PresseKat - Börsen-Zeitung: Wenig Gespür, Kommentar zu Linde von Joachim Herr

Börsen-Zeitung: Wenig Gespür,
Kommentar zu Linde von Joachim Herr

ID: 1479345

(ots) - Der Vorstand von Linde zeigt Härte - aber wenig
Gespür. Konzernchef Aldo Belloni lehnt es ab, die Aktionäre über eine
Fusion mit Praxair abstimmen zu lassen. Und legt sich mit der
Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) an. So ist
eine angespannte oder gar gereizte Stimmung auf der Hauptversammlung
am 10. Mai vorauszusehen.

Es ist die zweite Front, an der Belloni und der
Aufsichtsratsvorsitzende Wolfgang Reitzle einen Zusammenschluss zum
Branchenprimus durchsetzen wollen. Reitzle scheut nicht einmal vor
der Brechstange zurück, die ihm das doppelte Stimmrecht gibt. Damit
könnte er die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat überstimmen, die fest
entschlossen ist, gegen eine Fusion mit Praxair zu votieren.

Die DSW ist nicht prinzipiell gegen einen Zusammenschluss - auch
wenn das Management von Linde die Vorteile einer Fusion bisher nicht
überzeugend vermittelt hat. Es geht um Aktionärsdemokratie mit der
Hauptversammlung als ihrem wichtigsten Forum. Aus juristischer Sicht
lässt sich wie so oft streiten, wer die besseren Argumente hat. Eine
zentrale Rolle spielen zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
(BGH): das sogenannte Holzmüller-Urteil von 1982 und das
Gelatine-Urteil von 2004. Ist nach diesen Rechtsprechungen die
Zustimmung der Hauptversammlung von Linde notwendig, weil es mit der
Fusion um eine Veränderung der Unternehmensstruktur geht? Für die DSW
ist die Sache mit Blick auf eine gemeinsame Holding von Linde und
Praxair klar.

Der Vorstand von Linde argumentiert dagegen, die zwei Fälle, über
die der BGH entschieden hat, seien nicht mit dem Vorhaben eines
Zusammenschlusses mit Praxair zu vergleichen. Zudem sieht das
Management die Entscheidungsmacht der Aktionäre gewahrt. Keiner werde
gezwungen, seine Linde-Aktien in die einer Holding mit Praxair zu




tauschen. Doch wer will die Anteilscheine der alten Linde AG
behalten? Deren Perspektive ist völlig unklar.

Jenseits aller juristischen Scharmützel zeugt das Beharren des
Linde-Vorstands und Reitzles von Scheuklappendenken, das ganz auf das
Zustandekommen eines deutsch-amerikanischen Zusammenschlusses
gerichtet ist. Vielleicht befürchtet das Management Anfechtungsklagen
gegen eine Entscheidung der Hauptversammlung - egal wie sie ausfällt.
Die Fusion gegen alle Widerstände durchzuboxen, würde ein fatales
Zeichen setzen. Schlechter könnte der Start nicht sein: mit
enttäuschten Aktionären und wenig motivierten Mitarbeitern.



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Datum: 11.04.2017 - 20:35 Uhr
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