(ots) - Fratzscher kritisiert SPD-Kanzlerkandidaten: Wir
brauchen keine Debatte um die Agenda 2010
DIW-Chef fordert stattdessen: Chancenungleichheit bekämpfen
Osnabrück. DIW-Chef Marcel Fratzscher hält die Pläne des
SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz zur Reform der Agenda 2010 für
verfehlt. In einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung"
(Dienstag) sagte der Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW Berlin): "Wir brauchen keine Debatte um die
Agenda 2010." Wenn man jetzt die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld ein
bisschen verlängere, werde das nur relativ wenige Menschen betreffen.
Und es werde den Staat auch nicht wahnsinnig viel Geld kosten, denn
die heutige Situation sei anders als vor den Reformen, als es eine
extrem hohe Arbeitslosigkeit gegeben habe. "Da jetzt eine riesige
Debatte zu führen, ist verfehlt", sagte Fratzscher.
Die Politik brauche stattdessen ein Konzept, wie man für mehr
Menschen bessere Jobs schaffen könne. Er kritisierte: "Der Anteil der
Schüler ohne Abschluss wächst, wir haben eine Million
Langzeitarbeitslose, und vier Millionen Menschen liegen beim
Verdienst nur auf Mindestlohnniveau oder knapp darüber." Der beste
Weg aus dieser Situation führe aber nicht über mehr oder weniger
Regulierung, sondern vor allem über mehr Qualifizierung, betonte der
DIW-Chef. Er beklagte, Deutschland habe eine ungewöhnlich niedrige
soziale Mobilität. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern gelinge
hierzulande nur relativ wenigen Menschen aus bildungsfernen Bereichen
ein sozialer Aufstieg. Fratzscher wandte sich zudem gegen
Umverteilungsforderungen. "Wir brauchen keine Steuererhöhungen - aber
auch keine Steuersenkungen. Was wir brauchen, ist mehr
Steuergerechtigkeit, also mehr Markt und mehr Wettbewerb." Das
Problem in Deutschland sei nicht, dass die oberen Zehntausend viel
haben, sondern dass die unteren 40 Prozent sehr wenig haben. "Für
mich liegt das Problem der Ungleichheit in Deutschland vor allem in
der Chancenungleichheit. Im Vordergrund sollte deshalb kein
Verteilungskampf stehen, sondern die Förderung jedes Einzelnen, damit
er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen kann."
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DIW-Chef Fratzscher dämpft Hoffnungen auf Zinswende
"Viel wichtiger ist, dass Europa aus der Krise kommt"
Osnabrück. DIW-Chef Marcel Fratzscher hat Hoffnungen auf eine
baldige Zinswende gedämpft. Der Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sagte in einem Interview mit der
"Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag): "Wir dürfen nicht nur die
kurzfristige Perspektive haben und sagen: Es geht darum, die Zinsen
für die Sparer zu maximieren. Viel wichtiger ist, dass Europa aus der
Krise kommt und damit auch deutsche Jobs gesichert werden."
Fratzscher räumte ein, die Geldpolitik der Europäischen
Zentralbank (EZB) habe Nebenwirkungen für Sparer und Geldinstitute.
Zudem bestehe die Gefahr, dass sich im Immobilienbereich Blasen
bilden. Doch habe die EZB einen klaren Auftrag. "Und der heißt nicht:
Schützt die Banken oder Finanzmärkte, sondern: Sichert die
Preisstabilität. Das Ziel Preisstabilität verfehlt die EZB allerdings
immer noch, weil die Eurozone nach wie vor in einer wirtschaftlich
schwachen Position ist."
Der DIW-Chef betonte: "Wir sollten Europa nicht schlechtreden, wie
das mancher auch in Deutschland tut. Vieles ist schon erreicht,
denken wir nur an die Bankenunion. Zudem stehen die Zeichen in der
Eurozone auf Aufschwung. Das Wachstum verbessert sich auch in Ländern
wie Italien. Wir brauchen aber noch ein bisschen Geduld."
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