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Havarierte Tanker, marode Pipelines und Explosionen auf Bohrinseln
- wenn tausende Tonnen Rohöl ins Meer gelangen, sind die Folgen für
die Umwelt katastrophal: Ölteppiche verschmutzen Küsten, Meerestiere
und Vögel verenden darin, Menschen werden in ihrer Existenz
beeinträchtigt. Doch es gibt eine Erfindung, die helfen könnte,
solche Ölverschmutzungen wirksamer zu bekämpfen. Sie kommt aus der
Gemeinde Elsteraue in Sachsen-Anhalt. Dort entwickelte Günter
Hufschmid mit seiner Firma Deurex 2010 eine "Zauberwatte", die Öl
rückstandslos aufnimmt, und zwar effizienter, sauberer und leichter
in der Handhabung als bisherige Bindemittel. Mit diesen Eigenschaften
birgt sie auch das Potenzial für einen großflächigen Einsatz auf den
Meeren. Beim Hochwasser der Elbe 2013 sowie in Süddeutschland hat sie
ihre Tauglichkeit bereits eindrücklich bewiesen.
Für diese Leistung wurde Günter Hufschmid als einer von drei
Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2017 in der Kategorie
"Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU)" nominiert. Am 15.
Juni wird die Auszeichnung im Rahmen eines Festakts in Venedig zum
zwölften Mal verliehen.
"Hufschmids bahnbrechende Innovation hat das Potenzial neu zu
definieren, wie Öl- und Chemikalienverschmutzungen bewältigt werden",
so EPA-Präsident Benoît Battistelli. "Mit ihrer Fähigkeit, schädliche
Substanzen zu entfernen, nutzt die Erfindung der Umwelt und
denjenigen, deren Existenz von dieser abhängt."
Vom Missgeschick zur bahnbrechenden Erfindung
Die Erfindung war eine glückliche Fügung - oder vielmehr ein
Missgeschick: Denn eigentlich produziert die Firma Wachse für Farben
und Lacke. Im Jahr 2010 stellte jedoch ein Mitarbeiter eine Maschine
falsch ein, und es entstanden über Nacht zehn Tonnen weiße
Wachswolle, mit der zunächst niemand etwas anzufangen wusste. Erst
vier Wochen später brachte der Zufall das Potenzial des scheinbar
unbrauchbaren Abfalls zum Vorschein. In dieser Zeit gingen die Bilder
vom Untergang der Bohrplattform Deepwater Horizon durch die Medien:
774 Millionen Liter Öl strömten in den Golf von Mexiko - weltweit die
viertgrößte Ölkatastrophe überhaupt, und die größte im Meer. Beim
Fernsehen mit den Kindern kam Firmenchef Günter Hufschmid so auf die
Idee, den Chemiker Ernst Krendlinger untersuchen zu lassen, ob die
weiße Wachswolle Öl aufsaugt. Schließlich hat sie in ihrer Form
Ähnlichkeit mit einem Schwamm. Eine gute Idee, wie sich zeigte: Diese
Watte nimmt Öl restlos und schneller als bisherige Bindemittel aus
dem Wasser auf. Was übrig bleibt, ist sauberes Wasser. Das war der
Startschuss für ein bahnbrechendes Produkt mit dem Namen Deurex Pure
- und für die Patentanmeldung, mit der Günter Hufschmid die Erfindung
schützen ließ.
Weiße Watte trumpft gegenüber herkömmlichem Granulat auf
Durch die Faserstruktur hat das Wachs eine enorme Oberfläche, so
dass die Watte rund das Siebenfache ihres Eigengewichts an Öl, aber
auch an anderen Chemikalien, wie Alkohole und Tenside, absorbieren
kann. Das nächstbeste Bindemittel ist im Vergleich dazu in der Lage,
etwa das Vierfache seines Eigengewichts aufzunehmen. Zur Entfernung
von Verschmutzungen ist deshalb nur etwa ein Achtel der Materialmenge
von bisherigen Bindemitteln nötig. Auch die Produktion ist sehr
wirtschaftlich, denn aus einem Gramm Wachs wird ein Absorptionsmittel
mit einer Oberfläche von 3 Quadratmetern. Bei der Aufnahme von Öl
bildet die Watte Klumpen, die aber weiterhin auf dem Wasser
schwimmen. Diese lassen sich gut und rückstandsfrei "abfischen",
während die bislang üblichen Granulate viel schwieriger zu entfernen
sind. Der besondere Clou und ein weiterer Pluspunkt für die Umwelt:
Die Watte kann ausgewrungen und wiederverwertet werden. Für den
realen Einsatz in der Wasseraufbereitung, im Katastrophen- und
Gewässerschutz, aber beispielweise auch in Autowaschanlagen hat das
Unternehmen unterschiedliche Verpackungsformen entwickelt.
Im Kampf gegen die Ölverschmutzungen weltweit
Neben den Feuerwehren, die beim Hochwasser der Elbe sowie in
Süddeutschland mit Pure beispielsweise Verschmutzungen mit Heizöl
beseitigten, reinigt eine Umweltorganisation das Nigerdelta in
Nigeria mit der Watte. In dieser Gegend, wo jährlich rund 240.000
Barrel Rohöl die Umwelt verschmutzen, haben Forscher eine verstärkte
Mangelernährung bei Kindern festgestellt und den Öl-Kontakt mit
erhöhten Unfruchtbarkeits- und Krebsraten in Verbindung gebracht. Die
ölbindenden Eigenschaften von Pure können sich dort somit auf das
Leben von vielen Menschen positiv auswirken. Im Hinblick auf
Ölkatastrophen auf den Meeren hat der Firmenchef eine besondere Idee:
"Die Anlagen für Pure kann man überall aufstellen, auf dem Land, aber
auch auf jedem Schiff. Und diese Vision, eine Anlage auf ein Schiff
zu stellen, um Pure auf den verschmutzen Meeren zu verteilen, wäre
mein Ziel und Traum", so Hufschmid.
Eine Erfolgsgeschichte der Wiedervereinigung
Dass das Produkt heute überhaupt auf dem Markt ist, hat auch etwas
mit der Wiedervereinigung Deutschlands und mit dem Unternehmergeist
von Günter Hufschmid zu tun. Nach seinem Chemie-Studium an der
Technischen Universität München sowie nach einem
Weiterbildungsprogramm im Industrie-Management in Aachen war er lange
bei BASF tätig - in verschiedenen Positionen und Ländern. Zuletzt
arbeitete er als Produktmanager für Wachse in Ludwigshafen. Doch im
Zuge der Investitionen und Förderungen für den Aufbau der
ostdeutschen Wirtschaft wagte es der vierfache Vater, den sicheren
Job aufzugeben und in Sachsen-Anhalt seinen Traum vom eigenen
Unternehmen zu verwirklichen. So kam der gebürtige Münchener, damals
33-jährig, 1992 nach Elsteraue und baute dort die Deurex Group auf,
zunächst um eine einzigartige Technologie zur Mikronisierung von
Wachsen zu vermarkten, die er entwickelt hatte. Seitdem hat sein
Unternehmen 100 Jobs geschaffen. 20 Menschen sind heute in die
Produktion der innovativen Wachswatte eingebunden. Zudem wurde eine
neue Anlage gebaut, die pro Jahr bis zu 700 Tonnen des neuen
Materials herstellen kann - weitere Investitionen mit Partnern für
lokale Produktionen in anderen Ländern sind geplant.
Umwelt- und Wasserschutz: Ein zukunftsweisender Markt
Die Erfindung der "Zauberwatte" eröffnete dem Unternehmen 2010 das
vielversprechende Geschäftsfeld der Bindemittel und damit den Zugang
zu einem Markt mit enormen Wachstumsprognosen. Denn im Bereich des
Managements von Ölverschmutzungen werden für das Jahr 2022 globale
Absätze von etwa 118 Milliarden Euro erwartet, während sie 2010 noch
bei rund 13 Milliarden Euro lagen. Zusätzlich hat Deurex Pure
Potenzial im Umfeld der erneuerbaren Energien: Moderne Windturbinen
benötigen große Mengen an Öl, die auslaufen können. Hier kann das
ölbindende Wachs helfen, im Schadensfall Reinigungskosten sowie
Standzeiten zu minimieren und Umweltschäden zu vermeiden.
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