(ots) - Theresa May hat die Briten auf einen harten
Brexit eingeschworen. Das ist zumindest in einer Hinsicht ein Erfolg
für die EU, meint der Forscher und Politikberater Dr. Nicolai von
Ondarza vom Thinktank SWP: "Das ist das Resultat einer seltenen
Einigkeit der EU-27, die London signalisiert haben, dass der
Binnenmarkt nur denen offensteht, die die vier Freiheiten Europas
anerkennen." Die Drohung, Firmen vom Kontinent mit Niedrigsteuern zu
locken, sei unglaubwürdig.
Theresa Mays Vision eines "global britain" sieht verstärkten
Handel mit Australien, Indien und Neuseeland vor. Phantomschmerz
wegen des verlorenen Empires?
Dr. Nicolai von Ondarza: Theresa May hat damit vor allem an den
Nationalstolz der Briten appelliert. Die Premierministerin wollte
zeigen, dass der Brexit nicht nur ein Verlust ist - nämlich der
Verlust des Zugangs zu Binnenmarkt und Zollunion -, sondern auch ein
positives Ziel verfolgt, nämlich dem Anspruch, ein "global britain"
wiedererstehen zu lassen. Das halte ich allerdings für einen
Etikettenschwindel. Denn wenn der erste Schritt zu einem vermeintlich
global agierenden Vereinigten Königreich der Rückzug aus seinem
größten Exportmarkt ist, dann ist dies ein Rück- und kein
Fortschritt.
Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion: War das nur ein
diplomatischer Eröffnungszug im Brexit-Schach oder steht für Theresa
May die Begrenzung der Zuwanderung wirklich über allem?
Dr. von Ondarza: Aus meiner Sicht ist das mittlerweile tatsächlich
eines der zentralen Ziele der britischen Regierung. Die Einheit der
27 EU-Staaten in dem Punkt, dass Voraussetzung für den Zugang zum
Binnenmarkt der Vorrang des EU-Rechtes sowie das Akzeptieren der vier
Freiheiten sei - also der freie Verkehr von Personen, Waren,
Dienstleistungen und Kapital - hat den Briten schon vor Beginn der
Verhandlungen gezeigt, dass eine von ihnen bevorzugte, traditionelle
Lösung à la carte nicht möglich ist.
Läuft das von May angestrebte Freihandelsabkommen mit der EU nicht
doch auf eine à -la-carte-Lösung hinaus?
Dr. von Ondarza: Das hängt natürlich davon ab, wie weit dieses
Abkommen geht. Selbst bei den weitesten Freihandelsabkommen der EU,
etwa CETA mit Kanada, gibt es noch große Unterschiede zur
Binnenmarktmitgliedschaft, die den freien Zugang zum Dienstleistungs-
und Finanzmarkt einschließt sowie gemeinsame Standards bedeutet.
Stichwort CETA: Diese Verhandlungen dauerten sieben Jahre. Ist es
aberwitzig, den ungleich komplexeren Brexit in zwei Jahren abwickeln
zu wollen?
Dr. von Ondarza: Diese Zeitvorgabe halte ich für unrealistisch.
Die EU benötigt zwischen vier und zehn Jahren für die Aushandlung und
Ratifizierung großer Freihandelsabkommen. Dabei steht sie aber nicht
allein. Auch die USA brauchen im Schnitt vier Jahre. Im Falle
Großbritanniens wird das eher länger dauern, was den Druck auf London
erhöht, das es sich nicht leisten kann, den Zugang zum Binnenmarkt
komplett zu verlieren, in den knapp 50 Prozent der britischen Exporte
fließen.
Wie groß ist die innerparteiliche Komponente bei der
"hard-brexit"-Rhetorik. Will die gelernte Brexit-Skeptikerin in
erster Linie die Reihen hinter sich schließen?
Dr. von Ondarza: Es war zu beobachten, dass seit dem
Brexit-Referendum die Befürworter eines harten Schnitts innerhalb der
Konservativen die Meinungsführerschaft übernommen haben. May musste
damit rechnen, dass ein Rückzug vom Brexit den Zusammenbruch der
Tories bedeutet hätten. Deshalb wollte sie Klarheit schaffen und der
Begrenzung der Zuwanderung oberste Priorität geben.
May will das ausverhandelte Abkommen dem Parlament vorlegen.
Reicht das, wenn der Supreme Court am 24. Januar möglicherweise
parlamentarische Mitsprache einfordert?
Dr. von Ondarza: Nach allem, was wir von dem Richterspruch
erwarten, wird das nicht reichen. Denn in der Tat hat May lediglich
zugesagt, das Parlament am Ende des Prozesses abstimmen zu lassen -
also vor der Wahl zu stehen, dem von der Regierung ausgehandelten
Vertrag zuzustimmen oder einen ungeregelten Brexit mit
wirtschaftlichem und rechtlichem Chaos zu verantworten. Das ist nur
eine Scheinwahl. Vor dem Supreme Court wird nun gerade verhandelt, ob
das Parlament nicht bereits vom Beginn der Verhandlungen an
eingebunden werden muss.
Kehren irische Nationalisten zum Terror zurück, wenn wieder ein
Grenzregime zwischen Nordirland und Irland eingeführt wird?
Dr. von Ondarza: Entsprechende Signale gibt es zwar nicht, aber
tatsächlich würden strenge Grenzkontrollen eine Gefahr für den
Friedensprozess bedeuten. Nordirland befindet sich ohnehin in einer
prekären Situation. Die Regierung ist diese Woche
auseinandergebrochen. Bei den vorgezogenen Neuwahlen wird es vor
allem um die Brexit-Folgen gehen, denn Nordirland hat wie Schottland
mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Ein harter Brexit Ã
la May würde sogar bei einer Aufrechterhaltung der Zollfreiheit
zwischen Großbritannien und der EU an der inner-irischen Grenze die
Kontrolle nach Waren aus Drittstaaten obligatorisch machen. Die
Rückkehr von Kontrollen sogar innerhalb von Dörfern würde den
Friedensprozess untergraben, der auf der gemeinsamen
EU-Mitgliedschaft von Irland und Großbritannien aufbaute. Noch ruft
niemand nach Gewalt, doch es gibt starke Stimmen in der Sinn Féin,
die eine Vereinigung Irlands fordern.
Wie ernst muss man die Ambitionen Schottlands nehmen, ein neues
Unabhängigkeitsreferendum anzustrengen?
Dr. von Ondarza: Sehr ernst, weil sich die Pläne für die
Zusammenarbeit mit der EU zwischen London und Edinburgh fundamental
unterscheiden. Angesichts der mehrheitlichen Zustimmung der Schotten
zur EU drängt die Regierung von Nicola Sturgeon auf den Verbleib im
Binnenmarkt, der für die schottische Wirtschaft essentiell ist, die
Freizügigkeit und den Zugang zu den Erasmus-Programmen. All dem hat
Theresa May eine klare Absage erteilt. Sturgeon will nun den Schotten
die Wahl ermöglichen zwischen Mays Vision und einem unabhängigen
Schottland. Aber: Ein neues Unabhängigkeitsreferendum können die
Schotten nur mit Zustimmung des britischen Parlaments durchführen.
Hier wird es parallel zum Brexit schwierige innenpolitische
Verhandlungen geben. Das Supreme-Court-Urteil wird auch darüber
entscheiden, ob die regionalen Parlamente in Nordirland, Wales und
Schottland mitbestimmen dürfen. Sollte es so kommen, hätten die
Schotten eine starke Verhandlungsbasis.
Wird der Brexit der Regierung May wegen der in der Ãœbergangsphase
zu erwartenden Rezession der Mittel berauben, mit denen sie einen
compassionate conservatism, einen mitfühlenden Konservatismus,
etablieren will?
Dr. von Ondarza: Gerade in diesem Bereich gab es größere
Widersprüche in Mays Rede. Einerseits versprach sie, mehr für die
Bürger zu investieren, andererseits drohte sie der EU im Falle zu
großer Unnachgiebigkeit mit starken Steuersenkungen. Gerade das würde
den Spielraum der Regierung reduzieren, Sozialleistungen auszubauen.
Diese Widersprüche dürften während des Brexit-Verfahrens zu starken
innenpolitischen Auseinandersetzungen führen.
London hofft auf eine Wiederbelebung der special relationship mit
den USA. Wird das angesichts des Protektionisten Trump ein böses
Erwachen?
Dr. von Ondarza: Das ist noch abzuwarten. Zwar ist Trump
multilateralen Handelsabkommen wie TPP oder TTIP gegenüber skeptisch
eingestellt, präsentierte sich Großbritannien gegenüber allerdings
bisher sehr offen. Er ist selbst Brexit-Befürworter und will schnell
mit London über ein eigenes Freihandelsabkommen verhandeln. Doch auch
dabei wird "America first" gelten. Das kann für die Briten sehr
unangenehm werden, parallel mit den USA und der EU über Freihandel zu
verhandeln und sich jedes Mal in der schwächeren Position
wiederzufinden.
Das Referendum hatte die britische Gesellschaft gespalten.
Vertieft sich der Riss durch einen harten Brexit?
Dr. von Ondarza: Das ist zu erwarten. Vor dem Referendum hatten
noch viele Brexit-Befürworter betont, dass dieser nicht
gleichbedeutend mit einem Austritt aus dem Binnenmarkt sei. Das
Referendum ging mit 48 zu 52 Prozent knapp aus. Dennoch wählte
Theresa May nun eine der härtesten Varianten des Brexit aus. Wenn
abzusehen ist, wie viele Verlierer dieser Strategie es in
Großbritannien geben wird, dürfte diese in Frage gestellt werden. So
hat die Labour Party schon sehr kritisch auf die Drohung mit einer
Steueroase Großbritannien reagiert.
Ist die Drohung mit dem Steuerparadies Großbritannien so
realistisch, dass die EU davor zurückzucken sollte?
Dr. von Ondarza: Ich glaube nicht. Zwar braucht man in jeder
Verhandlung eine Drohkulisse. Und diese hat Theresa May aufgebaut mit
der Aussage, Kontinentaleuropa den Zugang zum Finanzplatz London zu
verwehren und Dumping-Unternehmenssteuern zu ermöglichen. Ich glaube
aber, dass Londons doppeltes Defizit - in Haushalt und Handel - die
Spielräume der Regierung in diesem Punkt doch sehr stark beschneidet.
Zudem wirkt die Drohung, Gespräche mit dem wichtigsten Handelspartner
abzubrechen, ohnehin nicht sehr glaubwürdig.
Die Mehrheit der Briten teilt eine Sehnsucht nach den Zeiten einer
selbstbestimmten Nation. Wie viel davon werden wir in den anstehenden
drei Wahlen auf dem Kontinent erleben?
Dr. von Ondarza: Dieses Phänomen wird die Diskussionen bei den
Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland durchaus
prägen. Ich glaube aber nicht, dass das Beispiel Großbritannien sehr
werbewirksam ist für Anhänger von Exit-Szenarien. Deshalb ist es so
wichtig, dass die 27 weiter geschlossen bei der Haltung bleiben, dass
man die Vorzüge der Gemeinschaft nicht genießen darf, wenn man nicht
auch die Pflichten übernimmt. Deshalb glaube ich nicht, dass
Großbritannien schnell Nachahmer findet. Ich befürchte allerdings,
dass die EU dieses Jahr in einer Art Schockstarre verbringen wird -
allein fokussiert auf die anstehenden Wahlen und so unfähig,
notwendige Reformen in Sachen Schengen und Euro anzugehen.
Das Interview führte
Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
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