(ots) - Donald Trump ist die EU als supranationale
Organisation suspekt. Politisch kein wirklicher Partner,
wirtschaftlich ein Konkurrent, den man niederringen müsse. Kein
Zweifel, der Atlantik wird breiter. David McAllister, Außenpolitiker
des Europaparlaments und Ex-Ministerpräsident, rät dazu, die
Beziehungen zu anderen Ländern auszubauen und die gemeinsame
Sicherheitspolitik zu vertiefen. Und generell gelte: "Wir müssen
geschlossen gegenüber Washington auftreten."
EU-Ratspräsident Tusk zählt Donald Trump zu den größten
Bedrohungen der EU. Erwarten Sie auch, dass der US-Präsident über
bilaterale Deals den Spaltpilz in die Union tragen will?
David McAllister: Enge und vertrauensvolle transatlantische
Beziehungen und die aktive Unterstützung der europäischen Integration
waren über Jahrzehnte eine tragende Säule der US-Außenpolitik. Das
galt unabhängig davon, wer im Weißen Haus saß und welche Partei im
Kongress die Mehrheit hatte. Es kann nicht ernsthaft im Interesse der
USA liegen, dass die EU zerfällt, worüber derzeit einige wenige in
Washington in unverantwortlicher Weise philosophieren. Im Umgang mit
den Amerikanern rate ich uns zu einer selbstbewussten Gelassenheit.
Wir sollten abwarten, wie jetzt konkrete Politik aussieht. Zumal es
ja nicht nur Präsident Trump mit seinen oftmals irritierenden Tweets
gibt. So haben Vizepräsident Mike Pence oder der neue
Verteidigungsminister James Mattis in diesen Tagen die Bedeutung der
NATO unterstrichen und erklärt, dass auch eine starke EU im Interesse
Amerikas liegt. Zudem: Bilaterale Handelsabkommen kann es mit den
EU-Mitgliedstaaten gar nicht geben. Wir verhandeln als EU
grundsätzlich im Block, weil wir gemeinsam stärker sind.
Erwartungen, dass neue Amt würde Trump zähmen, zerschlugen sich.
Sollte sich Europa besser auf eine Administration einstellen, die in
der EU eher den handelspolitischen Rivalen als den
sicherheitspolitischen Verbündeten sieht?
McAllister: Ohne die USA können wir Europäer unsere Sicherheit und
unseren Wohlstand nicht gewährleisten. Gleichzeitig sind die USA auch
auf uns angewiesen. So ist mit über 500 Millionen Menschen die EU der
wichtigste Markt der Welt. Protektionismus führt mittel- und
langfristig nur zu weniger Wachstum und mehr Arbeitslosigkeit.
Derzeit kann für die EU im Verhältnis zur neuen Administration nur
gelten: Wir müssen im Dialog bleiben - und das auf allen Ebenen.
Zwischen EU-Parlament und US-Kongress sind wir uns darüber einig,
dass unsere Freundschaft, die über 70 Jahre gewachsen ist, politische
Irritationen überstehen wird.
Kann Deutschland in Europa mit Unterstützung rechnen, wenn Trump
Strafzölle gegen deutsche Unternehmen aufruft oder gibt es sogar
klammheimliche Zustimmung von denen, die Deutschlands ökonomisches
Gewicht als erdrückend empfinden?
McAllister: Nein. Strafzölle, mit denen Herr Trump droht, sind
nach den Regeln der WTO nicht möglich. Zudem ist die Weltwirtschaft
mittlerweile so arbeitsteilig organisiert, dass die Errichtung von
Handelsbarrieren nicht mehr funktionieren kann. Europäische Firmen
machen Geschäfte in den USA, amerikanische Konzerne in Europa. Die
Entwicklung der Vergangenheit hat gezeigt, dass wir unsere hohen
europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzstandards global besser
gemeinsam durchsetzen können. Auch deshalb ist es so wichtig
gegenüber Washington geschlossen aufzutreten. Nur so können wir den
USA auf Augenhöhe begegnen.
Wie realistisch ist die Eroberung neuer Märkte in Asien für den
Fall, dass sich die USA gegenüber deutschen Waren abschotten?
McAllister: Mit den Chinesen zu verhandeln, ist nicht immer
einfach. Abkommen mit ihnen auszuarbeiten, erfordert viel Geduld.
Dennoch sind und bleiben wir an guten Handelsbeziehungen mit China
interessiert. Es gibt jedoch auch andere Länder, die bereit sind, mit
uns Europäern wirtschaftlich enger zu kooperieren, beispielsweise
Japan, Indien und die ASEAN-Staaten. Auch mit süd- und
mittelamerikanischen Staaten ist eine engere Kooperation denkbar.
Sollten sich die Amerikaner zurückziehen, wäre das eine Chance, unser
Gewicht auf anderen Märkten zu vergrößern. Wir Europäer haben durch
intelligente Freihandelsabkommen in einer globalisierten Welt die
Chance, unsere Normen zum globalen Standard zu machen.
Klar ist, dass Trump mehr Rüstungsanstrengungen einfordern wird.
Ist diese Konstellation auch eine Chance für Europa auf dem Weg zu
einer einheitlichen Sicherheits- und Außenpolitik?
McAllister: Ja, es ist ein Weckruf und zugleich eine Chance für
die EU, dass wir endlich konkrete Schritte in Richtung einer
gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehen. Nur die
Amerikaner geben mehr Geld für Sicherheit und Verteidigung aus als
wir Europäer. Aber angesichts von mehr als 170 verschiedenen
Waffensystemen in 28 EU-Ländern mit 28 Armeen geschieht das in der
Europäischen Union offenkundig nicht effektiv genug.
Großbritannien träumt von einer Freihandelszone mit der ehemaligen
Kolonie. Wird der Geleitschutz, den Trump für den Brexit zugesagt
hat, zum Störfeuer in ohnehin extrem komplizierten Verhandlungen?
McAllister: Solange das Vereinigte Königreich Mitglied der EU ist,
kann es keine eigenständigen Handelsabkommen verhandeln. Es kann
lediglich informelle Vorgespräche geben. Konkrete Verhandlungen mit
den Amerikanern könnte London also theoretisch frühestens ab Sommer
2019 beginnen. Zeitnah ein neues Abkommen zwischen den USA und
Großbritannien auszuhandeln, ist ein sehr ambitioniertes Vorhaben mit
einigen Risiken.
Das Aushandeln komplexer Freihandelsverträge dauerte sowohl bei
der EU als auch bei den USA nie weniger als vier Jahre. Ist die
Zeitvorgabe, den sehr viel komplexeren Brexit in zwei Jahren
abhandeln zu wollen, naiv?
McAllister: Es gilt zu unterscheiden zwischen dem Abkommen über
den EU-Austritt und dem über die Neuregelung der Beziehungen. Einen
EU-Austritt innerhalb von zwei Jahren zu vollziehen ist sehr
sportlich, aber machbar. Längere Austrittsverhandlungen wären den
Bürgern auf beiden Seiten des Kanals nicht zu erklären. Denn es würde
bedeuten, dass bei der nächsten Europawahl im Mai/Juni 2019 nochmals
EU-Abgeordnete aus England, Schottland, Wales und Nordirland gewählt
werden und ein britischer EU-Kommissar benannt wird. Unsere
zukünftigen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich in zwei Jahren
definieren zu wollen, halten alle Experten in Brüssel für
unrealistisch. In London merken allmählich selbst die hartnäckigsten
Brexit-Befürworter, dass das nicht zu schaffen ist. Wir werden uns
also nach dem Brexit auf Übergangsfristen verständigen müssen. Wie
unser künftiges Verhältnis konkret ausgestaltet sein wird, lässt sich
schwer vorhersehen. Es mehren sich in London die Stimmen, die ein
Modell "Ukraine plus" favorisieren, also gegenseitigen Marktzugang,
der aber nicht an die Ãœbernahme von EU-Recht oder die
EuGH-Rechtsprechung gebunden ist. Wie lange dieser gesamte Prozess
dauern wird, hängt vor allem von der britischen Kompromissfähigkeit
ab. London hat um die Scheidung gebeten, nicht wir.
Sie haben jüngst gesagt, mit einer französischen Präsidentin
Marine Le Pen wäre das Projekt Europa ernsthaft in Gefahr. Könnte die
EU einen Geert Wilders in einer Koalitionsregierung verkraften?
McAllister: Es ist die Aufgabe der pro-europäischen Parteien in
den Niederlanden, eine Mehrheit gegen Herrn Wilders zu bilden. Mir
ist keine nennenswerte Partei bekannt, die bereit wäre, als
Juniorpartner in eine Regierung Wilders einzutreten. In Frankreich
ist die Präsidentschaftswahl immer unberechenbarer geworden,
angesichts eines sehr weit links angesiedelten Kandidaten der
Sozialisten und der Turbulenzen um den Konservativen François Fillon.
Es wird darauf ankommen, dass den demokratischen und proeuropäischen
Kräften im zweiten Wahlgang der Schulterschluss gegen den aggressiven
Nationalismus von Frau Le Pen gelingt.
Droht die Fixierung der EU auf die Wahlen in ein verlorenes Jahr
bei den Problemen Flüchtlings- und Schuldenpolitik zu münden?
McAllister: Nein, und wir können uns Stillstand auch nicht
leisten. Dafür ist die Lage in Europa zu ernst. In den Bereichen
Sicherheit und Verteidigung, gemeinsamer Kampf gegen den Terrorismus
sowie Grenzschutz und Migrationspolitik, müssen wir zu besserer
europäischer Zusammenarbeit kommen. Das sollte auch die zentrale
Botschaft des nächsten Gipfels anlässlich des 60. Jahrestages der
Römischen Verträge Ende März sein.
Die Türkei kehrt gerade europäischen Standards in Sachen
Menschenrechte und Demokratie entschlossen den Rücken. Wäre es nicht
an der Zeit, die Beitrittsverhandlungen zu stoppen?
McAllister: Im Europäischen Parlament habe ich mit einer großen
Mehrheit der Abgeordneten für eine Aussetzung der
EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gestimmt. Das Parlament
sieht angesichts der negativen Entwicklung in der Türkei keinen Sinn
darin, die Beitrittsverhandlungen gegenwärtig fortzuführen. Das wird
im Rat anders gesehen, wo man die Verhandlungen weiter offen
gestalten will. Eine EU-Mitgliedschaft ist für Ankara nicht der
richtige Weg. Eine andere Form der Kooperation ist sinnvoller. Die
seit vielen Jahren nicht vom Fleck kommenden Beitrittsverhandlungen
haben doch auf beiden Seiten für Frust gesorgt. Die Türkei ist ein
wichtiger Partner in der NATO, beim Handel und bei der
Flüchtlingspolitik. Aber angesichts der innenpolitischen Entwicklung
der Türkei in Richtung Autokratie kann sie kein Mitglied der EU
werden.
Das Interview führte
Joachim Zießler
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
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