PresseKat - Landeszeitung Lüneburg: Wie Deutschland helfen kann - Interview mit Prof. Marcel Fratzscher über E

Landeszeitung Lüneburg: Wie Deutschland helfen kann - Interview mit Prof. Marcel Fratzscher über Eurobonds, Reformen und die schweren Aufgaben für Emmanuel Macron

ID: 1490544

(ots) - Frankreichs neuer Präsident Emmanuel Macron steht
vor großen Herausforderungen. Wie kann Deutschland dabei helfen, ihn
zu unterstützen und Frankreichs Wirtschaft wieder anzukurbeln?

Prof. Marcel Fratzscher: Deutschland kann Frankreich sicher nicht
aktiv dabei helfen, Reformen im Land umzusetzen. Macron plant
Arbeitsmarkt-Reformen und will die Sozialsysteme grundlegend
reformieren. Hier kann Deutschland indirekt helfen und die
Erfahrungen mit den vor 15 Jahren gestarteten Sozialsystem-Reformen
weiterreichen. Enorm wichtig ist es, dass die Europäische Union
wieder auf die Beine kommt. Wir ignorieren in Deutschland zu sehr,
dass sich Europa nach wie vor in einer Krise befindet - sowohl
wirtschaflich als auch institutionell. Wir sollten die Vorschläge
Macrons für Reformen der EU konstruktiv aufgreifen. Konstruktiv
bedeutet, dass man sagt: Ja, er hat recht. Europa, so wie es
aufgestellt ist, und auch der Euro sind nicht nachhaltig. Wir müssen
mehr Reformen durchführen. Zweitens muss man den Dialog mit Macron
aufnehmen und gemeinsame Ziele definieren. Ich glaube, dass das gar
nicht so schwierig ist. Man wird sich relativ schnell darüber einig
sein, was die Probleme sind und dann darüber diskutieren, was der
beste Lösungsweg ist. Das würde Europa helfen. Das würde Frankreich
helfen. Und es würde übrigens auch Deutschland helfen. Was mich an
der Diskussion gerade sehr stört, ist, dass es wieder heißt, die
Franzosen wollen etwas von uns. Und was gut für Europa oder
Frankreich ist, muss zwingenderweise schlecht für Deutschland sein.
Das halte ich für völligen Unfug. Wir sollten offener sein und nicht
immer sofort Nein zu allem sagen.

Sie haben kürzlich gesagt, die Bundesregierung müsse sich offener
gegenüber gerechtfertigter Kritik aus Europa und Frankreich zeigen.
Denken Sie dabei auch an den großen Streitpunkt




Rekord-Exportüberschuss?

Ja. Aber das Problem ist nicht der Rekord-Exportüberschuss,
sondern das Rekord-Investitionsdefizit. Es geht nicht darum, dass
Deutschland so viele Waren exportiert. Keiner sollte Deutschland die
Exporte, also unsere Stärke, neiden. Das Problem ist, dass wir in
Deutschland zu wenig investieren und daher zu wenig importieren. Die
Überschüsse, die dabei zustande kommen, sind nicht ein Export-
sondern ein Investitionsproblem in Deutschland. Dabei ist es
eigentlich in unserem besten Interesse, mehr zu investieren, damit
Produktivität, Wachstum und Einkommen in Deutschland zu stärken und
so auch die Überschüsse abzubauen. Auch hier sollten wir uns offener
zeigen und verstehen, dass wir so nicht nur Europa helfen, die
Ungleichgewichte abzubauen, sondern wir helfen uns selbst, wenn wir
diese Maßnahmen ergreifen.

Im März kletterten die Ausfuhren auf den höchsten Monatswert seit
1950, aber auch die Wareneinfuhren stiegen auf einen Rekordwert.
Deutet sich eine Trendwende zu sinkenden Exportüberschüssen an?

Wir sehen diese Trendwende noch nicht. Was wir auch gerne
vergessen, ist, dass unsere Exporte eine sehr hohe Importkomponente
haben - also Energie und andere Vorleistungen, die in Exportprodukte
einfließen. Sicherlich, die Bundesregierung sagt, es wird alles
besser werden. Der Ãœberschuss werde in zwei Jahren nicht mehr 8,6,
sondern nur noch 7 Prozent betragen. Diese 7 Prozent sind aber immer
noch viel zu hoch. Wir wissen aus vielen Studien, dass Deutschland
vielleicht zwei oder drei Prozent der Wirtschaftsleistung als
Ãœberschuss haben sollte. Das ist gerechtfertigt. Aber nicht 5, 6 oder
7 Prozent. Es wird in den kommenden Jahren eine Abschwächung geben.
Aber das ist kein Grund, jetzt schon zu sagen, dass die Probleme
gelöst seien.

Frankreich war 2016 zwar wichtigster EU-Handelspartner
Deutschlands. Doch der Exportüberschuss mit Großbritannien war so
hoch wie mit keinem anderen EU-Land. Hat sich angesichts des Brexit
die Dauerkritik insofern auch bald erledigt?

Ich glaube nicht, dass der Brexit so großen Einfluss auf die
Handelsbeziehungen haben wird. Großbritannien mag dann zwar keinen
Zugang mehr zum EU-Binnenmarkt haben, aber es dürfte dann doch
irgendein Freihandelsabkommen geben. Ich erwarte daher nicht, dass
der Handel von Gütern und Dienstleistungen stark unter dem Brexit
leiden wird. Eher trifft es die Investitionen oder die Kapitalmärkte.

Ist die bisherige deutsche Politik, erst mehr Arbeitsplätze und
höhere Steuereinnahmen zu generieren und dann nach einer Sparphase
langsam die Investitionen hochzufahren, nicht ökonomisch eher
idealtypisch?

Nein, im Gegenteil. Eigentlich ist es so, dass die privaten
Investitionen in der Regel auch einen Aufschwung treiben sollten, um
ihn nachhaltig zu machen. Meine große Sorge ist, dass das, was wir im
Moment in Deutschland sehen, nur ein Aufholprozess ist von vor zehn
Jahren, als Deutschland der kranke Mann Europas war. Man braucht
Investitionen, um Produktivität zu verbessern. Und damit langfristig
auch Einkommen zu stärken, Jobs zu sichern und die
Wettbewerbsfähigkeit zu halten. Ich sehe in den nächsten fünf bis
zehn Jahren ein riesiges Problem auf Deutschland zukommen, weil wir
in wichtigen Investitionsbereichen zurückfallen und damit die
gegenwärtig gute Lage gefährden.

Emmanuel Macron will zwar das Arbeitsrecht in Frankreich lockern,
plädiert aber auch auf mittlere Sicht für einen
Eurozonen-Finanzminister, einen Haushalt der Euro-Zone und soziale
Mindeststandards in der EU. Das wird in einigen anderen Ländern schon
lange gefordert, ist aber stets am Einigkeitsprinzip gescheitert.
Gibt es Chancen, dass sich diese Haltung - auch nach dem Brexit - nun
ändert?

Die Chancen sind gestiegen. Aber ich würde nicht sagen, dass sie
sonderlich hoch sind. Viele Politiker haben die Zeichen der Zeit
immer noch nicht erkannt, dass es dringend notwendig ist, etwas
Grundlegendes an Europa zu ändern. Dass wir vor der Wahl stehen:
Abbruch und Auseinanderreißen oder wir holen die Reformen nach, die
notwendig sind. Dazu gehört auch, dass man in gewissen
wirtschaftlichen Bereichen die Subsidarität verbessert, also mehr
Verantwortung zurückgibt. Aber in anderen Bereichen wieder stärker
zusammenarbeitet. Das betrifft Bankenunion, Kapitalmarktunion und
natürlich auch die Fiskalpolitik. Hier ist eine bessere Koordinierung
notwendig.

Macron fordert auch die Einführung von Eurobonds. Bundeskanzlerin
Angela Merkel lehnte dies erneut ab, SPD-Chef Martin Schulz hatte sie
dagegen schon 2010 gefordert. Doch diese Art einer Vergemeinschaftung
der Schulden ist auch bei der Mehrheit der Wählern unpopulär. Zu
Recht?

Eurobonds sind für viele Politiker und Bürger ein rotes Tuch,
obwohl gar nicht genau erklärt wurde, was Eurobonds eigentlich sind.
Wir haben bereits gemeinsame Anleihen: Durch den ESM werden Anleihen
ausgegeben. Auch Griechenland-Kredite werden zum Teil über
ESM-Anleihen finanziert, dabei muss auch Deutschland Garantien
leisten. Die ESM-Anleihen heißen nur nicht Eurobonds, weil sie
rechtlich einen anderen Zweck erfüllen. Ich meine, man sollte erst
einmal darüber diskutieren, was wir erreichen wollen, was die Ziele
sind. Wenn es hier darum geht zu sagen, dass wir die Krise lösen
wollen, dass wir einen besseren Sicherheitsmechanismus haben wollen,
um Länder künftig gegen Krisen, gegen tiefe Rezessionen abzusichern,
damit Europa stabiler ist, sollten wir alle Vorschläge offen auf den
Tisch legen. Ich bin kein Freund von Eurobonds. Aber man sollte
zumindest überlegen, ob man Eurobonds nicht auch verwenden kann, um
Ziele zu erreichen, die uns Deutschen wichtig sind. Dogmatisch und
sofort Nein sagen, ohne einmal überlegt zu haben, was wir eigentlich
wollen, halte ich von der deutschen Seite für falsch.

Deutschlands BIP-Überschüsse seit drei Jahren sind vor allem auch
der Niedrigstzinsphase zu verdanken. Droht hier eine Art
Schulden-Blase, wenn die EZB ihren Kurs ändert?

Nein, das sehe ich nicht. Viele Staaten wie zum Beispiel Italien
haben ihre Staatsschulden so umstrukturieren können, dass sie
deutlich längere Laufzeiten haben. Eine Trendwende bei den Leitzinsen
sehe ich daher nicht als Risiko für die Staaten, für die Regierungen.
Denn es wird viele Jahre dauern, bis sich höhere Zinsen in deutlich
höheren Kosten für die Finanzierung der Schulden widerspiegeln. Das A
und O ist letztlich die Frage, wie mehr Wachstum generiert werden
kann.

Man kann vordergründig die derzeitige Situation Frankreichs mit
der Deutschlands von 2005 vergleichen. Hohe Arbeitslosenzahlen, hohe
Staatsschulden, kaum Wachstum und ein Volk, das Sparpolitik satt hat.
Tatsächlich aber ziehen die Exporte Frankreichs seit Monaten an. Und
immer mehr Investoren - vor allem aus Deutschland - engagieren sich
in Frankreich. Sind die insofern optimistisch, dass es mit Frankreich
aufwärts geht?

Ja. Ich war aber auch nie so pessimistisch gegenüber Frankreich
wie viele andere in Deutschland. Wir sollten uns einmal die Zahlen
genauer anschauen: Frankreich ist seit 1999 drei Prozent stärker
gewachsen als die deutsche Volkswirtschaft und ist auch in den
vergangenen Jahren nicht sehr viel schwächer gewachsen. Das heißt
natürlich nicht, dass Frankreich keine Probleme hat. Das Land hat
eine hohe Arbeitslosenquote und muss dringend Strukturreformen
umsetzen. Aber wir Deutschen reden uns häufig gerne besser, als wir
sind. Und die anderen schlechter, als sie sind. Auch da, glaube ich,
wird uns ein Schuss mehr Bescheidenheit, ein Schuss mehr Realismus
ganz gut tun.

Das Interview führte

Werner Kolbe



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung L?neburg, übermittelt durch news aktuell


Themen in dieser Pressemitteilung:


Unternehmensinformation / Kurzprofil:
drucken  als PDF  an Freund senden  Rheinische Post: Kommentar / 
Laschet erstmals seit einem Jahr vor Kraft 
= Von Thomas Reisener Westfalenpost: Martin Korte zur Studieüber die Ganztagsschule
Bereitgestellt von Benutzer: ots
Datum: 11.05.2017 - 21:01 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 1490544
Anzahl Zeichen: 10848

Kontakt-Informationen:
Stadt:

Lüneburg



Kategorie:

Politik & Gesellschaft



Diese Pressemitteilung wurde bisher 0 mal aufgerufen.


Die Pressemitteilung mit dem Titel:
"Landeszeitung Lüneburg: Wie Deutschland helfen kann - Interview mit Prof. Marcel Fratzscher über Eurobonds, Reformen und die schweren Aufgaben für Emmanuel Macron"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von

Landeszeitung Lüneburg (Nachricht senden)

Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).


Alle Meldungen von Landeszeitung Lüneburg