PresseKat - ROG: Merkel muss in der Türkei öffentlich Stellung beziehen

ROG: Merkel muss in der Türkei öffentlich Stellung beziehen

ID: 1450982

(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert Bundeskanzlerin
Angela Merkel auf, bei ihrer Reise in die Türkei am Donnerstag
öffentlich Stellung zu beziehen und verfolgte Journalisten konkret
beim Namen zu nennen. Merkel wird bei ihrem Besuch in Ankara den
türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan treffen, der nach dem
Putschversuch im Juli den Ausnahmezustand ausgerufen hat. Sechs
Monate später liegt die Pressefreiheit in der Türkei am Boden und der
Medienpluralismus ist weitgehend zerstört. Knapp 150 Medien wurden
geschlossen und 775 Presseausweise annulliert. Die Behörden haben
mehr als 100 Journalisten ohne Prozess inhaftiert
(http://t1p.de/fuxf).

"Allgemeine Äußerungen über den dramatischen Verfall der
Pressefreiheit in der Türkei reichen nicht aus. Die öffentliche
Zurückhaltung der Bundesregierung sendet ein falsches Signal an die
mutigen Journalisten, die unter ständiger Angst im Land arbeiten -
obwohl die Visavergabe für verfolgte Journalisten zuletzt flexibler
gehandhabt wurde", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
"Bundeskanzlerin Merkel muss öffentlich die Freilassung der
inhaftierten Journalisten fordern."

Mehr als 80 Journalisten sitzen im Gefängnis, weil die Behörden
ihre Medien als Unterstützer des in den USA lebenden Predigers
Fethullah Gülen betrachten. Der bekannte Investigativjournalist Ahmet
Sik etwa wurde Ende Dezember festgenommen. Die Gülen-Vorwürfe gegen
ihn sind absurd, denn 2011 und 2012 verbrachte er ein Jahr im
Gefängnis, weil er den damaligen Einfluss der Bewegung des Predigers
innerhalb des Staatsapparats kritisiert hatte.

Sik hat gelegentlich für die oppositionelle Tageszeitung
Cumhuriyet geschrieben. Insgesamt sitzen 11 ihrer Mitarbeiter im
Gefängnis. Zehn wurden Ende Oktober verhaftet, darunter Chefredakteur
Murat Sabuncu, der Kolumnist Kadri Gürsel, der Karikaturist Musa Kart




und Bülent Utku aus dem Vorstand der Cumhuriyet-Stiftung. Die
Behörden werfen ihnen eine Gülen-freundliche redaktionelle Linie vor.

VERMÖGEN VON 54 JOURNALISTEN BESCHLAGNAHMT

Die Autorin Asli Erdogan saß bis Ende Dezember mehr als vier
Monaten im Gefängnis. Sie war Mitglied im Beirat der mittlerweile
geschlossenen prokurdischen Zeitung Özgür Gündem. Ihr wird unter
anderem Propaganda für eine terroristische Vereinigung vorgeworfen.
Ihr Prozess wird Mitte März fortgesetzt (http://t1p.de/0zlc). Asli
Erdogan ist chronisch krank und ist auf ärztliche Betreuung
angewiesen (http://t1p.de/1wrk). In einem Interview berichtet sie,
dass sie in Haft einige Male in einem Gefängnistransporter und in
Handschellen in ein Krankenhaus gebracht worden sei, dort jedoch nie
einen Arzt gesehen habe (http://t1p.de/m593).

Der Zaman-Kolumnist Sahin Alpay verbrachte seinen 73-jährigen
Geburtstag in Haft. Er berichtete kürzlich, in sechs Monaten im
Gefängnis sei er kein einziges Mal einem Staatsanwalt vorgeführt
worden. Die Tageszeitung Zaman wurde Ende Juli zusammen mit rund 100
weiteren Medien per Dekret geschlossen (http://t1p.de/mmiw).

Am 1. Dezember ordnete ein Gericht in Istanbul an, die Vermögen
von 54 ehemaligen Beschäftigten der Zeitung zu beschlagnahmen,
darunter Sahin Alpay, Mümtazer Türköne, Ali Bulac, Hilmi Yavuz, Ihsan
Duran Dagi und Hamit Bilici.

VERFOLGUNG BIS INS EXIL

Mitte Januar wurde der Menschenrechtsaktivist Sanar Yurdatapan und
der Verleger Ibrahim Aydın Bodur wegen angeblicher Terrorpropaganda
zu 15 Monaten Haft auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 6.000
Lira (1.500 Euro) verurteilt (http://t1p.de/dg01). Sie hatten sich an
einer Solidaritätsaktion für die Zeitung Özgür Gündem beteiligt, die
damals schon unter Druck der Behörden stand. Über 50 Journalisten und
Intellektuelle hatten sich an der Aktion beteiligt, in dem sie für
einen Tag symbolisch die Chefredaktion der Zeitung übernommen hatten.
36 von ihnen stehen vor Gericht. Darunter ist auch der langjährige
Türkei-Korrespondent von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu. Sein
Prozess geht am 21. März in Istanbul weiter.

Auch Journalisten und Medien im Exil sind nicht vor Verfolgung
sicher. Dutzende Journalisten sind ins Ausland geflohen, darunter
auch der ehemaliger Cumhuriyet Chefredakteur Can Dündar. Ihnen droht
aufgrund eines neuen Dekrets von Anfang Januar der Entzug der
Staatsbürgerschaft. Can Dündars Frau Dilek Dündar sitzt in der Türkei
fest, nachdem die Behörden ihren Reisepass im August ohne Erklärung
annulliert haben.

Can Dündar hat im Exil das deutsch-türkische Online-Medium Özgürüz
gegründet. Ein Tag bevor die Berichterstattung beginnen sollte, wurde
die Seite am 26. Januar in der Türkei gesperrt (http://t1p.de/5bxt).

Reporter ohne Grenzen zählt Erdogan zu den größten Feinden der
Pressefreiheit weltweit (http://t1p.de/kd9g). Das von Erdogan
angestrebte Präsidialsystem würde ihm deutlich mehr Macht verleihen.
Ende März oder Anfang April soll die Bevölkerung in einem Referendum
über die Einführung entscheiden. Im Januar hat es das Parlament
bereits gebilligt (http://t1p.de/m3vh).

Das Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen in Berlin steht
derzeit mit rund 20 verfolgten türkischen Journalisten in Kontakt.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit stand die Türkei bereits vor dem
Putschversuch auf Platz 151 von 180 Staaten. Weitere Infos über die
Lage der Journalisten vor Ort finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei.



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

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Datum: 01.02.2017 - 12:31 Uhr
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