PresseKat - ROG: Gesetzentwurf gegen Hasskommentare bedroht Presse- und Meinungsfreiheit

ROG: Gesetzentwurf gegen Hasskommentare bedroht Presse- und Meinungsfreiheit

ID: 1468002

(ots) - Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert den von
Bundesjustizminister Heiko Maas vorgestellten Gesetzentwurf gegen
Hassbotschaften in sozialen Netzwerken als Gefahr für die Presse- und
Meinungsfreiheit. Betreiber sozialer Netzwerke sollen laut
Gesetzentwurf verpflichtet werden, "offensichtlich strafbare" Inhalte
innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu löschen oder
zu sperren (http://t1p.de/uwoi). Halten sie sich nicht daran, könnten
Bußgelder in Millionenhöhe auf sie zukommen.

"Mit diesem Gesetzesentwurf wirft der Bundesjustizminister einen
zentralen Wert unseres Rechtsstaats über Bord: dass die Presse- und
Meinungsfreiheit nur beschnitten werden darf, wenn unabhängige
Gerichte zum Entschluss kommen, dass eine Äußerung nicht mit den
allgemeinen Gesetzen vereinbar ist", sagte ROG-Vorstandsmitglied
Matthias Spielkamp. "Facebook und andere soziale Netzwerke dürfen
nicht zum Hüter über die Meinungsfreiheit werden. Dass ausgerechnet
der Justizminister diese private Rechtsdurchsetzung in Gesetzesform
gießen will, ist beschämend."

Um gegen Hetze im Netz vorzugehen, braucht es globale Lösungen und
keine nationalen Gesetze, die letztlich nichts anderes sind als
Symbolpolitik und die Meinungsfreiheit beschränken.

Die Betreiber sozialer Netzwerke sollen laut Gesetzentwurf
verpflichtet werden, alle drei Monate über den Umgang mit Beschwerden
über strafrechtlich relevante Inhalte zu berichten. Wer dafür
verantwortlich ist, dass strafbare Inhalte spät, gar nicht oder nicht
vollständig gelöscht werden, könnte mit einem Bußgeld von bis zu 5
Millionen Euro bestraft werden. Für das Unternehmen selbst soll die
Strafe bis zu 50 Millionen Euro betragen können (http://t1p.de/tg7l).

"FAKE NEWS" ALS RECHTFERTIGUNG

Der Katalog an zu löschenden Inhalten, darunter Beleidigung, üble




Nachrede, Verleumdung oder Volksverhetzung, wirkt willkürlich
zusammengestellt, und die Definitionen im Strafgesetzbuch sind sehr
vage. Autokraten und Diktatoren aller Welt könnten sich die
Auflistung zum Vorbild nehmen, um mit ähnlichen Vorgaben gegen
Journalisten und Oppositionelle vorzugehen.

Das Justizministerium nennt den Begriff "Fake News" mehrfach in
der Gesetzesbegründung. Es ist sehr problematisch, dass sich das
Ministerium den Begriff unreflektiert zu eigen macht. US-Präsident
Donald Trump hat mit dem Begriff renommierte Medien wahllos
diskreditiert. Vergangene Woche hat Syriens Präsident Baschar
al-Assad einen Folterbericht von Amnesty International als "Fake
News" abgetan (http://t1p.de/ezum). Wie in der öffentlichen Debatte
auch vermischt das Justizministerium Hate Speech und "Fake News" -
und verkennt damit, dass beide Phänomene gänzlich unterschiedlich
behandelt werden sollten.

Maas verweist zur Begründung für die Gesetzesinitiative auch auf
den US-Wahlkampf. Mehrere Studien haben jedoch gezeigt, dass der
Einfluss von Fake News auf den Ausgang der US-Wahl deutlich
überschätzt wurde. So fanden Forscher der Universität Stanford
heraus, dass ein Artikel eine Wirkung wie 36 Wahlwerbespots gehabt
haben müsste, um die Wahl zu beeinflussen (http://t1p.de/gkiq).
Umfragen deuten darauf hin dass die US-Bürger für sich selbst "Fake
News" gar nicht als Problem wahrnehmen und durchaus erkennen, wenn
offensichtlich falsche oder propagandistische Nachrichten in ihrem
Newsfeed auftauchen (http://t1p.de/f9h7). Dennoch glauben sie, dass
"Fake News" dauerhaft die Demokratie gefährden könnten - wohl vor
allem, weil in den Medien ständig darüber debattiert wird und
Politiker ihn nutzen, um missliebige Meinungen zu kontern.

VORTEILE SOZIALER NETZWERKE

Fraglos gibt es Hass im Netz. Doch soziale Netzwerke haben trotz
aller Kritik einen positiven Effekt für die Presse- und
Meinungsfreiheit gebracht und können bisweilen demokratisierend
wirken. Gerade Journalisten haben neue Distributionswege gefunden,
die ihnen - auch in Ländern mit zensiertem Internet - ermöglichen,
direkt mit ihren Lesern in Kontakt zu treten und dabei möglicherweise
staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit zu umgehen. Der
Gesetzentwurf hat das Potenzial, diese positiven Effekte nachhaltig
zu schwächen.

Hinzu kommt, dass Justizminister Maas offenbar kein Interesse an
einer wirksamen Strafverfolgung hat. Beiträge, die gegen Gesetze
verstoßen, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich gelöscht
werden. Wer aber gegen Gesetze verstößt, muss dafür zur Rechenschaft
gezogen werden. Es fehlt daher die Forderung, dass Netzwerke Fälle
zur weiteren Verfolgung an die Justiz weiterleiten. Zugleich müssen
die Löschpraktiken regelmäßig in ordentlichen Gerichtsverfahren
überprüft werden.

Die sozialen Netzwerke müssen in den Prozess eingebunden werden.
Doch statt nur den sozialen Netzwerken die Verantwortung zu
übertragen, sollte Maas zuallererst vor der eigenen Türe kehren. Das
Problem der Rechtsdurchsetzung besteht nicht nur, aber auch, weil die
deutsche Justiz lange benötigt, um Streitfälle zu bearbeiten.
Wünschenswert wären spezielle Stellen mit ausgebildeten Juristen, die
die Löschpraktiken der sozialen Netzwerke begleiten und für eine
rechtskonforme Auslegung der Mechanismen sorgen.

KEINE ÖFFENTLICHE DEBATTE

Die Anordnung von drakonischen Bußgeldern und Löschfristen wird
dazu führen, dass soziale Netzwerke im Zweifel gegen die freie
Meinungsäußerung handeln werden, um Bußgeldern zu entgehen.
Angesichts des eng gesetzten Zeitrahmens des Gesetzes wird den
sozialen Netzwerken kaum Zeit bleiben, Mechanismen wirksam zu testen
und Testergebnisse einer öffentlichen Debatte auszusetzen.

Wichtig wäre zudem die Verpflichtung, dass soziale Netzwerke die
Löschkriterien detailliert offenlegen. Dies gilt für Löschung
aufgrund von Hate Speech, vor allem aber im Bereich der "Fake News".
Bei "Propaganda" wird es regelmäßig noch schwieriger sein für die
sozialen Netzwerke, den Wahrheitsgehalt von Inhalten zu bestimmen.
Die Gesellschaft muss bis ins letzte Detail wissen, wie über die
Meinungsfreiheit geurteilt wird.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz
16 von 180 Staaten. Weiter Informationen über die Lage der
Journalisten hierzulande finden Sie unter
www.reporter-ohne-grenzen.de/deutschland.



Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer / Anne Renzenbrink
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de/presse
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29

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Datum: 15.03.2017 - 16:24 Uhr
Sprache: Deutsch
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