PresseKat - Schottische Farce/ taz-Kommentar von Dominic Johnson zum angestrebten Referendum

Schottische Farce/
taz-Kommentar von Dominic Johnson zum angestrebten Referendum

ID: 1466895

(ots) - Nicola Sturgeon ist keine Anfängerin. Die
schottische Premierministerin weiß natürlich ganz genau, dass es
Unsinn ist, ein Referendum über den Austritt Schottlands aus
Großbritannien mitten in die laufenden Austrittsverhandlungen
Großbritanniens aus der EU zu platzieren. Das schottische Wahlvolk
müsste seine Entscheidung völlig blind treffen - ohne zu wissen, wie
der Brexit aussieht, von dem man sich mittels Abspaltung abwenden
möchte.

Es wäre für Sturgeon nicht möglich, unter diesen Umständen
überzeugende Aussagen über die Beziehungen eines unabhängigen
Schottlands zur EU oder zu Rest-Großbritannien zu treffen. Und ohne
überzeugende Aussagen ist nicht ersichtlich, wie sie die
55:45-Mehrheit gegen die Unabhängigkeit aus dem letzten Referendum
2014 drehen will. Wenn aber das zweite Referendum das erste
bestätigt, ist der schottische Nationalismus tot - siehe das Vorbild
Québec in Kanada.

Die einzige Erklärung, die Sinn macht, ist die, dass es zu diesem
Referendum nicht kommen wird. Schottlands Premierministerin plant die
Volksabstimmung bewusst für einen unmöglichen Termin, damit das
britische Parlament - das laut geltendem Recht als einziges befugt
ist, über einen Antrag des schottischen Parlaments auf Abhaltung
eines Unabhängigkeitsreferendums zu befinden - es ablehnt, sie
überhaupt anzusetzen. Dann kann Sturgeon den Schotten sagen: Die böse
Theresa May blockiert unsere Selbstbestimmung. Eine verlorene
Kraftprobe über die Frage eines neuen Referendums hält den
schottischen Nationalismus am Leben - ein verlorenes zweites
Referendum versetzt ihm den Todesstoß.

Das ist ein legitimes, aber auch zynisches politisches Spiel. Es
setzt genau jenes Ergebnis der Brexit-Verhandlungen voraus, gegen das
Sturgeon sich angeblich wendet. Schottland setzt von vornherein




darauf, von London missachtet zu werden, um sich dann hinterher über
Missachtung beschweren zu können.



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