffentlichen die
netzpolitik.org-Redakteure Markus Beckedahl und Andre Meister
regelmäßig Dokumente zur Arbeit deutscher und internationaler
Geheimdienste, darunter auch Verschlusssachen etwa zur Arbeit von
Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz.
Der NDR-Journalist Peter Hornung arbeitete intensiv an der
Auswertung der Panama Papers zu den Briefkastenfirmen von Politikern
und Prominenten mit und koordinierte die Hörfunkberichterstattung
darüber in der gesamten ARD. Heute arbeitet er regelmäßig mit "Leaks"
zum VW-Abgas-Skandal. Der investigative Sportjournalist Hajo Seppelt
gab durch seine Recherchen und Berichte die entscheidenden Anstöße
zur Aufdeckung des systematischen russischen Staatsdopings.
Jürgen Schmidt, Redakteur der Computerzeitschrift c't und des
Online-Portals heise Security, deckte etwa gravierende
Sicherheitslücken beim Online-Banking eines Geldinstituts sowie bei
der Abwicklung von Kreditkartenzahlungen auf. Bei derartigen
Recherchen ist er auf ein Netz externer IT-Experten angewiesen. Der
ebenfalls klagende Rechtsanwalt wird von Redaktionen regelmäßig zur
rechtlichen Bewertung derartiger Vorgänge herangezogen, der
IT-Experte zur technischen Analyse und Auswertung.
Wären die Vorschriften zur Datenhehlerei zur Zeit der jeweiligen
Recherchen bereits in Kraft gewesen, hätten die Beschwerdeführer in
mehreren dieser Fälle den Tatbestand wohl erfüllt. Dagegen machen sie
in ihrer Verfassungsbeschwerde Verletzungen der Presse- und
Rundfunkfreiheit, des allgemeinen Gleichheitsgebots, der Freiheit der
Berufsausübung und des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes
geltend.
WEITERFÃœHRENDE INFORMATIONEN:
- Hintergrundmaterial zur Verfassungsbeschwerde:
https://freiheitsrechte.org/datenhehlerei
- Fragen und Antworten zur Verfassungsbeschwerde:
https://freiheitsrechte.org/datenhehlerei-faq/
- Online-Petition zur Unterstützung der Verfassungsbeschwerde:
www.reporter-ohne-grenzen.de/mitmachen/petition-datenhehlerei
- Mehr von netzpolitik.org zum Datenhehlerei-Verbot:
https://netzpolitik.org/?s=datenhehlerei
- Mehr zum Einsatz von Reporter ohne Grenzen für
Informationsfreiheit im Internet:
www.reporter-ohne-grenzen.de/themen/internetfreiheit
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 60 98 95 33-55
Gesellschaft für Freiheitsrechte
Peggy Fiebig
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netzpolitik.org
Markus Beckedahl
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