(ots) -
Der Tag der Handschrift am 23. Januar macht das Schreiben zum
Fest. Aber macht noch jemand mit? Und wie. In einer voll
digitalisierten Welt entdecken immer mehr Menschen ihre Liebe zu
alten Techniken.
Vor ein paar Jahren kamen viele Studenten einer Hamburger
Kunstakademie recht lustlos in den Unterricht der Kalligraphin
Kerstin Carbow. Kunstvoll schreiben lernen im Zeitalter von
Smartphones, Touch-Screens, Voice-Notes und Email, wozu? Heute, sagt
die 52-Jährige, die auch als Illustratorin und Malerin arbeitet,
ziehe es immer mehr Menschen freiwillig in ihre Seminare und
Workshops. "Die meisten wollen lernen, sich selbst auszudrücken und
ihre Gedanken oder Gefühle mit einer schönen Schrift sichtbar zu
machen." Geschäftsleute zum Beispiel, die verstanden haben, dass sie
mit einer handgeschriebenen Grußnote oder Bewerbung mehr Eindruck
hinterlassen als mit einer Email. Junge Erwachsene, die wieder üben
wollen, einen Füller richtig zu halten (nicht zu steil und
keinesfalls zu verkrampft), um vielleicht eines Tages einen Brief
oder ein Kärtchen zu schreiben. Es kommen aber auch viele Senioren,
die ihre Liebe zu analogen Techniken nicht vergessen können und
wieder einmal beherzt Buchstaben mit Schörkeln, Bögen und Schlaufen
zu Papier bringen wollen.
Tinte statt Tastatur
Auch andere kreative Formen finden seit gut einem Jahr Zulauf.
Malbücher für Erwachsene, Zendoodling (das Zeichnen von sich
wiederholenden, kunstvoll verschnörkelten Designs) und Lettering (das
künstlerische Buchstabenzeichnen) boomen. Kerstin Carbow, eine der
letzten Schülerinnen des berühmten Schriftkünstlers Martin Andersch,
hat dafür eine einfache Erklärung: "Das Bewusstsein wächst, dass wir
für Kopf und Herz mehr brauchen als Effizienz, Schnelligkeit und
modernste Technik, die das Leben zwar stark vereinfacht, aber auch
unkreativer gemacht hat. Zu schreiben oder zu malen bringt mit sich,
dass man sich auf sein Inneres konzentriert, dass man zu sich kommt
und ganz ruhig wird." Die Renaissance der Handschrift zeigt noch
etwas anderes. Kontakte mit WhatsApp-Nachrichten zu pflegen, Giphys
statt Glückwunschkarten zu verschicken ist vielen auf Dauer einfach
nicht genug. Zwischenmenschliche Beziehungen brauchen auch besondere
Gesten der Wertschätzung und Verbindlichkeit. Mit einer
handgeschriebenen Notiz zeigt man, dass man dem anderen eine Freude
bereiten möchte und sich mehr Zeit für ihn genommen hat. "Schreiben
ist ein Mittel, um das Schöne zu zelebrieren", resümiert Kalligraphin
Kerstin Carbow.
Retro-Techniken als Seelentröster
Handschrift lebt. Auch wenn Deutschland im Netz ist und eine
"Generation Hängekopf" heranwächst, die ständig mit dem Kopf nach
unten aufs Smartphone starrt. Auch wenn professionelle Aufräumer und
IT-Experten in Unternehmen die Vision vom papierlosen Büro Realität
werden lassen. Und auch wenn Schulkinder in aller Welt auf
Computertastaturen Buchstaben lernen und nur noch Druckschrift auf
ihrem Lehrplan steht. Aber auch in einer digitalen Welt hängen
Menschen an alten Dingen, an Briefen, Polaroidkameras,
Schreibmaschinen, Füllfederhalter. Nicht nur die Älteren. Viele junge
Digital Natives spüren, dass ihnen etwas fehlt. Dinge, die sie
anfassen können, die sie mit guten Erinnerungen verbinden oder an die
Wand hängen können. Die Sehnsucht lässt sich erklären: Wer
stundenlang auf den Computer starrt stellt am Ende des Tages fest,
dass er nichts in der Hand hat. Besonders befriedigend ist das nicht.
Schreibgeräte-Boom dank Ausmaltrend
Die Schreibwaren-Branche freut's. Deutsche Stiftehersteller, die
sich noch vor wenigen Jahren warm angezogen hatten, vermeldeten
dieses Jahr Rekordumsätze. Das Deutschlandgeschäft zeigte im ersten
Quartal dieses Jahres laut Verband der PBS-Markenindustrie ein
erstaunliches Wachstum von durchschnittlich 6,7 Prozent. 2015 wuchs
der Umsatz bereits um 3,9 Prozent. Für das Traditionsunternehmen
Faber-Castell war 2015 mit 631 Millionen Euro Umsatz das "Best year
ever" in allen Segmenten - Schreiben, Zeichnen und Gestalten. Für
Charles Graf von Faber-Castell, Vertreter der neunten Generation und
Leiter der Premiumsparte des Unternehmens, ist der Trend kein großes
Wunder: "Angesichts der zunehmenden Digitalisierung steigt der Bedarf
nach analogen Ausgleichstätigkeiten. Der weltweite Ausmaltrend für
Erwachsene hat uns in seiner Heftigkeit zwar überrascht, aber die
generelle Tendenz hin zum Kreativen, Nicht-Perfekten, Individuellen,
Hand-Geschriebenen war lange absehbar." Auf jede extreme Bewegung
folgt eine Gegenbewegung. Bleibt sie auch? Kerstin Carbow sagt: Ja.
"Die einen machen heute Yoga, die anderen meditieren und die dritten
schreiben oder malen. Das Schreiben wird in einem hektischen Leben
als weitere Möglichkeit genutzt werden,um zur Ruhe zu kommen." Mit
Sicherheit bleibt Schreiben zudem ein Weg, um bestimmte Fähigkeiten
zu erlernen und zu trainieren.
Schreiben macht schlau
Der Psychologieprofessor Daniel Oppenheimer von der UCLA Anderson
School of Management in Los Angeles wollte wissen, wie Informationen
mit modernen Techniken im Vergleich zu den konventionellen
aufgenommen werden. Er teilte dafür eine Gruppe von Studenten in zwei
Gruppen: Die einen mussten bei einer Vorlesung von Hand mitschreiben,
die anderen tippten das Gehörte in den Computer. Danach wurden die
Inhalte abgefragt. Die Mitschreiber schnitten deutlich besser ab -
auch in der zweiten Runde, als der Lehrstoff für alle sichtbar per
Beamer an die Wand geworfen wurde. Die Erklärung: Weil die
Mitschreiber nicht jedes Wort notieren konnten, hatten sie ingesamt
mehr Lehrstoff im Gehirn gespeichert,aber auch das Wichtige vom
Unwichtigen getrennt und in ihren Notizen resümiert. Man könnte also
sagen, dass das Schreiben zwar anstrengender ist, aber am Ende
effizienter und nachhaltiger.
Der kognitive Psychologe Robert Bjork von der University of
California nennt das "Desirable Difficulty", sinngemäß
"wünschenswerte Erschwernisse". Seine These, dass es eine bestimmte
Art von Anstrengung braucht, um etwas wirklich zu können und sich zu
verbessern, leuchtet sofort ein, wenn man einem kleinen Kind beim
Schreiben seiner ersten Buchstaben zusieht: Nach vielen kleinen und
größeren Momenten der Verzweiflung, der Frustration und der zehnten
Ankündigung, nie mehr schreiben zu wollen, ist der Gesichtsausdruck,
wenn der eigene Name endlich auf dem Papier steht, unvergesslich.
Autorin: Jurate Baronas
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