(ots) - Donald Trumps Angriffe gegen die Medien und seine
Abschottungspolitik bedrohen nicht nur die Freiheit in den USA.
Gefährlich werden seine Äußerungen auch für Journalisten in Mexiko,
die aus Angst um ihr Leben oft auch in das nördliche Nachbarland
fliehen. Gefangen zwischen einem repressiven Staat, gewalttätigen
Drogenhändlern und einem korrupten Justizsystem, bleiben sie vor
allem in der ostmexikanischen Provinz Veracruz auf sich allein
gestellt. Staatliche Schutzprogramme für Journalisten funktionieren
kaum, oft arbeiten Behörden und organisierte Kriminalität zusammen.
Wenige Wochen nach dem Amtsantritt von Gouverneur Miguel Ángel Yunes
in Veracruz zeigt ein ausführlicher Länderbericht von Reporter ohne
Grenzen (ROG) das Ausmaß von Gewalt und Repression gegen Journalisten
(http://t1p.de/4xeq).
"Veracruz ist für Journalisten der gefährlichste Ort in der
westlichen Hemisphäre. In den vergangenen sechs Jahren wurden dort
mindestens 17 Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Wir fordern die mexikanische
Regierung und den neuen Gouverneur von Veracruz auf, Journalisten
umfassend und wirksam zu schützen. Bestehende Schutzprogramme müssen
personell und finanziell aufgestockt und die Verbindungen zwischen
den Behörden und dem organisierten Verbrechen offengelegt werden."
Der Bundesstaat Veracruz verfügt auf Grund seiner geografischen
Lage - zwischen der Hauptstadt Mexiko-Stadt und dem Golf von Mexiko -
über den wichtigsten Hafen des Landes und ist dadurch ein bedeutender
Umschlageplatz für das organisierte Verbrechen, insbesondere den
Drogenhandel. Das Drogenkartell Los Zetas, das ROG zu den größten
Feinden der Pressefreiheit weltweit zählt, kämpft mit dem Kartell
Jalisco Nueva Generación aggressiv um den Zugang zu Schmuggelrouten.
Dabei geraten Journalisten und Menschenrechtsaktivisten immer wieder
ins Kreuzfeuer.
GRÖSSTE BEDROHUNG IST DER STAAT
Gouverneur Javier Duarte bedrohte Journalisten jahrelang offen und
hinterlässt seinem Amtsnachfolger eine traumatisierte
Medienlandschaft. Er selbst trat im Oktober 2016 zwei Monate vor dem
offiziellen Ende seiner Amtszeit zurück, als Vorwürfe wegen
Geldwäsche und illegaler Bereicherung im Amt gegen ihn öffentlich
wurden. Sein Nachfolger Miguel Ángel Yunes von der
christdemokratisch-konservativen PAN-Partei, der das Amt am 1.
Dezember 2016 antrat, beendet die 88-jährige Herrschaft der
übermächtigen zentralistischen PRI-Partei. In seiner Antrittsrede
setzte er sich für die Presse- und Meinungsfreiheit ein und weckte
damit Hoffnungen bei Journalisten und Menschenrechtsaktivisten.
Allerdings sind die kriminellen Strukturen in Veracruz so verwurzelt,
dass ein Systemwandel nahezu unmöglich scheint.
Keiner der während der Amtszeit Duartes begangenen Morde an
Journalisten wurde bisher aufgeklärt. Die Verbindung zwischen
Kartellen und Lokalbehörden ist so eng, dass oft unklar ist, wer die
Verbrechen tatsächlich verübt. Fast die Hälfte der Drohungen und
Angriffe auf Journalisten gehen von Polizisten aus. Zudem kreierte
Duarte ein verzweigtes System der Überwachung mit Hilfe
semi-offizieller Spione ("orejas"), die oft selbst als Journalisten
auftraten.
Die omnipräsenten Drogenkartelle werden in Veracruz als
"bewaffneter Arm der Politiker" betrachtet. Sie bedrohen Journalisten
jedoch auch aus eigenem Antrieb, wenn diese zu intensiv über ihre
Geschäfte recherchieren.
JOURNALISTEN KALTBLÜTIG ERMORDET
Medienschaffende, die über das organisierte Verbrechen und seine
Verbindungen zur Politik berichten, werden häufig kaltblütig
ermordet. Zwischen Januar 2000 und September 2016 wurden in Veracruz
mindestens 19 Journalisten in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit
getötet, der weitaus größte Teil (17 Tote) während der Amtszeit
Duartes von 2010 bis 2016. ROG zählte 40 Prozent aller insgesamt in
Mexiko getöteten oder verschwundenen Journalisten in diesem Zeitraum
in Veracruz.
Am 8. Februar 2016 wurde die Journalistin Anabel Flores Salazar
von bewaffneten Männern in Polizeiuniform aus ihrer Wohnung entführt.
Am nächsten Morgen fanden Zivilisten ihre halbnackte Leiche in einem
Straßengraben. Flores Salazar hatte unter anderem für die lokale
Zeitung El Sol de Orizaba über das organisierte Verbrechen berichtet.
(http://t1p.de/1pmb, http://t1p.de/5bcz).
Internationale Aufmerksamkeit weckte die Ermordung des freien
Fotojournalisten Rubén Espinosa Becerril. Seine Leiche wurde am 31.
Juli 2015 zusammen mit den Leichen von vier Frauen - darunter die
Menschenrechtsaktivistin Nadie Vera - in einer Wohnung in Mexiko
Stadt gefunden. Espinosa Becerril, der unter anderem für die liberale
Zeitung Proceso arbeitete, war kurz zuvor gemeinsam mit Vera aus
Veracruz in die mexikanische Hauptstadt geflüchtet. Wegen seiner
Berichte über soziale Proteste und seines Einsatzes für Rede- und
Pressefreiheit war er immer wieder mit dem Tode bedroht worden.
(http://t1p.de/48ek).
Miguel Ángel López Velasco (Milo Vela), prominenter
Polizeireporter und Kolumnist für die kritische Zeitung Notiver sowie
Autor eines Buches über den Drogenhandel in Veracruz, wurde am 20.
Juni 2011 gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in seinem
Haus im Schlaf ermordet (http://t1p.de/0ars).
STAATLICHE SCHUTZPROGRAMME SIND INEFFIZIENT
Um den zunehmenden Angriffen und Drohungen gegen Medienschaffende
in Veracruz zu begegnen, wurde 2012 ein lokales Schutzprogramm für
Journalisten (CEAPP) ins Leben gerufen. Beobachter kritisieren die
Arbeit der Institution jedoch als mangelhaft und intransparent -
genau wie die der vier landesweiten Programme zum Schutz von
Journalisten und Menschenrechtsaktivsten. So seien die
Zuständigkeiten der verschiedenen Programme unklar, die mexikanische
Gesetzgebung widersprüchlich und die finanziellen Möglichkeiten
begrenzt. Die nationalen Programme sollen zudem oft von lokalen
Behörden umgesetzt werden, die häufig selbst in die Verbrechen
verwickelt sind, die sie bekämpfen sollen.
Fälle wie die Ermordung des Journalisten Pedro Tomaya Rosas am 20.
Juli 2016 in Veracruz offenbaren die Ineffizienz der
Schutzmechanismen. Der Reporter wurde vor den Augen seiner Frau und
seiner zwei Kinder in der Auffahrt seines Hauses von zwei Unbekannten
erschossen, während er sich unter dem offiziellen Schutz der
Regierung befand. Dieser bestand hauptsächlich darin, dass ein
Streifenwagen in unregelmäßigen Abständen vor dem Haus vorbeifuhr.
Zum Zeitpunkt des Mordes befand sich laut Aussagen der Familie ein
Polizeiauto in weniger als 10 Meter Entfernung zum Tatort. Dennoch
konnten die Täter unbehelligt entkommen. Statt die Verantwortlichen
zu verfolgen, verzögerten die Polizisten die Rettungsmaßnahmen
offenbar, indem sie dem Krankenwagen zweimal eine falsche Adresse
nannten (http://t1p.de/8ze5).
Viele Journalisten vertrauen den staatlichen Schutzprogrammen
daher kaum. Sie befürchten, die Personenschützer selbst könnten sie
überwachen oder ihren Aufenthaltsort an potenzielle Angreifer
weitergeben (http://t1p.de/h1e2). Da Journalisten zudem selbst für
ihren Schutz zahlen müssen, verzichten viele auf die staatlichen
Leibwächter (http://t1p.de/rhwo).
GEFÄHRLICHSTES LAND FÜR JOURNALISTEN IN LATEINAMERIKA
In Mexiko wurden in den vergangenen 16 Jahren mindestens 99
Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet. Damit war Mexiko bis auf das
Jahr 2013 stets das gefährlichste Land für Journalisten in
Lateinamerika. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
(IACHR) betont, dass zwischen 2010 und 2015 mindestens 150
Journalisten in der westlichen Hemisphäre ermordet wurden - ein
Drittel davon in Mexiko (http://t1p.de/c847).
Bei Protesten gegen erhöhte Gaspreise wurden im Januar 2017
mindestens 20 Journalisten zum Teil schwer verletzt
(http://t1p.de/wigm). Eine Anfang 2016 veröffentlichte Studie belegt,
dass die psychologischen Belastungen für Medienschaffende in Mexiko
vergleichbar mit denen in Kriegsgebieten sind (http://t1p.de/p43b).
Von dem hohen Niveau der Gewalt gegen Journalisten ist dabei nicht
nur Veracruz betroffen. So gibt es im Nachbarstaat Tamaulipas fast
keine Journalisten mehr und Presseberichte beziehen sich fast
ausschließlich auf offizielle Statements der Regierung. In den
Staaten Chihuahua, Guerrero, Michoacan und Oaxaca ist die Situation
der Pressefreiheit kaum besser.
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Mexiko auf
Platz 149 von 180 Ländern. Reporter ohne Grenzen zählt das auch in
Veracruz tätige Drogenkartell Los Zetas zu den größten Feinden der
Pressefreiheit weltweit (http://t1p.de/kd9g).Mehr zur Lage der
Pressefreiheit in Mexiko gibt es unter
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mexiko/.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer/ Anne Renzenbrink
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