(ots) - Vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in
Polen verurteilt Reporter ohne Grenzen (ROG) die demonstrative
Missachtung der Pressefreiheit durch führende Politiker in Warschau.
Die nationalkonservative Regierung hat das Fernsehen unter ihre
Kontrolle gebracht und beschränkt systematisch die Berichterstattung
aus dem Parlament. Vor wenigen Tagen bekräftigte PiS-Chef Jaroslaw
Kaczynski in einem Radio-Interview, private Medien müssten
"repolonisiert" und deutsche Verlagshäuser aus dem Land gedrängt
werden.
"Freie und vielfältige Medien sind unumstößlicher Bestandteil der
europäischen Wertordnung, die populistische Stimmungsmache gegen
deutsche Fernsehsender und Verlage in Polen spielt den Feinden der
Demokratie in die Hände", sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.
"Der Regierung in Warschau sollte klar sein, dass sie von
Fördergeldern der Europäischen Union nur profitieren kann, wenn sie
die Grundsätze der Gemeinschaft anerkennt, Pressefreiheit achtet und
eine kritische Debatte über die eigene Arbeit auch im Fernsehen
zulässt."
FERNSEHEN UND RADIO UNTER KONTROLLE DER MACHTHABER
Mehr als 220 Journalisten wurden seit dem Machtwechsel im
öffentlichen Rundfunk bereits entlassen, zur Kündigung gezwungen oder
auf weniger einflussreiche Posten versetzt. Das belegt die
Dokumentation der liberalen Journalistengewerkschaft Towarzystwo
Dziennikarskie (TD) (http://t1p.de/qaff). Im Oktober und November
traf dies besonders Trojka, das dritte Programm von Polskie Radio, wo
mehrere leitende Redakteure und Moderatoren versetzt oder nach
Protesten entlassen wurden. 120 Kollegen warfen Chefredakteurin
Barbara Stanislawczyk in einem offenen Brief "präventive Zensur" vor
und protestierten mit einer Social-Media-Kampagne
(http://t1p.de/w2as). Am 28. Oktober gab der langjährige
Trojka-Redakteur Michal Nogas bekannt, er verlasse den Sender und
wechsele zur liberalen Tageszeitung Gazeta Wyborcza
(http://t1p.de/42re). Im November ermunterte die inzwischen
staatliche Rundfunkgesellschaft TVP ihre Mitarbeiter offensiv, die
Sender gegen eine Abfindung freiwillig zu verlassen
(http://t1p.de/wfta). Angaben der Gewerkschaft TD zufolge reichten
daraufhin bis Mitte Dezember noch einmal mehr als 200 Journalisten
ihre Kündigung ein.
Durch den rigorosen Personalumbau hatte sich die Berichterstattung
des bis dahin öffentlichen Fernsehens schon kurze Zeit nach der
Amtsübernahme der PiS-Regierung merklich verändert. Die Sender
verloren daraufhin massiv an Zuschauern. In der
Hauptnachrichtensendung Wiadomosci macht TVP1 nicht nur Stimmung
gegen liberale Kritiker der Regierung, sondern zunehmend auch gegen
deutsche Medien, denen manipulative Berichterstattung vorgeworfen
wird. Als Anlass diente zuletzt ein fehlerhafter Bericht der ARD über
die Proteste im Sejm, in dem falsches Archivmaterial verwendet wurde
(http://t1p.de/139w). Regelmäßig brandmarkt Wiadomosci auch die
Beteiligungen deutscher Verlage auf dem polnischen Medienmarkt
(http://t1p.de/bhdc).
PRIVATE MEDIEN SOLLEN "REPOLONISIERT" WERDEN
Vor wenigen Tagen bekräftigte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski in einem
Interview mit Radio Opole, private Medien müssten "repolonisiert" und
vor allem von deutschen Verlagshäusern zurückgekauft werden
(http://t1p.de/kb5e). Bereits unmittelbar nach ihrem Amtsantritt
hatte die PiS-Regierung erklärt, den einheimischen Medienmarkt
"repolonisieren" zu wollen, da deutsche Verlage in Polen sehr aktiv
sind (http://t1p.de/w8o6). Die Bauer Media Group etwa besitzt in
Polen mehr als 30 Print-Titel sowie die Radiosender der RMF Group.
Die Verlagsgruppe Passau gibt über die Gruppe Polska Press 18
regionale Tageszeitungen und fast 100 lokale Wochenblätter heraus. Im
Oktober berichteten polnische Medien über Pläne der polnische
Staatsbank PKO BP, Polska Press zu kaufen (http://t1p.de/rlrp). Die
deutsch-schweizerische Ringier Axel Springer Media AG gibt unter
anderem das Boulevardblatt Fakt und die polnischen Ausgaben der
Magazine Newsweek und Forbes heraus und betreibt die
Online-Nachrichtenseite onet.pl. Der Chefredakteur von Newsweek,
Tomasz Lis, ein scharfer Kritiker von PiS-Chef Kaczynski, moderierte
bis Januar eine politische Diskussionssendung bei TVP2. Nach dem
Machtwechsel wurde sie aus dem Fernsehprogramm gestrichen und wird
seither unter anderem auf onet.pl ausgestrahlt.
Doch auch regierungskritische Zeitungen polnischer Eigentümer
stehen unter Druck, seit staatliche Firmen dort keine Anzeigen mehr
schalten. Die Werbeeinnahmen der liberalen Zeitung Gazeta Wyborcza
sanken dadurch im ersten Halbjahr der PiS-Regierung um 21,5 Prozent
(http://t1p.de/l9cy). Auch die moderat konservative Tageszeitung
Rzeczpospolita muss seit der Machtübernahme der PiS auf staatliche
Werbeeinnahmen verzichten, die bisher ein Fünftel ihres Budgets
ausmachten (http://t1p.de/oje2).
POLITISCHE BERICHTERSTATTUNG SYSTEMATISCH EINGESCHRÄNKT
Die Berichterstattung von Journalisten aus dem polnischen
Parlament hat die Regierung in den vergangenen Monaten systematisch
eingeschränkt: Sie dürfen bestimmte Zonen nicht mehr betreten, etwa
die Lobbys rund um den Plenarsaal, das Restaurant oder den Flur vor
dem Büro des Sejm-Vorsitzenden. Interviews geben in der Regel nur
noch Fraktions- oder Parteisprecher, nicht mehr die betroffenen
Politiker.
Daran hat auch das medienwirksam verkündete angebliche Einlenken
der PiS nach wochenlangen Protesten am 9. Januar kaum etwas geändert.
Pressekonferenzen sollen auch künftig nur noch in einem Nebengebäude
des Parlaments stattfinden, wo Journalisten über Platzprobleme
klagen. Bei der ersten Pressekonferenz am neuen Ort seien einige
Kamerateams nicht mit ihrer Ausrüstung in den Saal gekommen,
zahlreiche Reporter mussten auf dem Boden sitzen. Lange Wege
verhindern den direkten Kontakt zu Politikern, Tagesausweise für
Reporter werden nur noch eingeschränkt ausgestellt
(http://t1p.de/ekqz). Mitte Januar berichtete Newsweek Polska, die
Regierung plane nach den Protesten zum Jahreswechsel, einen zwei
Meter hohen Zaun um das Parlament zu errichten (http://t1p.de/qxy3).
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit ist Polen 2016 um
29 Plätze auf Rang 47 gefallen. Weitere Informationen zur Situation
von Medien und Journalisten in Polen finden Sie unter:
www.reporter-ohne-grenzen.de/polen.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29
Original-Content von: Reporter ohne Grenzen e.V., übermittelt durch news aktuell