(ots) - Erdogans Sieg ist knapp, ohne Glanz. Und
schmutzig. Daran kann man nicht ernsthaft zweifeln. Zu viele
Ungereimtheiten an den Wahlurnen, etwa die Sache mit den
ungestempelten Umschlägen, die plötzlich gültig waren, oder die
offenen und versteckten Drohungen, die Anhänger der Opposition
erleben mussten. Die OSZE stellte gestern nüchtern klar, dass die
Opposition keine gleichen Bedingungen im Wahlkampf hatte. Mit anderen
Worten: Es gab keine faire Wahl.
Wer hatte auch etwas anderes erwartet? Erdogan brauchte diesen
Sieg zu sehr, als dass er zugelassen hätte zu verlieren. Seine
Eskalations-Taktik, die Polarisierung und die nationalistischen "Wir
gegen den Rest der Welt"-Sprüche zeigten, dass er sich nicht sicher
war, ja vielleicht Angst vor der Niederlage hatte.
Recep Tayyip Erdogan ist ein lupenreiner Autokrat. Er nutzte erst
den Putschversuch, um sich missliebiger Kritiker unter dem
Terror-Vorwand zu entledigen. Im Wahlkampf für das Referendum überzog
er aus dem Amt heraus mit staatlichen Mitteln das Land mit seiner
Kampagne und ließ Gegner einschüchtern, wie unzählige Betroffene
schilderten. Mit der Verfassungsänderung ersetzt er nun die säkulare,
nach Westen orientierte Republik Atatürks durch die Alleinherrschaft
eines islamischen Konservativen. Er schafft die Gewaltenteilung de
facto ab. Der Präsident bestimmt künftig die Mehrzahl der
Verfassungsrichter, er kann jederzeit das Parlament auflösen und den
Ausnahmezustand verlängern. Das türkische Präsidialsystem gleicht der
"gelenkten Demokratie" Putinschen Zuschnitts. Mit dem Präsidialsystem
der USA ist es nicht vergleichbar.
Wer nun immer noch der Meinung ist, die EU solle "ergebnisoffen"
mit der Türkei über den Beitritt verhandeln, sollte sich die Präambel
der europäischen Verträge noch einmal durchlesen. Nein, die EU würde
ihre Prinzipien verraten. Die Türken können ihr Staatssystem umbauen,
wie sie wollen, und wählen, wen sie wollen. Das ist ihr gutes Recht.
Aber es ist eben auch das gute Recht der EU, nur Mitgliedsländer zu
akzeptieren, deren Repräsentanten grundlegende Werte teilen. Ein
Staatschef, der Meinungs- und Pressefreiheit als skurrile Eigenarten
verweichlichter Demokratien abtut, gehört nicht dazu. Bitter für jene
Türken, die trotz der Bedrohungslage mit "Nein" gestimmt haben und
sich eine pro-europäische Zukunft wünschten. Die Anti-Erdogan-Türkei
ist stark, sie lebt. Das ist die gute Nachricht.
Die besonders schlechte Nachricht für uns ist, dass die in
Deutschland lebenden Türken, die abgestimmt haben, mehrheitlich
Erdogan gefolgt sind. In Dortmund, Hamburg und Düsseldorf obsiegten
die Anhänger einer Verfassungsänderung, während sie übrigens in
Istanbul unterlagen. Was läuft falsch, wenn Deutschtürken einen
autoritären Umbau ihres Heimatlandes begrüßen, einem Mann huldigen,
der kritische Journalisten und Oppositionelle einsperren lässt,
während sie hier zugleich alle Vorzüge einer freiheitlichen,
pluralistischen Demokratie genießen?
Diese Deutschtürken sind offensichtlich nicht angekommen, nicht
integriert. Mehr noch: Ihr Votum offenbart, dass sie es sich in ihrer
Parallelgesellschaft gemütlich gemacht haben. Wenn das kein
Konjunkturprogramm für Rechtspopulisten und Fremdenfeinde ist.
Der Allparteien-Integrationskonsens der vergangenen Jahrzehnte -
viel fördern, wenig fordern - ist jedenfalls an einem beträchtlichen
Teil der hier lebenden Türken abgeprallt. Die Probleme sind
unterschiedlicher Natur und Intensität, aber sie sind da:
Ditib-Spione, Missachtung staatlicher Autorität, Scharia-Fans und
Frauenverächter. Das Mehrheitsvotum für den Sultan vom Bosporus rückt
diese Beispiele verfehlter Integrationspolitik in den Vordergrund und
verstellt den Blick auf Hunderttausende engagierte und integrierte
Doppelstaatler. Deutschland muss seine Integrationspolitik neu
justieren. Am besten helfen dabei übrigens die Türken, die mit den
gerade genannten Themen nichts zu tun haben wollen.
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