(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die
Bundesregierung auf, sich bei den im März anstehenden
EU-Verhandlungen über neue Exportregeln von Überwachungstechnologie
für eine schärfere Regulierung einzusetzen. Der Entwurf der
EU-Kommission für eine Neufassung der Dual Use-Verordnung darf trotz
massiven Drucks der Industrie nicht verwässert werden. Im Gegenteil:
Erstmals will die EU Unternehmen verpflichten, beim Verkauf der
eigenen Produkte sorgfältig zu prüfen, ob damit Menschenrechte
gefährdet werden könnten. ROG begrüßt dies ausdrücklich, verweist
aber weiterhin auf Defizite etwa durch vage Formulierungen und
mangelnde Transparenz. Dazu hat die Organisation am Freitag in einer
Stellungnahme beim Bundeswirtschaftsministerium Vorschläge
eingereicht, wie mit einer präziseren Ausgestaltung die
Pressefreiheit wirksam geschützt werden kann (http://t1p.de/ejm5).
"Mit europäischer Software werden in vielen Ländern der Welt
Journalisten illegal überwacht. Es ist richtig, dass die EU diesem
Handel einen Riegel vorschieben will und sich in der Exportkontrolle
zum Schutz der Menschenrechte bekennt", sagte ROG-Geschäftsführer
Christian Mihr. "Die Regelungen im Entwurf müssen allerdings weiter
präzisiert werden, um für Unternehmen umsetzbar zu sein - und keine
Schlupflöcher für schwarze Schafe zu bieten."
Mit einer sogenannten Catch All-Klausel müssen Unternehmen künftig
auch Exportlizenzen beantragen, selbst wenn die Produkte in den
offiziellen Kontrolllisten der Behörden nicht aufgeführt sind, die
Unternehmen aber um die Gefahr für Menschenrechte wissen. Erstmals
wären Hersteller damit stärker für ihre eigenen Produkte
verantwortlich und könnten strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie
gegen Sorgfaltspflichten verstoßen.
Im September 2016 hat die EU-Kommission einen Entwurf für die neue
Dual Use-Richtlinie vorgelegt (http://t1p.de/n0lg). Dual Use-Güter
können sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke eingesetzt
werden. Seit 2015 zählt auch Überwachungssoftware dazu. Wer zum
Beispiel aus Deutschland ein Programm zur Vorratsdatenspeicherung aus
der EU heraus exportieren will, benötigt dafür eine Genehmigung bei
der nationalen Kontrollbehörde. Im Zuge des Arabischen Frühlings war
bekannt geworden, dass Journalisten von autokratischen Regierungen
mit Technologien auch aus der EU überwacht worden waren
(http://t1p.de/q6se). Mit der Aufnahme solcher Produkte in die Dual
Use-Vorordnung wollte die EU den Handel europäischer Hersteller mit
diesen Ländern unterbinden - doch das Geschäft ging weiter.
MENSCHENRECHTE ALS PRÃœFKRITERIUM
Reporter ohne Grenzen ist regelmäßig mit Fällen konfrontiert, in
denen Journalisten überwacht wurden und sie oder ihre Informanten
dadurch in Gefahr geraten sind. Die Verschärfung der Dual
Use-Verordnung begrüßt ROG daher ausdrücklich. In Zukunft sollen
Menschenrechte ein explizites Prüfkriterium werden, sodass Behörden
fragwürdige Exportvorhaben besser stoppen können. Neben der stärkeren
Verpflichtung für Unternehmen durch die Catch All-Klausel hat die EU
außerdem die Möglichkeit, eine sogenannte autonome Liste einzuführen.
Bisher werden in der EU nur Güter kontrolliert, wenn sie in den
Kontrolllisten anderer internationaler Exportabkommen wie dem
Wassenaar-Abkommen auftauchen. Solche Abkommen haben lange Listen mit
Produkten, für die Unternehmen eine Exportlizenz benötigen. Was dort
nicht auftaucht, kann bisher weitgehend frei gehandelt werden. In
Zukunft will die EU eine eigene Liste führen, um auch Produkte zu
listen, die auf internationaler Ebene (noch) nicht aufgenommen worden
sind (http://t1p.de/lklx).
Die Stoßrichtung des Entwurfs zur neuen Verordnung ist richtig,
gleichwohl liegen im Detail noch entscheidende Hürden. Viele
Bestimmungen sind zu vage formuliert. Es muss stärker präzisiert
werden, wie Menschenrechtsgefahren in der Exportkontrolle konkret
geprüft werden können. Die aktuelle Version ist für Unternehmen und
Kontrollbehörden kaum umsetzbar, gleichzeitig bietet sie
Schlupflöcher für schwarze Schafe.
NACHHOLBEDARF BEI TRANSPARENZ DER EXPORTE
Reporter ohne Grenzen schlägt vor, sich bei der konkreten
Umsetzung der Exportkontrollen an neu entwickelten Verfahren der
menschenrechtlichen Folgenabschätzung (Human Rights Impact
Assessments) zu orientieren (http://t1p.de/igiq). Dies sind
Prüfmethoden, um zum Beispiel beim Bau von Fabriken etwa in
Bangladesch die Menschenrechte achten zu können. Außerdem regt ROG
an, auf europäischer Ebene eine Datenbank zu erstellen, in der
Menschenrechtsverletzungen dokumentiert werden. Hiermit entstünde
eine verlässliche Recherchegrundlage für Unternehmen, damit diese
besser einschätzen könnten, ob Exporte ihrer Produkte negative
Auswirkungen für die Menschenrechte haben könnten.
Nachholbedarf gibt es zudem bei der Transparenz der Exporte. Die
Pflichten für Kontrollbehörden, über Art und Umfang genehmigter
Exporte zu informieren, sind unzureichend. Bisher kommen nur
Einzelfälle ans Licht, wenn etwa europäische Firmen
Ãœberwachungstechnologie in den Nahen Osten liefern. Es braucht
regelmäßige, mindestens jährliche Statistiken, die Dual Use-Güter in
Untergruppen kategorisieren. Digitale Überwachungstechnik könnte eine
Untergruppe sein. Dazu braucht es dann detaillierte Informationen,
aus welchen Ländern wie viele Genehmigungen gestellt wurden, wie
viele abgelehnt und wie viele bewilligt wurden, in welche Länder wie
viele Exporte vollzogen worden sind und welches Handelsvolumen sich
damit ergibt. Dadurch ließe sich etwa erkennen, ob aus Deutschland
immer noch Überwachungstechnologie in Bürgerkriegsländer wie Syrien
geliefert wird.
Wie schwer es ist, zu Exporten von Ãœberwachungstechnologie zu
recherchieren, zeigt der Fall des Investigativjournalisten Boris
Kartheuser. Seit dem Jahr 2012 versucht er, Auskunft über staatliche
deutsche Unterstützung für Überwachungsexporte zu erhalten. Dazu
stellte er an mehrere Bundesministerien Anfragen nach dem
Informationsfreiheitsgesetz, die teils nur mit Verzögerungen von
einem halben Jahr und mehr beantwortet wurden und mit Verweis auf
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Firmen oder auf
angebliche Gefahren für die innere und äußere Sicherheit kaum
relevante Informationen enthielten. Reporter ohne Grenzen hat deshalb
Klagen Kartheusers gegen das Innen- und das Wirtschaftsministerium
unterstützt. Am Donnerstag bekam er vor dem Oberverwaltungsgericht
Berlin Recht, dass das Bundesinnenministerium Informationen darüber
liefern muss, in welchen Fällen Deutschland den Export von
Überwachungstechnologie unterstützt hat, und welche Politiker daran
beteiligt waren (http://t1p.de/vng0).
Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland
auf Platz 16 von 180 Staaten. Weitere Informationen über die Lage von
Journalisten vor Ort finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland.
WEITERFÃœHRENDE INFORMATIONEN:
- Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Exportkontrollen: www.re
porter-ohne-grenzen.de/themen/internetfreiheit/exportkontrolle/
- Stellungnahme von Reporter ohne Grenzen zum Entwurf der Dual
Use-Verordnung: http://t1p.de/ejm5 (PDF)
- Entwurf der EU-Kommission: http://t1p.de/n0lg (PDF)
- Mehr zur Lage der Pressefreiheit in Deutschland:
www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland
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